© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000

 
Die Nationale Front der DDR lebt
In Thüringen wird der Bund der Vertriebenen jetzt in die rechtsextreme Ecke gestellt
Jörg Fischer

Bereits im Oktober 1999 verfaßte der Bund der Vertriebenen (BdV) den Artikel "Was jeder Deutsche wissen sollte" – Fakten über die Verluste der Deutschen: Die 3.242.000 deutschen Soldaten, die in Gefangenschaft umkamen, sind genauso dokumentiert wie der deutsche Gebietsverlust von 114.296 Quadratkilometern. Diese Dokumentation hätte seit November auch den drei Fraktionen des Thüringer Landtages durch das Verbandsblatt Der Vertriebene bekannt sein können. Zusätzlich wurde sie jedem Abgeordneten Anfang dieses Jahres zur Kenntnis gegeben. Hinweise oder kritische Anmerkungen dazu gab es zunächst nicht.

Doch anläßlich der Ausstellung "Zehn Jahre BdV in Thüringen", die vom BdV-Chef Paul Latussek am 17. Mai im Erfurter Landtag betreut wurde, wachten die linken Tugendwächter plötzlich auf: Der SPD-Fraktionschef Heiko Gentzel sprach nach der Lektüre von "purem Revanchismus". Die "Äußerungen" zeugten von "nationalistischem Gedankengut" und böten "Nährboden für Handlungen, wie wir sie erst vor kurzem mit dem Brandanschlag auf die Synagoge in Erfurt ertragen mußten". Auch die PDS-Fraktion warf Latussek "Hetze" vor. Selbst die CDU-Fraktion, in deren Reihen einige Vertriebene sitzen, stand sofort stramm. Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) befand, die Beschreibung der Leiden der Deutschen hätten in den "historischen Kontext" gestellt werden müssen, und kritisierte folgende Einleitung: "Die Opfer anderer Völker einer verfehlten europäischen Politik dieses Jahrhunderts, seien es Kriegsopfer, Zwangsarbeiter oder Opfer rassistisch geprägter Machtpolitik, sind ständig in aller Munde. Viel zu wenig wird davon gesprochen, was dem deutschen Volke an Leid und Elend angetan wurde – welche Opfer es bringen mußte." Der Ältestenrat forderte nun den BdV-Chef um 14 Uhr ultimativ auf, sich bis 15 Uhr von der "Silberthaler Erklärung" – worin eine Entschädigung für Vertriebene in Mitteldeutschland gefordert wird – und von dem "Flugblatt" zu distanzieren. Da dies nicht geschah, sagte das Präsidium den geplanten "Parlamentarischen Abend" der Vertriebenen ab. Auf einer Sondersitzung des BdV-Vorstandes stellten sich Teilnehmer hinter ihren Vorsitzenden. Die genannten Fakten stellten "ein trauriges Kapitel europäischer Geschichte dar; sie sind ein Teil der geschichtlichen Wahrheit", teilte dazu der BdV mit. Man sehe "keine Veranlassung, diese Fakten in Frage zu stellen" und man sei "bereit, dafür eine Beweisführung anzutreten". Er könne nicht etwas zurücknehmen, was Tatsache sei, er habe nur Fakten aufgeschrieben, sagte Latussek der JUNGEN FREIHEIT. "Es gibt keine Entschuldigung für die Menschenrechtsverletzungen an den Deutschen. Sicher hat Hitler den Krieg angefangen, sicher ist im deutschen Namen viel Unrecht geschehen. Aber ich darf niemand umbringen, weil er meinen Sohn umgebracht hat, das ist mein Menschenrechtsverständnis. Es muß auch über die Verbrechen gesprochen werden, die an Deutschen begangen wurden", sagte Latussek. Auch er sei für die Entschädigung von Zwangsarbeitern, "aber unter Einbeziehung der deutschen Zwangsarbeiter".

Am 31. Mai will sich der BdV-Landesvorstand mit der CDU-Fraktion zu einem klärenden Gespräch treffen. Ob es dabei zu einem neuen Termin für den "Parlamentarischen Abend" kommt, ist fraglich: Als im Januar das "Denkmal für die Opfer der Vertreibung" auf dem Erfurter Hauptfriedhof geschändet wurde, rührte sich der ganze Landtag nicht – die Täter sind bis heute nicht gefaßt.


 
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