© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000

 
Vergessen ist schäbig
Wolfgang von Stetten über die Pflege des Andenkens der Mauertoten
Moritz Schwarz

Die Nationalen Volksarmee meldete für Berlin am 25. November 1965 unter dem Vermerk "Geheime Verschlußsache" die Tötung von Heinz Sokolowski aus Frankfurt/Oder wegen "versuchtem Grenzdurchbruch". Mit zwei Feuerstößen war er von Soldaten der DDR niedergestreckt worden und eine Stunde darauf gestorben. Zum Gedenken an dieses Opfer der deutschen Teilung war auf westlicher Seite ein Kreuz errichtet worden. Am Mittwoch voriger Woche erneuerte der CDU-Bundestagsabgeordnete und Präsident des Studienzentrums Weikersheim, Wolfgang von Stetten, die Inschrift des Holzkreuzes.

Herr Professor von Stetten, warum erneuern Sie heute diese Inschrift?

Stetten: Jedesmal wenn ich hier vorrüber zum Reichstag ging, ärgerte ich mich, daß das Kreuz hier so schäbig herumstand und die Inschrift gar nicht mehr zu lesen war. Mit Mühe und Not konnten wir schließlich noch den Namen herausfinden. Das Kreuz ist immerhin 35 Jahre alt.

Was ist mit den sechzehn Kreuzen passiert, die hier vor dem Fall der Mauer die Vorübergehenden mahnten?

Stetten: Sie sind irgendwo zwischengelagert. Man überlegt, ob man sie wieder aufstellt oder nicht. Wir geben Millionen für Denkmäler aus, und an Ort und Stelle, wo diese Leute erschossen wurden, nur weil sie die Freiheit wollten, da haben wir kein Geld dafür und keinen Platz, das ist doch schäbig. Ich verstehe diese Aktion aber auch als Protest gegen die Politik der derzeitigen Parlamentsmehrheit, die auf der einen Seite Geld für das zweifelhafte Kunstwerk Hans Haakes im Lichthof des Reichstages hinauswirft, andererseits jedoch bei der Pflege des Andenkens der Opfer des DDR-Terrors sparen will.

Ist dieses Krezuz also stellvertretend ausgewählt worden?

Stetten: Das ist das einzige Kreuz, das hier noch stand. Es ist einfach ein Symbol. Ich kannte Herrn Sokolowski nicht, aber er hat ein Schicksal wie viele andere: Jung in den Krieg gekommen, anno 17 geboren, danach in Haft, dann freigekommen, in der DDR gelebt, wieder sieben Jahre in Haft, dann geflohen und dabei hier erschossen.Daran sollte erinnert werden. Das darf nicht in Anonymität und Schäbigkeit verschwinden.

Ist denn irgendwann mit einem richtigen Denkmal für die Maueropfer zu rechnen?

Stetten: Mir würde es genügen, wenn die Kreuze, die damals errrichtet wurden, wieder aufgestellt würden, vielleicht hier an der Ecke das Tiergarten, gegenüber des Reichstages und des Reichspräsidentenpalais‘, damit daran erinnert wird, daß auch hier, genau auf diesen Metern zwischen Brandenburger Tor und Reichstag Menschen erschossen worden sind. Die jetzige Anordnung, diese paar Kreuze an dem Drahtgitter finde ich einfach nicht würdig. Man sollte die alten Kreuze nehmen und sie restaurieren.

Wird denn das Leid der Opfer der kommunistischen Herrschaft in Deutschland denn entsprechend gewürdigt und vom Volk auch ausreichend wahrgenommen?

Stetten: Sicher wird es wahrgenommen, ob es aber ausreichend gewürdigt wird, das glaube ich nicht. Wir haben zwar einige Opferstätten, wir sollten aber immer darauf hinweisen, das auch nach dem Kriege Deutsche Opfer der Sieger wurden. Auch die zweieinhalb Millionen Menschen auf der Flucht, durch Vertreibung, Vergewaltigung und Hunger. Denn auch die Sieger waren Täter und haben Verbrechen begannen. Darauf gilt es immer wieder hinzuweisen. Nicht zur Aufrechnung, sondern um der geschichtlichen Wahrheit willen.


 
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