© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000


Ohnmacht der Demokratie
von Paul Leonhard

Der Rauswurf der Abgeordneten Almuth Beck aus dem Erfurter Landtag war nicht rechtens. Auch wenn die PDS-Frau einst für die Stasi spitzelte. Damit muß man sich abfinden. Die Thüringer Verfassungsrichter haben einen klaren und nachvollziehbaren Spruch gefällt. Auch Landtagsbeschlüsse müssen durch die Landesverfassung gedeckt sein. Das sei hier nicht der Fall gewesen, urteilte das Gericht. Aber genau das ist der Knackpunkt, weswegen es sich verbietet, wie die PDS von einer "Sternstunde des Rechtsstaats" zu sprechen.

Auf Verlangen des Verfassungsgerichtshofes hatte das Parlament vor zwei Jahren eine gesetzliche Grundlage geschaffen, um Stasi-belasteten Abgeordneten das Mandat entziehen zu können. Warum haben die Richter nicht bereits damals darauf hingewiesen, daß auch eine Änderung der Verfassung zwingend nötig sei? Sehenden Auges haben die Verfassungsrichter zugesehen, wie der Landtag mit seinem Mandatsentzug Schiffbruch erleiden mußte. So klingt es jetzt wie Hohn, wenn sie darauf verweisen, daß die Entscheidung "zwar nicht dem ermittelten Sinn der Verfassung, aber doch dem vermutlichen Willen der Verfassungsmütter und –väter widerspricht". Denn die Sachsen haben die Möglichkeit einer Mandatsaberkennung wegen einstiger Stasi-Mitarbeit ausdrücklich in ihrer Verfassung verankert. Zwangsweise mußte deswegen allerdings noch kein Belasteter gehen. So sitzen auch in Dresden zwei Ex-Stasispitzel bereits seit 1990 im Parlament und werden da trotz des Willens der Verfassungsväter und der Parlamentsmehrheit bleiben. Ein Stück Ohnmacht der Demokratie.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen