© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
PRO&CONTRA
Studiengebühren in Deutschland einführen?
Prof. Dr. Gerard Radnitzky / Eike Erdel

Die Idee der Universität ist es, die Elite der Nation auszubilden. Bis zum 2. Weltkrieg pflegten amerikanische Wissenschaftler sich den letzten Schliff an deutschen Universitäten zu holen. Auch nach dem Kriege war etwa Göttingen in Mathematik wohl die beste Adresse. Heute ist Deutschland akademisches Schlußlicht, seit 1968 hierzulande eine rasante Expansion des Hochschulsystems einsetzte. Die voraussehbare Folge war eine enorme Inflation an Studenten und an Dozenten. Von vernachläßigbaren Ausnahmen abgesehen, besteht heute ein staatliches Angebotsmonopol: die "Konsumenten" (Studenten) bezahlen nichts, die "Produzenten" (Dozenten) verkaufen nichts, das "Management" (trustees, state boards, etc.) kontrolliert nicht – und der eigentliche "Besitzer", der Souverän, hat nichts zu sagen. Erwartet jemand, daß ein solches System gut funktioniert? Es wird auch kaum Rücksicht genommen, ob die Studenten eine marktfähige Ausbildung bekommen. Die Studenten selbst sind zum Großteil wenig vorgebildet (Verfall des Gymnasiums), wenig begabt und wenig motiviert. Die Entscheidung zu studieren oder in den Arbeitsprozeß einzutreten, müßte zu einer echten Entscheidung gemacht werden, denn: Ein Studium muß als eine Investition in das eigene Humankapital gesehen werden, worauf notwendigerweise eine Kosten-Nutzen-Analyse folgt. Wenn man eine Universitätsausbildung gratis anbietet, wird die Entscheidung aus einer anderen Perspektiven betrachtet. Studiengebühren sind eine Selbstverständlichkeit, wenn man am Funktionieren des Hochschulsystems interessiert ist. Da die Nation, falls es diese noch gibt, an der Qualität ihres Humankapitals interessiert sein sollte, muß nebenher ein Stipendiensystem eingeführt werden. Hochbegabte zu fördern und sie dann auch durch attraktive Arbeitsbedingungen und finanzielle Anreize im Lande zu behalten, ist dann ebenfalls geboten.

 

Prof. Dr. Gerard Radnitzky ist emeritierter Professor der Universität Trier. Er lehrte als Wissenschaftstheoretiker u.a. in New York.

 

 

Im Grunde genommen können Studiengebühren nur zwei Zwecke erfüllen: Erstens können sie einen Beitrag zur Finanzierung der Hochschule leisten. Zweitens können die Studiengebühren abschreckend wirken und damit überfüllte Hörsäle verhindern helfen. Darunter fällt dann auch, den einzelnen Studenten zu einem schnellen Studienabschluß zu bewegen. Dabei wird übersehen, daß geistiges Schaffen nicht "produktiv" im Sinne ökonomischer Gesetzmäßigkeiten ist. Das Hochschulwesen muß daher staatlich finanziert werden. Der Staat investiert hier in seine eigene Zukunft. Da die Leistungsfähigkeit eines rohstoffarmen, auf Export ausgerichteten Staates wie Deutschland aber von der guten Bildung und Ausbildung seiner Bürger nachhaltig abhängt, können wir es uns nicht erlauben, vorhandenes geistiges Potential aus finanziellen Gründen von einer qualifizierten Hochschulausbildung abzuhalten. Studiengebühren sind aber ein sozialer Numerus clausus, der finanziell weniger bemittelte Klassen von einer akademischen Laufbahn abhält.

Überfüllte Hörsäle verhindert man besser durch ein angemessenes Bildungsniveau an den Schulen. Die marxistisch indoktrinierte kulturelle Revolution seit 1968 hat das Leistungsprinzip nahezu aufgehoben und zu einem Bildungsschwund geführt. Die negativen Folgen machen sich doppelt bemerkbar. Das zu leichte Abitur führt zu einer hohen Zahl von Hochschulzugangsberechtigten und das niedrige Bildungsniveau der Studienanfänger muß von den ohnehin überlasteten Universitäten nachgebessert werden. Auch bei einem zweiten Studiengang oder bei Überschreitung der Regelstudienzeit sollte der Staat den Studenten nicht zur Kasse bitten. Eine einseitige, auf die rein ökonomischen Erfordernisse der Industriegesellschaft ausgerichtete Hochschulpoltik ist abzulehnen. Der Humboldtsche Gedanke eines studium generale sollte wiederbelebt werden. Mit einem auf feste Regelstudienzeiten fixierten Studium ist dies jedoch nicht machbar.

 

Eike Erdel studiert Rechtswissenschaft in Marburg und ist Vorsitzender des Republikanischen Hochschulverbandes (RHV).


 
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