© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000


LOCKERUNGSÜBUNGEN
MÜV
Karl Heinzen

Die Zwangsarbeiter-Entschädigung empört die Menschen. Gerade einmal drei der versprochenen und sowieso schon knauserig genug bemessenen fünf Milliarden Mark hat die deutsche Wirtschaft bislang zusammengekratzt, um ihren Beitrag dazu zu leisten, daß der Zweite Weltkrieg auch nach dem Ende der Nachkriegszeit als Zahlungsgrund Anerkennung finden kann. Beschämend ist, so hat die "Bild"-Zeitung herausgefunden, daß sich "die Großen drücken". Ermutigend ist hingegen, daß wenigstens "die Kleinen zahlen". Wie immer ist es also auch hier der Mittelstand, der als erster erkennt, was die Zeit gebietet.

Axel Fassbach (49), Firmenchef von "Hallo Pizza" aus Willich, ist einer dieser Leistungs- und Verant- wortungsträger. Sein Unternehmen setzte zum Preis von 10.000 Mark ein Zeichen. Da Pizza, auch wenn die Zustelldienste nur im Umkreis von wenigen Kilometern liefern, doch immerhin ein global konsumiertes Produkt ist, kann jedoch ein erwerbswirtschaftliches Motiv leider nicht gänzlich in Abrede gestellt werden, wenn sich ihm die Frage aufdrängt, was das Ausland über uns denkt.

Nicht viel besser verhält es sich mit Karl Reinecke (50), dem Chef des Café Gnosa in Hamburg, der immerhin noch 2.000 Mark in den deutschen Leumund investierte. Als Gegenleistung erwartet er aber offenbar die Bestätigung, daß er nicht in die NS-Vergangenheit verstrickt sei, bloß weil er seinen Betrieb erst vor 13 Jahren übernommen hat. So verständlich seine Notsituation in einer Weltoffenheit für sich reklamierenden Hafenstadt mit so manchem ausländischen Besucher auch sein mag: So billig darf der Rückzug in die Rolle des Unschuldsengels, der bloß stellvertretend für jene zahlt, die nicht mehr zahlen können, niemandem gemacht werden.

Da zeigt Herbert Pfaff-Schley (43), Chef des Umweltinstituts Offenbach, schon deutlich mehr Gespür, auch wenn er nur 300 Mark locker machte. Seine explizite Bereitschaft, Verantwortung für das Tun der Väter zu übernehmen, hilft mit, die Eigentumsrechte an deutscher Schuld auch der Zukunft als eine lukrative Anlageform zu erhalten.

Der PR-Erfolg, den diese drei Unternehmer durch ihr Porträt in der Bild-Zeitung erzielen konnten, sollte Signal genug sein, den Entschädigungsfonds nicht durch kleinliches Beharren auf einer Sicherheit vor weiteren Ansprüchen zu zerreden, sondern ihn als Chance zum Imageaufbau im In- und Ausland zu entdecken. In diesem Sinne darf man sich dann auch nicht dem Gedanken verschließen, das zunächst auf eine einmalige Zahlung angelegte Engagement zu verstetigen. Ziel könnte eine Art Moralischer Überwachungsverein (MÜV) sein, der gegen entsprechende Honorar Honorarleistung die Auseinandersetzung von Unternehmen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zertifiziert. Dies wäre auch eine moderne Form von Exportförderung: Das "Made in Germany" von einst hätte einen zeitgemäßen Nachfolger gefunden.


 
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