© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
Derbe Magie
Vor 100 Jahren starb der Schriftsteller Stephen Crane
Werner Olles

Bereits als Jugendlicher trieb er sich in der New Yorker Bowery herum, das Elendsviertel mit seinen heruntergekommenen Gestalten inmitten von Armut, Gewalt und Alkoholismus zog ihn magisch an. Später reiste er als Tramp quer durch das Land, durchstreifte den mittleren Westen und den Süden bis nach Nebraska, Texas und Mexiko. Hier arbeitete er als Zeitungskorrespondent, bis es ihn als Kriegsberichterstatter nach Griechenland und Kuba verschlug. Als er sich im naßkalten Klima Englands eine schwere Tuberkulose zugezogen hatte, ging er zur Genesung nach Deutschland, wo er vor 100 Jahren starb.

Stephen Crane wurde am 1. November 1871 in Newark/New Jersey als Sohn eines Methodistenpredigers geboren. Mit acht Geschwistern in einem streng gläubigen Elternhaus aufgewachsen, führte er während seiner Jugendzeit ein unstetes Leben in üblen Kaschemmen und Spielhöllen. Mit 21 Jahren schrieb er seinen ersten Roman, "Maggie, das Straßenkind". Darin schildert er in düsteren Bildern und in einer drastischen Sprache das Schicksal einer blutjungen Prostituierten in den Slums der Halb- und Unterwelt von New York. Niemand zeigte Interesse für das Manuskript, allein der provokante Titel und die realistischen Beschreibungen der Elendsviertel und ihrer Bewohner, die Crane zugleich als Opfer und Helden darstellte, schreckten die Verleger ab. So ließ er den Roman auf eigene Kosten in einer Auflage von 1.100 Exemplaren drucken, um ihn dann unter einem Pseudonym zu verkaufen. Die meisten Bücher mußte er allerdings im Herd seines winzigen Zimmers verbrennen.

Mehr Erfolg hatte er drei Jahre später mit seinem zweiten Buch, "Die rote Tapferkeitsmedaille". Die Geschichte aus dem amerikanischen Bürgerkrieg beschreibt die blutige Schlacht von Chancellorsville und die psychischen Auswirkungen auf einen jungen, fahnenflüchtigen Rekruten, der schließlich lernt, seine Angst zu überwinden. Die Literaturkritiker waren begeistert von der naturalistischen Kraft und dem schockierenden stilistischen Realismus, von der naiven Symbolik und den magischen Metaphern, die sie in Cranes derber Sprache entdeckten.

Vor dem Ruhm, aber auch um den Verleumdungen seiner Neider und Gegner zu entgehen, floh er nach London. Dort lernte er die sechs Jahre ältere Cora kennen. Daß sie gerade zum zweiten Mal geschieden war und außerdem in Florida ein ziemlich übel beleumdetes Etablissement besaß, störte ihn nicht. Die beiden traten als Ehepaar auf und ließen sich schließlich in der Nähe von London in einem Landhaus nieder. Dort lebten sie im großen Stil, aber die üppigen Feste und Bankette, die Dauergäste und Schnorrer, fraßen in kurzer Zeit den größten Teil von Cranes Honoraren auf. Als ihm seine Schulden über den Kopf wuchsen und selbst die für verschiedene Zeitschriften verfaßten Artikel und Kurzgeschichten kaum noch etwas einbrachten, ging Crane im April 1898 als Kriegsberichterstatter für die New York World nach Kuba.

Beobachter schildern ihn als furchtlosen Chronisten, der während der schwersten Gefechte seine Artikel schrieb und trotz heftiger Fieberanfälle und Durchfälle übermütig und ohne Deckung durch die Schützengräben spazierte. Nach dem Ende der Kämpfe tauchte er zunächst in Havanna unter, aber Cora gelang es, ihn aufzuspüren und dazu zu bewegen, nach England zurückzukehren. In der Nähe von Hastings in Süd-England fanden sie ein neues Domizil.

In dem Landhaus ohne Heizung und elektrisches Licht war es im Winter eiskalt und feucht. Inmitten von Wiesen, Weiden, Hecken und Hügeln gelegen, wurde es 1899 zu einem Treffpunkt von vielen Künstlern. Der damals noch weitgehend unbekannte Joseph Conrad, H.G.Wells, der schon "Die Zeitmaschine" und "Krieg der Welten" veröffentlicht hatte, Henry James und Ford Maddox Ford, der spätere Förderer von Ernest Hemingway, gehörten zu dieser Literaten-Gruppe. Crane selbst war seinen Freunden gegenüber durchaus kritisch. Mit den Büchern von James konnte er nach eigener Aussage nichts anfangen, auch Mark Twain und Oscar Wilde sagten ihm nichts.

Auf dem Anwesen lebten nicht nur Verwandte und Freundinnen Coras, eine Schar Journalisten und Müßiggänger bevölkerte zudem das Haus und belastete den gesundheitlich und finanziell schwer angeschlagenen Crane. Um in Ruhe schreiben zu können, mußte sich der inzwischen an Tuberkulose Erkrankte oft ein paar Tage in einem Hotel einmieten. Bei einem großen Fest Ende Dezember 1899 brach Crane dann zusammen. H.G.Wells fuhr auf seinem Fahrrad sieben Meilen durch den Schnee, um im Nachbarort den Arzt zu holen. Aber der konnte dem Kranken nur attestieren, daß sein nächster Blutsturz ihn umbringen würde.

Gern wäre Crane dem Rat des Arztes gefolgt, eine längere Kur im milden südlichen Klima zu machen. Aber es fehlte das Geld, und er war zu stolz, seine Freunde darum zu bitten. Als Henry James, Joseph Conrad und H.G.Wells endlich erfuhren, wie es in Wahrheit gesundheitlich um ihn stand, ermöglichten sie ihm sofort die Reise nach Badenweiler im Schwarzwald. Ende Mai traf er dort ein, aber es war bereits zu spät. Am Morgen des 5. Juni 1900 starb Stephen Crane nach mehreren schlimmen Fieber-nächten im Alter von nur 28 Jahren.

Was von Crane geblieben ist, sind neben den Romanen "Maggie, das Straßenkind" , "Georges Mutter", und "Die rote Tapferkeitsmedaille" eine Reihe von impressionistischen Kurzgeschichten wie "Im Rettungsboot", "Das Monstrum" und "Das blaue Hotel". Ihr kraftvoller Stil inspirierte Hemingway und legt bis heute Zeugnis ab vom kurzen Leben eines zu Unrecht vergessenen Erzählers.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen