© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
Die Einheit war allein Sache der Deutschen
Enteignungen 1945–1949: Der Untersuchungsausschuß muß kommen
Heiko Peters

Mehr als zwei Millionen Immobilien wurden auf dem Boden der Ex-DDR von den Kommunisten unter Bruch des geltenden Völkerrechts konfisziert. Bei den ca. 750.000 Grundstücken, die vorwiegend dem Mittelstand in den Jahren 1945–49 genommen wurden, hat sich der deutsche Fiskus auf Betreiben von Theo Waigel und anderen die Besitzrechte als Nachfolger des "Volkseigenen Vermögens" gesichert und versucht seither, diese quasi als staatlicher Hehler zu veräußern und die Erlöse daraus der Staatskasse einzuverleiben. Um dieses unmoralische Vorgehen gesetzlich abzusichern,scheute man sich nicht, das Parlament mit unwahren Behauptungen zur Grundgesetzänderung zu nötigen. Großes persönliches Leid von über einer Million Mitbürgern und schwere volkswirtschaftliche Fehlentwicklungen bis zum heutigen Tage sind die Folgen.

Aber die Wahrheit holt alle ein: Obwohl sich führende Politiker der CDU/CSU und FDP wie auch der SPD und der Grünen vehement dagegen sträuben, das Thema der Enteignungen 1945–49 aufzugreifen und einer gerechten Lösung zuzuführen, erzwingen volkswirtschaftliche Daten und neu erkannte Tatsachen ein Umdenken in dieser brisanten Frage.

Das Bundesverfassungsgericht hatte zweimal (1991 und 1996) gegen die ehemaligen Mitglieder des Mittelstandes auf dem Boden der DDR entschieden. Beim ersten Mal wurde die Behauptung der Bundesregierung geglaubt, sowohl Sowjetunion wie auch DDR hätten die Nichtrückgabe des konfiszierten Eigentums zur Vorbedingung für die deutsche Wiedervereinigung gemacht. Bei der zweiten Entscheidung war dann von der subjektiven "Einschätzung" der Lage der Bundesregierung die Rede. Der Grundtenor beider Urteile lautete: Das Unrecht, das mit den Enteignungen 1945–49 zweifelsohne verbunden war, ist von den Betroffenen zu tolerieren, weil sonst die deutsche Einheit nicht möglich gewesen wäre. Da aber in der Präambel unseres Grundgesetzes die deutsche Einheit als höchstes anzustrebendes Ziel der Politik vorgegeben wird, gäbe es bedauerlicherweise keine andere Lösung.

Bisher ist in der Öffentlichkeit nicht genügend darüber nachgedacht worden, was die Väter unseres Grundgesetzes mit dem Begriff "deutsche Einheit" verbunden haben: War es nur ein territorialer Begriff, sozusagen eine regionale Ausweitung des deutschen Gebietes, die anzustreben war? Also: Mein Gemüsegarten muß um 50 Quadratmeter erweitert werden, damit ich in Zukunft auch Bohnen pflanzen kann? Oder war nicht vielmehr gemeint, daß in Zukunft alle Deutschen in einem einheitlichen demokratisch verfaßten Rechtsstaat leben sollten? Die Einheit unter kommunistischen Vorzeichen hätte Konrad Adenauer bereits in den Jahren 1952/53 erreichen können. In korrekter Auslegung des Begriffes "die deutsche Einheit" hat er seinerzeit das Anerbieten Stalins abgelehnt, eine deutsche Einheit unter sozialistischen oder kommunistischen Vorzeichen zu erreichen, weil er wußte, daß damit der Rechtsstaat für alle Deutschen nicht gewährleistet wäre.

Roman Herzog half bei der Demontage des Rechtsstaates

Leider hat aber das Verfassungsgericht unter Roman Herzog in dem Augenblick, als sich die Möglichkeit des demokratischen Rechtsstaats für alle Deutschen abzeichnete, wiederum einen Teil der Bevölkerung von den Grundrechten ausgeschlossen: Nämlich den größten Teil des ehemaligen Mittelstands der Ex-DDR, darunter Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 und deutsche Juden. Diese Menschen haben ihren in Staatshand gelangten Besitz auch zehn Jahre nach der Wende noch nicht zurückerhalten, sofern er in den Jahren 1945–49 konfisziert wurde. Vielmehr müssen sie ohnmächtig mit ansehen, wie der deutsche Fiskus heute versucht, diese Immobilien zum eigenen Nutzen zu veräußern. Unglaublich, aber wahr!

Bei den Diskussionen über die Problematik der Enteignungen 1945–49 werden immer wieder drei Hauptargumente genannt:

1. Die Sowjetunion habe die Nichtrückgabe zur Vorbedingung für die deutsche Einheit gemacht. Dieses Argument ist von Michail Gorbatschow als "absurd" bezeichnet worden, Schewardnadse hat ihn bestätigt, George Bush, Genscher, Teltschik und viele andere sind Zeugen dafür, daß es ein solches Junktim der UdSSR niemals gegeben hat. Entsprechend wird auch heute von der Bundesregierung eine solche Vorbedingung in Briefwechseln mit Betroffenen nicht mehr genannt.

2. Die Vorbedingung der DDR wurde zur Beibehaltung des jetzigen Zustandes herangezogen. De Maiziére und Meckel haben dies häufiger bestätigt, um den Aussagen Gorbatschows zu widersprechen. Sie haben dabei übersehen, daß die frei gewählte Volkskammer der DDR in einer Nachtsitzung vom 23. auf den 24. August 1990 mit 292 gegen 64 Stimmen bei wenigen Enthaltungen den bedingungslosen Beitritt der ehemaligen DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland beschlossen hatte. Ohne jede Bedingung!

Daß die DDR-Regierung de Maizére von der Bevölkerung nur gewählt worden war, um so schnell wie möglich die deutsche Einheit zu vollziehen, sei nur am Rande erwähnt. Die Regierung de Maiziére wäre von den Menschen in Leipzig, Ost-Berlin und anderswo hinweggefegt worden, wenn sie es gewagt hätte, sich der deutschen Einheit in den Weg zu stellen.

3. Die Regierung Kohl beteuerte immer wieder, in der "Gemeinsamen Erklärung" vom 15. Juni 1990 sei die Nichtrückgabe von beiden deutschen Kabinetten beschlossen worden und müsse deshalb Bestand haben. Es wird dabei übersehen, daß am 15. Juni 1990 das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland noch nicht um den berüchtigten Artikel 143 Absatz 3 erweitert worden war. Dieser wurde erst acht Monate später in das Grundgesetz eingefügt.

Wiedervereinigung ohne sowjetische Bedingungen

Auch die DDR-Regierung hatte seinerzeit die kommunistische Verfassung der DDR bereits außer Kraft gesetzt und eine Notverfassung, bestehend aus den ersten neunzehn Artikel des Grundgesetzes, als Übergangslösung beschlossen. Beide deutschen Kabinette verstießen also zweifellos am 15. Juni 1990 gegen das in ihren jeweiligen Staaten bestehende Recht. Vermutlich ist aus diesem Grunde die gemeinsame Erklärung auch niemals unterschrieben worden, was zusätzlich Zweifel an ihrer Gültigkeit weckt. Außerdem war es Wolfgang Schäuble vorbehalten, gegenüber dem DDR-Chefunterhändler Günther Krause zu erläutern, daß der von Schäuble eingefügte Ausdruck "Ausgleichsleistungen" anstelle von "Entschädigung" der umfassendere sei, und eine Natural-Restitution in keinem Fall ausschlösse. Dies war eine wissentliche Täuschung der DDR-Delegation, womit vermutlich auch die Gemeinsame Erklärung vor Gericht keinen Bestand haben dürfte.

Zu den Einschätzungen (BVerfG-Urteil 1996): Nach übereinstimmenden Aussagen von Helmut Kohl und Michail Gorbatschow waren beide Politiker am 10. und 11. Februar im Büro von Gorbatschow in Moskau übereingekommen, daß die deutsche Wiedervereinigung allein eine Sache der Deutschen selber sei. Die Deutschen selbst sollten die Bedingungen, die Zeit und die Umstände festlegen, unter denen diese Wiedervereinigung geschehen sollte. Entsprechend bestätigte Kanzler Kohl auf der Gangway des Flugzeuges in Köln/Wahn am 12. Februar 1990 auf Fragen der wartenden Journalisten nach den Bedingungen für die Wiedervereinigung: "Es gibt keine Bedingungen." Der oberste Regierungsvertreter bestätigte also, daß es keine Einschätzung der Regierung Kohl gegeben habe. Es blieb seinem Kanzleramtsminister Bohl vorbehalten, in der Chronologie vom 1. Septemer 1994 das Gegenteil zu behaupten. Diese Chronologie ist inzwischen in wesentlichen Teilen als Fälschung entlarvt worden. Sie wurde einzig und allein geschrieben, um den Prozeßbetrug der Kohl-Regierung in Karlsruhe zu verschleiern.

Führende Politiker kennen inzwischen die inneren Zusammenhänge dieses Themas genau und wissen auch, daß ein Untersuchungsausschuß die Wahrheit zutage fördern würde, die für führende Mitglieder aller Parteien verheerende Folgen hätte. Die Partei-Spendenaffaire stellen dagegen nur die berühmten "peanuts" dar. Da aber unsere Volkswirtschaft auf Dauer nicht auf mittelständische Arbeitgeber in den neuen Bundesländern, in viel größerem Maße als heute, verzichten kann, weil nur Arbeitgeber auch Arbeitsplätze schaffen, und weil für Helmut Kohl gilt, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, muß endlich vorbehaltlos aufgeklärt werden, damit dieser Staat seinen Rechtsfrieden wiederfinden kann und eine innere Vereinigung dieses Landes endlich möglich wird. Der Fiskus in Deutschland darf sich nicht am Unrecht bereichern, und der Rechtsstaat wurde von den Bürgern der DDR nicht angestrebt, damit Unrecht perpetuiert werden kann. Wenn gerade heute von Politikern aus Mitteldeutschland, so Arnold Vaatz (CDU-Dresden), Günter Nooke (CDU-Brandenburg) und Christine Ostrowski (PDS-Dresden), die Forderung nach Rückgabe der noch im Staatsbesitz befindlichen Immobilien an die rechtmäßigen Eigentümer unterstützt wird, so läßt dies aufhorchen und darf als ein hoffnungsvolles Zeichen für den Durchbruch der Gerechtigkeit gelten.


 
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