© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/00 02. Juni 2000

 
Virtueller Journalismus: Gefälschte Interviews im Dienste der Wahrheit
Grenzen überwinden
Andreas Wild

Manchmal fallen Betrügern interessante, fast hinreißende Rechtfertigungen für ihre Taten ein. Jener Herr aus der Schweiz etwa, der der Süddeutschen Zeitung, aber auch der FAZ, der Zeit, dem Spiegel, jahrelang gefälschte, frei erfundene Interviews mit Hollywoodstars und Hollywoodsternchen ins Haus lieferte, erklärt heute, endlich entlarvt und zur Rede gestellt, er habe doch nur "die üblichen Definitionen von Realität und Virtualität in Frage stellen wollen". Das heißt nun wirklich, modern, ja, geradezu pfingstlich argumentieren. Den Mann wird man sich merken müssen.

Es komme für einen Journalisten darauf an, erläutert er, "die Wahrheit" aus einem Star herauszukitzeln. Andererseits: "Was ein solcher Star unter PR-Kontrolle sagt, beleidigt den klugen Menschen. Ich wollte eben etwas anderes machen als all jene, die sich damit abgefunden haben, PR-Journalismus zu betreiben. Ich wollte die Medientheorie erweitern und den Magazinen Schillerndes abliefern."

In solchem Statement steckt gleich dreifacher pfingstlicher Ehrgeiz. Erstens beansprucht der Interviewer, in "fremden Zungen" zu sprechen. Er ist nicht mehr er selbst, sondern ist zum bloßen Sprachrohr geworden, es redet einfach aus ihm heraus, er kann gar nicht anders, der Heilige Geist ist in Form des "Schillernden" über ihn gekommen.

Zweitens weiß er mit hundertprozentiger Sicherheit, daß es "die Wahrheit" ist, die da aus ihm herausbricht. Mit wachsendem Zorn hat er in der Vergangenheit all die PR-gelenkten Verlautbarungen registriert, die die Stars und Sternchen von sich gaben, immer klarer wurde ihm, daß das nichts als Beleidigungen für alle klugen Menschen waren, ein Hohn auf die in Wahrheit doch so schillernden Stars. Er also, Herr Kummer aus der Schweiz, mußte kommen, um dieser köstlichen Wahrheit ans Licht zu helfen.

Er war auserwählt, er hatte einen apostolischen Auftrag! Und daß ihm die Süddeutsche Zeitung, an die er die meisten seiner Interviews verkaufte, trotzdem keinen festen Vertrag gab, war unter diesem Aspekt doppelt unverständlich. Hatte deren für ihn zuständiger Redakteur, Ulf Poschardt, nicht ständig vom "Borderline-Journalismus" gesprochen, den man betreiben müsse, vom Journalismus an der Grenze, vom Journalismus als Grenzerfahrung? Wieso dann dieses letzte Zögern, dieser ausbleibende feste Vertrag? Das war ja geradezu eine Sünde wider den Heiligen Geist.

Schließlich ging es hier, drittens, nicht nur um Schillerndes, sondern um die Kommunikation als solche und überhaupt, um die Medientheorie, die verändert, zumindest erweitert werden mußte. Wenn sogar das glamouröse Wirken der Stars und Sternchen in Hollywood von den PR-Agenturen künstlich vergraut und verlangweilt werden konnte (so daß ein Kummer kommen mußte, um dem abzuhelfen), wie mußte es dann erst auf den übrigen Gebieten des Lebens aussehen! Alles vergraut, alles verlangweilt!

Frei schweifende, vertraglose Journalisten à la Kummer müssen her, um das ins Lot zu bringen. Das Medium ist nicht nur, wie es noch Marshall Mc Luhan gesehen hat, die Botschaft, sondern das Medium, das frei schweifende, vertraglose, unkontrollierte Medium, ist von vornherrein die Wahrheit, die Wahrheit an sich und für andere, die Wahrheit als Wahrheit gewissermaßen, die Überwahrheit. In dieser Erkenntnis besteht die notwendige Erweiterung der Medientheorie.

Dergleichen läßt sich gewiß nicht als bloße Verteidigungsrede eines in die Ecke getriebenen Revolverjournalisten abtun, dazu war Herr Kummer zu lange mit seinen gefälschten Sachen erfolgreich unterwegs. Und es waren ja die sogenannten feinen Adressen des bundesdeutschen Medienwesens, die ihm aufgesessen sind, die seine Sachen mit Kußhand einrückten, obwohl es sich durch die Bank um eitles, leeres Geschwätz handelte, um Banalpsychologie und rotzige Sprüche, wie sie halt die moderne Rüpelgesellschaft konsumieren will. Was ist da passiert?

Bekanntlich ist Kummer nicht der erste, der unsere Medien kontinuierlich mit Fälschungen versorgte und erst spät entlarvt wurde. Die Medien, und zwar keineswegs nur die Bild-Zeitung und RTL, sondern auch die Süddeutsche Zeitung und die ARD; sind regelrecht süchtig nach gefälschten Geschichten, zum Beispiel nach pikanten Mitteilungen aus Hollywood oder Horrorgeschichten aus der "rechten Szene", die viel zu pikant bzw. viel zu horrorhaltig sind, um nicht leicht als Fälschungen durchschaut zu werden. Aber man will sie eben gar nicht durchschauen, sie passen viel zu gut ins Vorurteil, so daß man nach ihrer Herkunft gar nicht mehr fragt.

Sehr bezeichnend für die in den Redaktionen eingerissene Mentalität, daß der Hollywood-Kummer nur deshalb als Fälscher enttarnt wurde, weil er Eifersucht bei journalistischen Kollegen erregte. Die Stars und ihre PR-Agtenen hielten still, sei es, weil Hollywood fern ist und die deutschen Medien dort nur selten zur Kenntnis genommen werden, sei es, weil sie den unentgeltlichen PR-Wert der getürkten Interviews erkannten und sie im nachhinein halb und halb autorisierten. Für sie hätte das offenbar ruhig so weitergehen können.

Aber wie gesagt, die neidischen Kollegen legten Kummer am Ende das Handwerk. Sie, die nie was erfinden (weil sie gar nichts erfinden können), die sich ordentlich bei den PR-Agenten anmelden und immer brav nachschreiben, was ihnen von denen in denLaptop diktiert wird, sie begehrten auf und wollten endlich wissen, ob denn Kummers Interviews tatsächlich stattgefunden hätten.

Kummer selbst, so hört man nun, habe die besten Chancen, PR-Agent bei Bruce Willis oder Demi Moore zu werden, mit einem festen Vertrag und der ausdrücklichen Erlaubnis zu frei schweifender Phantasie. Der Kreis schließt sich. Das Publikum ist selber schuld.


 
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