© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/00 09. Juni 2000

 
Wachsender Überdruß
Warum Horst Möller die Laudatio auf Ernst Nolte gehalten hat
Karlheinz Weißmann

Der Historikerstreit ist immer noch nicht zu Ende. Man konnte das gelegentlich der Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises an Ernst Nolte am 4. Juni in München deutlich erkennen. Johannes Willms hatte das Startsignal für die Hatz gegeben, mit einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung unter der sinnigen Überschrift "Die Fahne hoch", selbstverständlich zogen die Blätter der extremen Linken nach, und irgendwann war nur noch offen, wie sich die bürgerlichen Gazetten verhalten würden.

Man schien anfangs geneigt, von der Sache kein Aufhebens zu machen, bis der Brief des Berliner Historikers Heinrich August Winkler an den für die Preisverleihung vorgesehenen Laudator Horst Möller bekannt wurde, in dem er den Leiter der Instituts für Zeitgeschichte mahnte, "Schaden" von seiner renommierten Einrichtung abzuwenden und auf ein Erscheinen bei der Deutschland-Stiftung zu verzichten. Daraufhin folgten alle brav der ausgegebenen Parole, versicherten, daß die Prinzipien der Meinungsfreiheit auch für "umstrittene" Historiker wie Ernst Nolte gelten müßten, aber eine solche gleichermaßen offizielle Anerkennung als "Skandal" (Jacques Schuster in Die Welt) oder auch als "skandalös" (Uwe Justus Wenzel in der Neuen Zürcher Zeitung) zu betrachten sei; in der FAZ begnügte sich Rainer Blasius mit der rätselnden Überlegung, "wie Möller die wissenschaftlich und politisch nötige Kritik an Preisträger Nolte (…) mit seiner Bewunderung für Teile von Noltes Oeuvre in Einklang bringen" werde.

Es ist natürlich kein Zufall, daß Winkler im Zusammenhang mit seinem Angriff auf Nolte wortwörtlich denselben Vor wurf wiederholte, den er schon 1986 gegen ihn gewendet hatte, nämlich den der "nationalapologetischen" Machination. Damals stand dieser Vorwurf im Zusammenhang mit dem Historikerstreit, der durch Noltes Text über die "Vergangenheit, die nicht vergehen will" in Gang gesetzt worden war und die geistige Landschaft Deutschlands nachhaltig geprägt hat.

Hier ist nicht der Ort, erneut die Frontlinien dieser Auseinandersetzung zu beschreiben. Nur soviel sei gesagt: Obwohl Noltes Behauptung von der "Schreckbild"-Funktion des Bolschewismus für den Faschismus und den Nationalsozialismus im Ernst von keinem Quellenkundigen bestritten werden kann, und obwohl nach der Veröffentlichung des "Schwarzbuchs des Kommunismus" eigentlich auch niemand mehr in Abrede stellen darf, daß der "rote Holocaust" dem "braunen" jedenfalls in den Dimensionen ebenbürtig war, haben die Gegner Noltes geschichtspolitisch gesiegt. Ihre Reaktion auf die Preisverleihung hat das nur neu bestätigt.

Wie ist dieser Sachverhalt zu erklären? So wie "Paradigmenwechsel" (Thomas S. Kuhn) immer zu erklären sind: Die Träger der herrschenden Leitidee werden nicht
"widerlegt", sie werden alt, und die Jüngeren haben nicht recht, sie stoßen nach. Der Historikerstreit – das läßt sich erst im nachhinein ganz deutlich erkennen – war so etwas wie der Endsieg der Flakhelfer-Generation in der Geschichtswissenschaft. Die vor allem von Jürgen Habermas immer wieder vorgebrachte Insinuation, die "Viererbande" (Nolte, Andreas Hillgruber, Klaus Hildebrand, Michael Stürmer) habe die Übernahme der kulturellen Hegemonie geplant, indem sie den Deutschen eine neue, um jedes Verantwortungsbewußtsein für das NS-Regime bereinigte, Identität andiente, war ein klassisches Ablenkungsmanöver, das nur ein Ziel hatte: eben selbst das historische Bewußtsein der Deutschen zu beherrschen, indem man dieses allerdings ausschließlich auf die kollektive Schuld (wahlweise Verantwortung oder Scham) bezog. Trotz der Dürftigkeit ihrer Argumente haben sich Habermas und seine Anhänger durchgesetzt, die Isolation Noltes und die unbestrittene Möglichkeit, einen Gelehrten dieses Formats zur bête noire zu machen, sprechen für sich.

Deshalb bleibt nur zu fragen, ob das jüngste Vorgehen von Winkler als Nachtreten gewertet werden muß oder ob hier noch etwas anderes ins Spiel kommt. Das gewisse Desinteresse an der Person Noltes
in der Äußerung Winklers berechtigt zu Spekulationen. Wahrscheinlich hat er ganz bewußt den Angriff auf Möller konzentriert. Er wittert wie viele der Zunft in ihm den Dissidenten, und er hat Grund dazu. Wer den Weg Möllers in den vergangenen Jahren mit einer gewissen Aufmerksamkeit verfolgte, konnte eine deutliche Verschiebung in seiner Aussage beobachten. Aber erst in den neunziger Jahren wurde erkennbar, daß Möller wachsenden Überdruß an der moralischen Haupttendenz der Zeitgeschichtsschreibung empfand.

In einem Beitrag zur Debatte um den fünfzigsten Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1995 äußerte er als einziger etablierter Historiker seine Zweifel an einer Interpretation dieses Datums als Jahrestag der Befreiung. Daß Möller anders als viele seiner Fachgenossen das "Schwarzbuch" ausdrücklich positiv aufgenommen hat und die Wehrmachtsausstellung kritisierte, machte ihn schon zum Gegenstand antifaschistischer Wachsamkeit, daß er sich davon so wenig wie von den scharfen Tönen vor der Preisverleihung an Nolte beirren ließ, zeigt, daß er schwerer einzuschüchtern ist als die Mehrzahl akademischer Funktionsträger.

Damit wird nicht behauptet, daß Möller auf die Seite der "Rechten" gehört – Politisches spielt hier wahrscheinlich nur eine sekundäre Rolle. Aber man kann das Verhalten Möllers als Symptom nehmen für die allmähliche Zersetzung der bestehenden Dominanzverhältnisse im geistigen Raum. Neben dem Paradigmenwechsel durch den Sieg der Jungen über die Alten gibt es auch den Prozeß der Erosion in der kulturellen Hegemonie. Der Untergang intellektueller Großreiche hat Ähnlichkeit mit dem politischer. Manchmal verschwinden sie, ohne daß noch eine Schlacht geschlagen wird: not with a bang, but with a whisper.


 
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