© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/00 09. Juni 2000

 
Nachtrag zum Historikerstreit
Der Historiker Ernst Nolte erhielt in München den Konrad-Adenauer-Preis für Wissenschaft
Philip Plickert

Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft", schrieb George Orwell in seinem Roman "1984". Der Kreis schließt sich, denn wer "die Gegenwart kontrolliert, der kontrolliert die Vergangenheit". Und wer die herrschenden Geschichtsdogmen anzuzweifeln wagt, der muß bekämpft werden, muß ins gesellschaftliche Abseits verdrängt werden. Der Historiker und Geschichtsphilosoph Ernst Nolte wurde im Zuge des Historikerstreits von 1986 von einer publizistischen Übermacht unter Führung von Jürgen Habermas zur wissenschaftlichen "Unperson" erklärt. Mit der Zeitenwende 1989/90 sowie dem Erscheinen von Stéphane Courtois’ "Schwarzbuch des Kommunismus" bekam der Triumph der Gutmenschen einen faulen Beigeschmack. Die Wogen haben sich seitdem etwas geglättet, doch die deutschen Medien konnten sich immer noch zu keinem fairen Umgang mit Nolte entschließen, geschweige denn zu einer Rehabilitierung. So geistert er als der "einsame Wolf" (Hermann Rudolph) durch den deutschen Blätterwald, vor dessen verwerflichen Thesen man sich hüten müsse.

Am 4. Juni erhielt Nolte den mit 10.000 Mark dotierten Konrad-Adenauer-Preis für Wissenschaft der CDU-nahen Deutschland-Stiftung. Mit dem Preis zeichnet die Stiftung seit 1967 alle zwei Jahre verdiente Persönlichkeiten für ihr Lebenswerk aus. Bei der ersten Preisverleihung erklärte Adenauer: "Ich möchte, aus ganzer Seele möchte ich, daß das deutsche Volk von der Jugend bis zum Alter wieder gesundet. Und dazu soll auch die Deutschland-Stiftung ihr Scherflein beitragen." Zu den bisherigen Preisträgern für Wissenschaft gehören neben anderen Arnold Gehlen, Hans-Joachim Schoeps, Karl Steinbuch, Helmut Schelsky, Andreas Hillgruber, Michael Wolffsohn und Hans-Peter Schwarz.

Die Laudatio auf Ernst Nolte hielt der Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ), Horst Möller. Einige linke Medien unternahmen etwas müde Versuche, einen Skandal auszurufen. Angela Merkel, die noch vor zwei Jahren bei der Deutschland-Stiftung die Laudatio auf den letzten Preisträger, Wolfgang Schäuble, gehalten hatte, bekundete, sie habe "persönliche Schwierigkeiten mit dem Preisträger". Der Berliner Historiker Heinrich August Winkler verschickte einen Brandbrief, um die Laudatio Möllers zu verhindern. Noltes Name, schrieb Winkler, sei "unauslöschlich mit dem Versuch einer Revision des deutschen Geschichtsbilds in nationalapologetischer Absicht verknüpft". Seine Thesen ließen sich "seit langem von denen der äußersten Rechten kaum noch unterscheiden". Es dürfe in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entstehen, der Direktor des IfZ halte "für vertretbar oder zumindest tolerabel, was Nolte zum Thema Nationalsozialismus seit Mitte der achtziger Jahre gesagt hat".

Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte einen Artikel zu Nolte mit der polemischen Überschrift "Die Fahne hoch!" Wieder einmal übte sich die SZ mit einem entstellenden Zitat in der Kunst des Rufmords: In der fetten Balkenüberschrift über einer halben Seite mit Leserbriefen unterstellte sie Nolte, er habe "Eiskalt den Völkermord geleugnet". Bei dieser Formulierung war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens. In einem der Briefe hieß es dann, Nolte habe "die Einmaligkeit des eiskalt generalstabsmäßig geplanten Völkermords der Nationalsozialisten" geleugnet. Das macht doch einen kleinen Unterschied! Im übrigen konzentrierte die SZ ihre Angriffe auf das Institut für Zeitgeschichte und dessen Direktor. Die Zeitung erging sich in Abgesängen auf das "einst hochrenommierte Institut". Schauerliche Dinge geschähen in der Münchner Leonrodstraße, etwa eine "polemische Auseinandersetzung mit Ralf Giordanos These von der zweiten Schuld" und "der Versuch, die Wehrmacht anhand der Irrtümer in der Hamburger Ausstellung wieder weiß- und reinzuwaschen".

Bei der Preisverleihung an Ernst Nolte im Herkulessaal der Münchner Residenz betonte der Vorsitzende der Deutschland-Stiftung, Adelbert Reif, man solle die "volle Wahrheit über die deutsche Geschichte aussprechen, auch das, was die meisten nicht zur Kenntnis nehmen wollen". In Vertretung des Bayerischen Ministerpräsidenten sprach für den Freistaat der Minister Reinhold Bocklet. Er nannte Nolte einen vielbeachteten Historiker, der bahnbrechende Erkenntnisse über den Faschismus vermittelt habe. Auch der Europa-Abgeordnete Bernd Posselt (CSU) gratulierte Nolte und nannte ihn einen Dorn im Auge all derer, die den antitotalitären Grundkonsens durch eine Antifa-Ideologie abzulösen suchten.

Mit Spannung lauschten die Gäste in der Münchner Residenz anschließend Horst Möller. Der suchte sich gegen Angriffe mit einer von ihm selbst als "ungewöhnlich" bezeichneten Vorbemerkung abzusichern: Das Lebenswerk von Nolte sei von hohem Rang und unverwechselbarer Eigenart. International habe es so großes Aufsehen erregt wie kaum ein zweites aus dem deutschen Sprachraum. Doch stimme er nicht mit den Passagen überein, in denen Nolte im Sinne eines "historischen Verstehens" die Intentionen Hitlers nachvollziehen wollte. Mit Joachim Fest könne er aber sagen, daß "die Verhältnisse und die Köpfe doch sehr verdreht" sein müßten, um daraus einen Vorwurf der "Apologie" gegen Nolte abzuleiten. Die Morde des Bolschewismus könnten diejenigen der Nationalsozialisten genausowenig rechtfertigen wie umgekehrt. Besorgt äußerte er sich zur Meinungsfreiheit in Deutschland; eine kontroverse Diskussion werde nur zu oft mit Haß geführt. Die Grundthese Noltes von wechselnden Beziehungen zwischen den großen Totalitarismen teilte Möller ausdrücklich. Insbesondere für die stalinistische Sowjetunion habe das "Schwarzbuch des Kommunismus" die Berechtigung von Noltes Interpretationsansatz bestätigt. "Ohne daß deshalb schon die Antworten oder alle Einzelheiten seiner Interpretation zutreffen", beeilte er sich hinzuzufügen.

Ernst Nolte, der sich über die Ehrung sichtlich freute, sagte in seiner anschließenden Rede, er schulde der Deutschland-Stiftung "außerordentlichen Dank". Dann kam er zum "heikelsten Punkt" der Zeitgeschichtsforschung: "Wer das welthistorische Phänomen des Bolschewismus als der gewalttätigen Erscheinungsform des Sozialismus ernst nimmt, der kann die stärkste aller Gegenbewegungen nicht auf ‘pure Wahnideen’ reduzieren." Für die Jahre nach 1968 macht Nolte ein "negativ-germanozentristisches" Paradigma aus. "Es bezog sich in den Hervorbringungen einer schuldlos-schuldbekennenden Generation unter Vernachlässigung der elementarsten Postulate der Wissenschaft immer exklusiver auf Deutschland." Dieses Paradigma, so Nolte, tendierte immer mehr dazu, "Einzigartigkeit" als "Einzigkeit" oder eine Art "Schwarzes Loch" zu verstehen, das allem Begreifen entzogen sei.

An den Schluß seines Vortrages setzte der Preisträger drei Forderungen: Die "kollektivistische Schuldzuschreibung" müsse ebenso überwunden werden wie die Auffassung, immer das Gegenteil des vom Nationalsozialismus Erstrebten sei gut und richtig. Diese "innere Abhängigkeit" verschließe eigene Wege. Als letztes überraschte er mit einer eigenwilligen Interpretation des geplanten Holocaust-Mahnmals in Berlin. "Niemand hat je behauptet, daß sein Bau auf einer Mehrheitsmeinung beruht, er ist vielmehr das Werk einer selbsternannten ‘wissenden Minderheit’." In gleicher Weise wie das totale Vergessen sei auch eine "totale Erinnerung" widermenschlich. Niemand dürfe aber "einzelne Deutsche und sogar die Mehrheit der Deutschen und gleichgesinnte Ausländer" daran hindern, "die einseitige Erinnerung zu erweitern und das Mahnmal so anzusehen, als wäre es ‘allen Opfern der Ideologiestaaten des 20. Jahrhunderts’ gewidmet".

 

Otfried Preußler erhält Adenauer-Preis

Der 1923 in Nordböhmen geborene Otfried Preußler, Autor von Kinderbüchern, ist der diesjährige Konrad-Adenauer-Preisträger für Literatur. Die Deutschland-Stiftung zeichnet damit sein Lebenswerk aus, das so erfolgreiche Titel wie "Das kleine Gespenst", "Der Räuber Hotzenplotz", "Krabat" und die "Kleine Hexe" umfaßt. "Die Kinder wollen keine Lehrstücke", sagt Preußler, "sondern Geschichten, die der Phantasie Nahrung geben und ihnen auf dem Weg der Poesie helfen, mit manchen Ängsten besser fertig zu werden." Seine Bücher wurden in rund 45 Sprachen übersetzt und erreichten bislang eine Gesamtauflage von 200 Millionen Exemplaren.


 
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