© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/00 09. Juni 2000

 
Plötzlich stammt Opa aus "Wroclaw"
Deutschland: Ostdeutsche Kultur und Heimatpflege wird rigeros abgewickelt – Ortsnamen werden slawisch
Albrecht Jebens

Während der roten Diktatur in Ostmitteleuropa gab den Witz: "Wer ist mächtiger als der liebe Gott? Antwort: Die Hofgeschichtsschreiber der Kommunisten, denn diese beschreiben nicht nur die Gegenwart und kennen – dank der ’wissenschaftlichen‘ Lehre des Marxismus-Leninismus – die Zukunft, sondern können nachträglich die Vergangenheit ändern."

Dieser Witz, der als überholte Marotte eines untergegangenen totalitären Systems abgetan werden könnte, findet nun allerdings im angeblich "freiesten Staat der deutschen Geschichte" eine mehr als beklemmende Entsprechung. Denn seit kurzem werden jene unserer Landsleute, die 1945 und danach von den Sowjets, Polen, Tschechen und Jugoslawen aus ihrer jahrhundertealten deutschen Heimat vertrieben wurden (weil sie Deutsche waren!) nachträglich von unseren Behörden sogar zu Angehörigen der Vertreiberstaaten "umgeflaggt". Wie das? Ihnen werden bei der Ausstellung neuer Personalpapiere in Baden-Württemberg die Orte ihrer Geburt mit dem Zusatz "Polen" usw. gekennzeichnet, so als ob ein fiktiver "Anton Maier", 1925 in Breslau geboren, damals schon "in Polen" zur Welt gekommen sei. Danach wären logischerweise auch Kant und Schopenhauer, Adolpf Renzel oder Baron Manfred von Richthofen ebenfalls in der "Russischen Föderation", in Polen oder Slowenien geboren worden; auch der amtierende Bundestagspräsident Thierse – geboren in Breslau –, dem das allerdings wohl recht gleichgültig wäre, käme aus Polen.

Handelt es sich hier um das Versehen von "politsch korrekten", dienstbeflissenen subalternen Beamten, womöglich Mitgliedern einer linksextremen Partei? Mitnichten; die Persönlichkeitsfälschung hat Methode; die Anweisung kommt von "oben", von "ganz oben". Angeblich, so heißt es, entspräche diese neue Richtlinie neuen Verordnungen der EU; es fragt sich nur, wann auch noch die deutschen Ortsnamen, die bis 1945 auf deutschen Personalpapieren in der alten Heimat eingetragen wurden und die völkerrechtlich bis 1990 für uns jedenfalls verbindlich waren, gegen die fremdsprachigen ausgetauscht werden, wann also Anton Maier 1925 wirklich in "Wroclaw (Polen)" geboren ist. Hinter dieser zweiten, geistigen Vertreibung aus der alten Heimat steckt wie gesagt leider Methode, denkbar allerdings nur in der geschichts- und gesichtslosen durch und durch umerzogenen, sich mittlerweile selbst hassenden "Gesellschaft der Täter", früher einmal "deutsches Volk" genannt.

Diese zweite, lautlose Vertreibung bringt zwar niemanden körperlich um, aber sie löscht geistig die Identität unseres Volkes in den alten Ostgebieten aus, so als ob es dort im Grunde genommen kein deutsches Volk, kein deutsches Land gegeben habe. Deshalb ist diese zweite Vertreibung fast noch die schlimmere, wird sie diesmal doch von uns selbst ins Werk gesetzt!

Aufmerksame konnten den Beginn dieser erneuten Vertreibung allerdings schon mit den Ostverträgen Anfang der siebziger Jahre und massiv dann seit dem 2+4-Vertrag 1990 mitbekommen, als innerhalb kürzester Zeit in allen deutschen Print- und elektronischen Medien aus dem bisherigen Mitteldeutschland "Ostdeutschland" wurde. Den Anwälten der Vertriebenen (wie lange wird es diesen Begriff noch geben dürfen?), also dem Bund der Vertriebenen (BdV) und den immer noch zahlreichen anderen Organisationen, schwindet zusehends die Möglichkeit der Gegenwehr, seit der "Staatsminister für Kultur und Medien" Michael Naumann – angesiedelt beim Bundeskanzler – rigoros den Kultur- und damit Medienbereich der Vertriebenen zusammenstreicht, sich pikanterweise dabei aber auf Pläne der 1998 abgewählten CDU/FDP-Regierung berufen kann.

So wurde von ihm Ende 1999 die Stiftung Deutschlandhaus in Berlin suspendiert, Mitte dieses Jahres verlieren die "Kronjuwelen" der Vertriebenen, die Stiftung Ostdeutscher Kulturrat und die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, ihre staatlichen Fördermittel und werden nur noch als fusionierte Schrumpfstiftung privatrechtlicher Art weiterbestehen. Für 2001 stehen bereits die nächsten Opfer fest: Die "nichtmusealen" Bereiche der Stiftung Haus Oberschlesien und der Stiftung Kulturwerk Schlesien; außerdem befindet sich der Göttinger Arbeitskreis, der sich mit rußlanddeutschen Themen befaßt, im Fadenkreuz Naumanns.

Wer sich in der Kulturszene der Vertriebenen auskennt, weiß, warum dieses Abräumen im Vertriebenenbereich fast stillschweigend hingenommen wird, außer in den Zeitungen der Vertriebenen selber. Die Methode Naumanns heißt divide et impera (teile und herrsche). In der Hoffnung, den Suspendierungs- oder zumindestens Streichungsplänen des Naumanns zu entkommen, gibt es unter den zahlreichen Vertriebeneninstitutionen so gut wie keine Solidarität, keine gemeinsame Abwehr, nur Lippenbekenntnisse und papierne Resolutionen. Einigen Institutionen gelang es, aufgrund der Fürsprache mächtiger Verbündeter – sogar aus dem östlichen Ausland –, den "Reorganisationsplänen" Naumanns einstweilen zu entkommen, so können etwa das Nordostdeutsche Kulturwerk in Lüneburg, die (ostdeutsche) Künstlergilde Esslingen und das Bundesinstitut für ostdeutsche Kultur und Geschichte in Oldenburg weitermachen. Andere Institutionen hingegen, wie die obengenannten ohne Verbündete, gehen völlig unter.

Das Fazit lautet, daß die Bundesregierung Schröder/Fischer den Kulturbereich der Vertriebenen nicht nur strafft, wofür Verständnis vorhanden gewesen wäre, sondern darüber hinaus die Vertriebenenverbände völlig entmachtet, musealisiert, in den "Elfenbeinturm" der Wissenschaft einsperrt und damit aus dem Blutkreislauf der Nation so ausscheidet, daß auch unter anderen politischen Vorzeichen keine Wiederbelebung, keine Bewußtwerdung unserer ostdeutschen Heimat und Geschichte im Volke möglich erscheint. Ein einfältiger Tor allerdings müßte derjenige sein, der hofft, Remedur in diesen Dingen könnte eine neue christdemokratisch geführte Bundesregierung schaffen. Dafür reicht weder das Wissen noch der Wille noch gar das Bewußtsein der neuen jungen Herren und Damen bei der gegenwärtigen Opposition aus. Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer aus Südwest, vielleicht bedingt durch die im Frühjahr 2001 anstehende Landtagswahl? Denn die schwarz-gelbe Landesregierung hat entschieden, daß künftig an baden-württembergischen Schulen die Flucht und Vertreibung der Deutschen nach 1945 zum Pflichtlehrstoff wird – angesichts der aktuellen "ethnischen Säuberungen" im heutigen Europa. Nur: Wäre es nicht überzeugender, wenn erst einmal der "Anton Maier" 1925 in seiner deutschen Heimat Breslau weiterhin geboren bleibt?

 

Albrecht Jebens ist Geschäftsführer der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat in Bonn


 
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