© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/00 09. Juni 2000

 
Die EU-Erweiterung als Herausforderung
Ostpreußen: Das Pfingsttreffen der Ostpreußen in Leipzig im Zeichen von EU und Globalisierung
Mario Gallon

In der Heldenstadt Leipzig werden sich heuer wieder zahlreiche Ostpreußen und Freunde der gesamtdeutschen Sache zum traditionellen Pfingsttreffen versammeln. Neben der geliebten Heimatfolklore stehen die Sicherung und Pflege des ostpreußischen Kulturguts und die EU-Ostausdehnung auf der Tagesordnung.

Besonders letzteres Thema birgt spezifisch ostdeutsche Schwierigkeiten. Trotz der Oder-Neiße-Grenzanerkennung durch die deutschen Volksvertreter 1991 sind privatrechtliche deutsche Ansprüche – etwa Grundeigentum betreffend – nach wie vor aktuell. Sie waren bislang aber nicht durchsetzbar. Dies wird und muß sich mit dem EU-Beitritt etwa Polens ändern. Entweder wird den Deutschen wieder die Verfügungsgewalt über ihr Eigentum gewährt, oder sie müssen für den dann endgültigen Verlust entschädigt werden. Rechtlich ist das eindeutig. Aber warum hätte der Königsberger Kant formulieren sollen, daß die Politik dem Recht zu folgen habe, wenn es nicht immer wieder Fälle gegeben hätte, bei denen das den Herrschenden herzlich egal war. Nun wurden bereits 34 Milliarden Mark Lastenausgleich gezahlt. Dieser hat die Betroffenen aber nur für die entgangene Nutzung entschädigt. Jetzt kämen mehrere 100 Milliarden Mark hinzu, die der deutsche Steuerzahler aufzubringen hätte. Schließlich steht Deutschland Ehre in Rede! Bemerkenswert ist, daß die Angelegenheit bei den zahlreichen Konsultationen der deutschen Regierung mit den Nachbarn im Osten offensichtlich nach wie vor ausgeblendet wird. Bezeichnend die Gleichgültigkeit Kanzler Schröders bei seiner Polen-Reise: "Ich habe keine Beziehung zu diesen Forderungen und ich gedenke auch keine herzustellen. Die deutsche Seite wird solche Bedingungen für den EU-Beitritt weder stellen noch sie akzeptieren." Obacht, offenbar wird befürchtet, zum Beispiel Österreich könnte sich zum Sachwalter deutscher Interessen aufschwingen.

So oder so muß eine Lösung her. Denn zuviel siecht im deutschen Osten schon zu lange dahin. So ist es nicht selten, daß lecke Dorfdächer aus Mangel an Ziegeln mit rostendem Wellblech oder durchsichtiger Folie geflickt werden. Und selbst das nur teilweise. Lieber bewohnt man die oberen Räume nicht mehr, stützt die vom Einsturz bedrohten Stuckdecken mit blanken Baumstämmen ab, bis auch diese nachgeben. Kirchen werden als Viehstall, Heizkraftwerk oder Traktorscheune entstellt, und viele Polen lästern schon: "Sollen die Deutschen doch kommen und die Ruinen übernehmen!" Auch die Felder verwahrlosen. Oft verraten Disteln und Nesseln ein verlassenes Land. Und hört man sich in den verschiedenen deutschen Vereinen um, etwa im alten Wasserturm von Lyck, so erfährt man, daß nach der Wende neben einigen Handwerksmeistern vor allem die Bildungselite der noch Ausharrenden in den Westen gezogen sind. Professoren, Ärzte, Lehrer und andere, denen man früher mit allen Mitteln die Ausreise versagte und die auch wegen der deutschen Anerkennung diverser polnischer Maximalforderungen kaum eine Verbesserungsmöglichkeit ihrer trostlosen Lage sahen, kehrten der Stadt den Rücken. So verwundert es dann auch wenig, wenn das Angebot, die noch spärlich besetzte Bibliothek im obersten Geschoß des Turms auffüllen zu helfen, höflich ausgeschlagen wird. Es seien doch nur noch Bauern hier, und die mögen nicht lesen. Ein Bus, mit dem man Fahrten unternehmen könne, das wäre gut, sagt die ältere Vereinsvorsitzende. Doch dann treffe ich doch noch einen jungen Mann, ihren Stellvertreter, der lesen kann und will. Zunächst aber will er zum Deutschlandtreffen nach Leipzig kommen, um zu sehen, was er auch nach abenteuerlichem Klettern in die Turmspitze immer weniger erkennt und wovon ihm doch die zahlreichen Besucher im Turmcafé so viel erzählt haben: daß Ostpreußen lebt!

Deutschlandtreffen der Ostpreußen: Am 10. Juni findet auf dem Leipziger Messegelände die Podiumsdiskussion "Die Vertreibungs- und Entrechtungsdekrete, die EU-Osterweiterung und die europäische Rechtsordnung" statt. Teilnehmer sind u.a. der sächsische CDU-Chef Fritz Hähle, der brandenburgische Justizminister Kurt Schelter und Rainer Fornahl (SPD).


 
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