© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/00 09. Juni 2000

 
Orchideenfächer sind vom Aussterben bedroht
Das pazifische Jahrhundert wird eingeläutet, und die deutsche Asienforschung muß sparen
Imbritt Stüwe

Wem gehört das 21. Jahrhundert? Eine Wissenschaft, die ihren Beitrag zur Beantwortung dieser Frage leisten könnte, führt in Deutschland ein kaum beachtetes Dasein als "Orchideenfach": die unter dem Dach der "Asienkunde" zusammengefaßten historischen, philologischen, politik-, wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die in ihrer Gesamtheit ein multidisziplinäres Forschungsfeld par excellence darstellen.

Anja Osiander und Ole Döring haben jetzt eine umfangreiche Studie vorgelegt, die angesichts der zunehmenden weltpolitischen Bedeutung des asiatisch-pazifischen "Großraums" vor einer Marginalisierung der deutschen Ostasienforschung "als kleines Fach" warnt (Zur Modernisierung der Ostasienforschung, Hamburg 1999). Ihre Bestandsaufnahme der Strukturen der universitären und nicht-universitären Ostasienforschung zu Korea, Japan und China offenbart dem Kenner einmal mehr, wie stark die deutschen Institute hier hinter besser ausgestatteten Einrichtungen der ehemals in Asien "engagierten" Kolonialmächte (einschließlich Australiens) zurückliegen.

Trotzdem hat sich die Ausbildungssituation seit 1990 nicht allein wegen der Verstärkung durch die mitteldeutsche Seminare erheblich verbessert. Das trifft vor allem auf die Chinawissenschaft zu, die ihr Lehrangebot erheblich vergrößern konnte. Sie wurde um neue, an den Universitäten Duisburg und Köln sowie den Fachhochschulen in Ludwigshafen und Reutlingen eingerichtete Studiengänge bereichert, die besonderes Gewicht auf die Vermittlung anwendungsbezogener Kenntnisse legen. Zudem haben sich alle Anbieter, unter dem Druck einer so kontinuierlich steigenden Nachfrage nach Informationen und Analysen über das auf dem Weg zur Weltwirtschaftsmacht befindliche China stärker Gegenwartsproblemen geöffnet. Wie Günter Schucher in seinem "institutionellen Überblick über die Chinawissenschaft an deutschsprachigen Hochschulen" (abrufbar: www.asienkunde.de ) angibt, haben in den Zentren deutscher Chinaforschung, am Hamburger Institut für Asienkunde und der Bochumer Fakultät für Ostasienwissenschaften über 50 Prozent der Magisterarbeiten ein modernes Thema zum Gegenstand.

Gleichwohl wird nicht nur die Chinawissenschaft als noch zu philologisch kritisiert. Da aber die Etatlage den Ausbau der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Teildisziplinen verbietet, laufen die Reformvorschläge darauf hinaus, Praxisnähe durch die Kooperation der Universitäten untereinander und eine Verbesserung interdisziplinärer Verständigung zu steigern und die "wissenschaftliche Dynamik" der Ostasienforschung trotz der relativ geringen Zahl der Forschenden zu steigern. Um den Anschluß an westeuropäische Wissenschaftler nicht zu verpassen, müssen jedoch verstärkt Mittel für Projektförderung fließen.

Was gerade die politikwissenschaftliche Asienforschung selbst unter Sparzwang zu leisten vermag, belegen zwei brillante, fast noch druckfrische Aufsätze des Münchener Chinakenners Peter J. Opitz (Zeitschrift für Politik, Heft 1/2000) und des Indonesienexperten Klaus H. Schreiner (Asien, April 2000). Opitz analysiert die Beziehung zwischen Westeuropa und China und sieht Ansätze für den chinesischen Versuch, mit den Europäern eine strategische Partnerschaft einzugehen, um nach dem Ende der amerikanisch-sowjetischen Bipolarität einer US-"Weltherrschaft" ein "multipolares Weltsystem" entgegenzusetzen. Gehör, so Opitz‘ Fazit, dürfte Pekings Werben aber derzeit nur in Paris finden, wo die französische Elite noch am ehesten bereit zu sein scheint, eine gegen die USA gerichtete EU-Politik der Multipolarität zu betreiben.

Schreiner zieht aus der Untersuchung der regionalen Konflikte in Indonesien den Schluß, daß die zentrifugalen Tendenzen (zu registrieren vor allem auf Sumatra, den Molukken und Irian Jaya) zum Zerfall des Inselreiches führen können, wenn man sich nicht auf die eigenen, schon unter holländischer Kolonialherrschaft erörterten föderalistischen Konzepte der Nationbildung besinnt.


 
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