© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/00 16. Juni 2000

 
PRO&CONTRA
Aktive Sterbehilfe?
Dr. Kurt F. Schobert / Anneliese Kirschner

Unsere freiheitlich-demokratische Verfassung räumt den Bürgern ein Abwehrrecht gegen staatliche Bevormundung ein. Diese Freiheitsrechte haben vor allem im existentiellen Bereich zu gelten. Also dort, wo es um das Persönlichkeitsrecht, das Recht auf Gewissensentscheidung, existentielle Selbstbestimmung und Religionsfreiheit geht, wobei letztere ein Recht auch auf Freiheit von Religion und Kirchen-Dogmen ist. Wer behauptet, Gott habe das Leben gegeben und nur er dürfe es nehmen, soll dies glauben dürfen, nur: Er darf nicht die bevormunden, die dies nicht für sich glauben und für sich in Anspruch nehmen, einen unter Umständen qualvollen Sterbeprozeß von eigener Hand abzukürzen bzw. Ärzte zu bitten, dabei behilflich zu sein. Eine jüngst von der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) bei forsa in Auftrag gegebene repräsentative Meinungsumfrage brachte zutage, daß nur 17 Prozent der Bevölkerung glauben, Gott besitze die Verfügungsgewalt über das Leben. 42 Prozent sind der Auffassung, Gott habe das Leben gegeben, aber der Mensch könne in eigener Verantwortung darüber verfügen. Ein Drittel sieht das Verfügungsrecht beim Menschen als alleinigem Besitzer seines Lebens. Gemäß dem Kommentar zur Europäischen Menchenrechtskonvention hat der Staat zwar die Pflicht, das Leben gegen Eingriffe von Dritten zu schützen, nicht aber, den Träger des Rechts auf Leben vor sich selbst zu bewahren, wenn dieser auf die Ausübung dieses Rechts verzichten möchte. Das Recht auf Leben begründet keine Weiterlebenspflicht. Die Freiheit zum Freitod ist ein Menschen- und Bürgerrecht: "Persönliche Entscheidungsfreiheit und Willensautonomie sind Ausfluß des jedem Menschen zustehenden Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrechts". (Internat. Kommentar zur Europ. Menschenrechtskonvention). Wer das Recht auf Selbsttötung als Selbstmord diffamiert, ist Opfer jahrhundertelanger Kirchendogmatik oder Täter ohne Empathie und Toleranz.

 

Dr. Kurt F. Schobert ist Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS).

 

 

Zur aktiven Sterbehilfe sage ich als Oberin in einem christlichen Sterbe-Hospiz ein entschiedenes und bedingungsloses "Nein". Unsere Hospizarbeit ist etwas anderes als Sterbehilfe. Ein Sterbe-Hospitz ist unbedingt zu unterscheiden von der Sterbe-Hilfe. "Jeder Mensch ist eine unverwechselbare Schöpfung Gottes. Darum sind die Würde und der Wert eines Menschen unantastbar", so ist die biblische Sicht vom Menschen in unserem Grundgesetz verankert. Es gilt also, Würde und Wert des Menschen bis zuletzt zu achten und zu wahren. Dabei hat auch niemand das Recht, sich selbst oder einem anderen zu nehmen, was Gott verliehen hat, nämlich das Leben.

Was also ist zu tun, wenn sich ein Mensch in einer für ihn unaushaltbaren Situation von todbringender Krankheit und Schmerzen befindet? Was ist zu tun, wenn der Todkranke ohne Perspektiven auf Heilung oder Besserung seiner Situation um Hilfe zur Beendigung seines Lebens bittet? Hier kann nicht Tötungshilfe die Grundlage sein, sondern nur die helfende Begleitung, welche die Möglichkeiten der Palliativmedizin vermittelt und psycho-sozial und seelsorgerlich den Todkranken erleben läßt, nicht im Stich gelassen zu werden. Denn das ist der Hintergrund der Tötungsbitte: "Ich kann nicht mehr, ich habe Angst, laßt mich bitte nicht alleine". Der Todkranke soll erfahren dürfen, daß er diese Gedanken, diese Ängste und unendlich viele Fragen haben darf. Hier ist die Chance gegeben, Fragen nach Sinn und Ziel des Lebens und Leidens, nach Frieden mit Gott und Menschen wahrzunehmen, sie miteinander zu bearbeiten und auszuhalten. Geschulter Hospiz-Dienst verbunden mit solider und einfühlsamer Pflege sind eine das Leben bejahende Alternative und eine entschiedene Absage an aktive Sterbehilfe. Die Bitte des Beters aus Psalm 90, die da lautet: "Herr, lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden" sowie die Auferstehungshoffnung der Christen sind Grundlagen für christliche Hospizarbeit.

 

Anneliese Kirschner ist Oberin der Diakonissen-Schwesternschaft Tabea. Die Schwesternschaft gehört zum Verband freikirchlicher Diakoniewerke.


 
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