© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/00 16. Juni 2000

 
Auf beiden Augen blind
Thüringen: Verfassungsschutz-Chef Helmut Roewer mußte von seinem Amt zurücktreten
Dierk Kähler

In der Tat erweist sich die vierte Gewalt, die Informative, für den modernen demokratischen Rechtsstaat als unentbehrlich, um bestimmte Schwächen oder Verfehlungen gesellschaftlicher, politischer oder wirtschaftlicher Größen aufzudecken, zumindest diese aber publik zu machen. So auch im Fall Thomas Dienel.

Nach dem Fernseh-Auftritt des ehemaligen "V-Mannes" Thomas Dienel in der ZDF-Sendung "Kennzeichen D" mußte der thüringische Chef des Verfassungsschutzes, Helmut Roewer, seinen Hut nehmen. In der Sendung gab Dienel nicht nur an, für den Verfassungsschutz in der rechtsextremen Szene tätig gewesen zu sein, dies wäre nichts Besonderes. Überdies behauptete er, diese Kontakte zugunsten der rechten Szene genutzt zu haben. Faktisch seien die Entgelte für seine Informationen in "rechtsextremes Werbematerial" geflossen, was immer damit gemeint sein mag. Dienel war also quasi ein Doppelagent.

Dies scheint den verantwortlichen Verfassungshütern Thüringens der eigentliche Skandal. Zwar ist letztlich dem Sturz des obersten Thüringer Verfassungsschützers eine lange Reihe von Indiskretionen, Fehlern und Versäumnissen vorausgegangen, die den Geheimdienst allzu oft in diskreditierende Schlagzeilen brachte. Da konnte auch der investigative Journalismus in Gestalt von "Kennzeichen D" nicht wirklich mit einer weltbewegenden Neuigkeit aufwarten. Doch brachte dieses Interview den längst fälligen Stein endgültig ins Rollen.

Die Affäre um den Verfassungsschutz-Spitzel Dienel stellt sich dann auch als der unsichtbare und unappetitliche Teil eines Eisberges dar, der sich sowohl als Problem des staatlichen Umgangs mit Rechtsextremisten entpuppte, als auch die Legitimationsängste und die Perspektivlosigkeit der deutschen Geheimdienste nach Ende des Kalten Krieges widerspiegelt. Dienel wäre in diesem Zusammenhang nur das dumme Bauernopfer, wenn er nicht selbst eine traurige Symbolfigur abgäbe.

Vor der Wende war der gelernte Koch aus Weimar hauptamtlicher FDJ-Sekretär. Nach dem Zusammenbruch der DDR 1990 versuchte er sich erfolglos als selbsternannter Sex-Guru und Generalsekretär der "Deutschen Sexliga", mußte aber einsehen, daß für dieses Geschäft seine Qualitäten nicht ausreichten. Wie er auf das Anschlußgleis zu seinem nächsten Betätigungsfeld gelangte, bleibt dunkel. Auf jeden Fall wechselte er zu den Nationaldemokraten in Thüringen, um dort deren Landesvorsitzender zu werden. Doch auch hier fuhr er sein Schiff frontal und ungebremst auf die erstbesten Klippen, denn selbst für die NPD war Dienel untragbar. Sie schmissen ihn wegen seiner Trunk- und Verschwendungssucht kurzerhand aus der Partei.

Immerhin schien er sich auf dem Kampfplatz der Politik wohl zu fühlen, denn flugs gründete Dienel die Deutsche Nationale Partei (DNP). Seinen exzessiven Leitlinien treubleibend, entwarf er ein Programm voller Hetze gegen Juden, Kommunisten, Ausländer und wer sonst noch nicht in sein diffuses Weltbild paßte. Nach dem Tode des Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Heinz Galinski, warf er zwei halbe Schweinsköpfe zusammen mit Schmähschreiben in den Garten der Erfurter Synagoge. Es folgte eine Gefängnisstrafe von knapp drei Jahren.

Nach der Haftentlassung endlich begann die Zusammenarbeit zwischen Dienel und dem Verfassungsschutz, dem er als V-Mann in etwa 80 Schreiben und telefonischen Kontakten zum größten Teil fragwürdige Informationen weitergab, für die er bis 1997 insgesamt 25.000 Mark kassierte. Als er schließlich dem Verfassungsschutz eine Liste unterjubeln wollte, die vom Landeskriminalamt zusammengestellt worden war, riß den Geheimdienstlern der bereits stark angegriffene Geduldsfaden. Offiziell jedoch wurde die Zusammenarbeit wegen der zunehmenden Wertlosigkeit der Berichte abgebrochen, kurzum: Dienels Berichte wurden immer häufiger im Vollrausch verfaßt.

Natürlich ist es völlig legitim, wenn sich der Staat "Maulwürfe" hält, um gezielt an Informationen aus und über bestimmte Gruppen zu gelangen. Doch darf dabei die Glaubwürdigkeit des demokratischen Rechtsstaates nicht auf den Roulettetisch geworfen werden. Daß die Geheimdienste in einer Sinnkrise stecken, dürfte kein Geheimnis mehr sein, das sie zugleich jedoch von ihrer Arbeit so viel verstehen wie der Blinde von der Farbe, zeigt eine neue Dimension von staatlich bezahltem Dilettantismus auf.

Das dem so ist, jedenfalls im Ansatz, zeigt der Fall Dienel. Wie sonst hätte man dieser Gestalt, von der vieles bekannt war, über zwei Jahre hinweg Glaubwürdigkeit unterstellen und ernsthafte Arbeitsergebnisse erwarten können. Wer auf einem solch skandalösen Niveau seine Arbeit erledigt, und dies auch noch im Bewußtsein, dem Staat zu dienen und ihn zu beschützen, der muß auf beiden Augen blind sein. Und das ist der echte Skandal.


 
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