© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/00 16. Juni 2000


Eine abschließende Regelung ist fraglich
Zwangsarbeiterentschädigung: Jetzt fordert auch die Claims Conference Rechtssicherheit
Ivan Denes

Bei den deutsch-amerikanischen Verhandlungen zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern hat es vergangenen Dienstag einen Durchbruch gegeben.Der Schutz deutscher Unternehmen vor Sammelklagen von Nazi-Opfern in den USA sei "weitestgehend gewährleistet", erklärte Unterhändler Otto Graf Lambsdorff. US-Vizefinanzminister Stuart Eizenstat und der Daimler-Benz-Vorstand Manfred Gentz bestätigten diese Einschätzung. In diesem Sinne bemüht sich auch die österreichische Regierung um eine Einigung mit der US-Regierung, so die Wiener Regierungsbeauftragte Maria Schaumayer.

Die US-Regierung will eine Erklärung abgeben, in der sie die Abweisung von Klagen gegen deutsche Unternehmen auf Schadenersatz wegen Aktivitäen während der Nazizeit "als in hohem und andauernden Interesse der USA" bezeichnet. Dies werde im Zusammenhang mit den übrigen Vereinbarungen über die Stiftung "mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, daß alle anhängigen und künftigen Klagen abgewiesen werden und anhaltender Rechtsfrieden eintritt", sagte Eizenstat. Ziel sei es, daß die Stiftung das "alleinige Mittel und Forum für die Lösung aller aus dem Zweiten Weltrkieg rührenden Forderungen gegen deutsche Unternehmen ist". Dies diene den außenpolitischen Interessen der USA und bedeute zwar keinen hundertprozentigen, aber einen "an Gewißheit grenzenden Schutz" vor Sammelklagen. Die mangelnde Rechtssicherheit war der letzte wesentliche Stolperstein in den seit 15 Monaten laufenden Verhandlungen.

Doch es bleibt ein weiteres Hindernis: Im unmittelbarem Vorfeld der am Pfingstmontag stattgefundenen Washingtoner Verhandlungsrunde ist die Claims Conference (Conference on Jewish Material Claims against Germany – JCC) mit einer bisher unerwähnten, völlig überraschenden Forderung hervorgetreten: sie verlangt Rechtssicherheit gegen mögliche Klagen bundesdeutscher Unternehmen. Wie am 11. Juni die New Yorker Korrespondentin der Jerusalem Post, Marilyn Henry, berichtet, habe die JCC vor etwa 30 Jahren Wiedergutmachungsvereinbarungen mit einzelnen deutschen Unternehmen geschlossen. Eine Bedingung der deutschen Firmen war damals, daß die JCC sie gegen jede zukünftige Forderung in derselben Sache von ihrer Verantwortlichkeit entbindet. Offenbar befürcht et die JCC, daß jene Unternehmen, die ihr schon einmal für Zwangsarbeit Entschädigung gezahlt haben und jetzt unter dem Druck der Öffentlichkeit gezwungen werden sollen, ein zweites Mal einzuzahlen (im Zivilrecht gilt das Prinzip non bis in idem!), vor Gericht ziehen könnten.

"Diese Vereinbarungen stellen gewisse rechtliche Fragen, was die Einforderungen einer potentiellen Haftpflicht der Claims Conference betrifft", erläuterte Claims Conference-Direktor Gideon Taylor. "Wir meinen, eine derartige Haftpflicht existiere nicht."

Bisher gab es keine Anzeichen seitens der deutschen Unternehmen dafür, daß die Claims Conference der betreffenden Klausel über ihre Pflicht nachkomme, die Unternehmen vor weiteren Forderungen abzuschirmen, schreibt die Jerusalem Post. Die Verhandlungen über die Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" scheinen zwar abgeschlossen, doch: "Unsere Position ist einfach: wir trachten nach demselben Rechtsfrieden, nach dem auch die (deutschen) Unternehmen trachten", erklärte Taylor. "Wir sind der Überzeugung, wenn der Rechtsfrieden Teil dieser Vereinbarung werden soll, dann wollen wir Rechtsfrieden auf beiden Seiten." Nach Verhandlungen, die sich weit über ein Jahr verlängert haben, klingt dieser Anspruch auf Symmetrie des Rechtsfriedens völlig unglaubwürdig. Die JCC hat bisher zu diesem Thema aus naheliegenden Gründen geschwiegen, ja sie hat geduldet, daß der Tenor der Öffentlichkeitsarbeit der implizierten jüdischen Organisationen sich darauf konzentriert, daß bisherige andere Wiedergutmachungsleistungen nicht aufgerechnet werden. Die betreffenden deutschen Unternehmen haben bisher geschwiegen, weil sie nicht unbegründet gefürchtet haben, daß Verhandlungspartner wie der World Jewish Congress oder die Jewish Agency sie sofort bezichtigt hätten, sie wollten sich der Verantwortung für die Grausamkeiten des NS-Regimes entziehen.

Nun stellt sich heraus, daß die Claims Conference vor 30 Jahren schon einmal für jüdische Zwangsarbeit bei deutschen Unternehmen kassiert hat, ohne daß dies in der breiten Öffentlichkeit bekannt geworden wäre. Wer der JCC es jetzt nahegelegt hat, daß sie hier eine rechtliche Verantwortung trage, schreibt Marilyn Henry nicht, aber ein Zusammenhang mit der Gründung des "Fonds des Jüdischen Volkes" und mit der Übernahme der Verantwortung für die Restitutionsfragen durch die israelische Regierung (siehe JF 19/00) liegt nahe.

Der israelische Minister für Diasporafragen, Michael Melchior, will offensichtlich von der JCC nicht auch die Verantwortung für deren Vertragsbrüche übernehmen und hat sie nunmehr gezwungen, ihrerseits Rechtssicherheit für sich selbst in den neuen Vertrag einzuschreiben.


 
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