© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/00 16. Juni 2000

 
Wieder Anschluß nach Graslitz
Deutsche Bahn: Die Verbindungen zwischen Deutschland und Böhmen wurden deutlich verbessert
Ekkehard Schultz

Während erhebliche Teile der deutschen Ostgebiete, wie etwa Ostpreußen, aber auch Osteuropas, wie Rumänien, immer mehr vom Bahnverkehr abgehängt werden, und auch in Deutschland die Stillegung zahlreicher Nebenstrecken auf der Tagesordnung steht, ist in den letzten Jahren eine deutliche Verbesserung der Zugverbindungen zwischen Deutschland und dem Sudetengebiet festzustellen. So wurde mit dem Fahrplanwechsel am 28. Mai ein weiterer Übergang zwischen Sachsen und Böhmen eröffnet, die Direktverbindung zwischen Klingenthal und Graslitz. Durch die neue Verbindung wird die bislang bestehenden Lücke zwischen den Übergängen Bad Brambach/Voitersreuth/Eger und Johanngeorgenstadt/Breitenbach/Karlsbad geschlossen. Die Betreibung der Teilstrecke erfolgt nach dem neuen Konzept der "Bahn AG": Während das immer noch weitestgehend in staatlichen Händen befindliche Unternehmen den Bau der notwendigen Brücke über die Zwota finanzierte, liegt die Betreibung der Nahverkehrsstrecke in den Händen der privaten "Vogtlandbahn". Bereits heute wird der Verkehr zwischen Zwickau, Reichenbach, Plauen und Bad Brambach von dieser Gesellschaft abgewickelt. Dabei wird nicht nur auf Komfort geachtet, sondern auch auf die Gestaltung der Preise, die für Verbindungen im Tarifgebiet teilweise deutlich unter den Regelpreisen der "Bahn" liegen.

Vor allem für den Wochendverkehr wurden die Verbindungen zwischen Bad Schandau/Schöna/Tetschen ausgebaut. Mit dem Fahrplanwechsel im Vorjahr wurden die bestehenden EC-Verbindungen durch drei Nahverkehrszüge ergänzt. Dieses Angebot, das ursprünglich nur für die Zeit zwischen Mai und Oktober konzipiert war, wurde aufgrund der großen Nachfrage über das Winterhalbjahr verlängert und nunmehr auf fünf Verbindungen (Hin- und Rückfahrt) erhöht. Auch hier werden mit günstigen Preisen Reisende gelockt: Zum einen gelten Vergünstigungen wie das "Schöne-Wochenend-Ticket" auch auf böhmischer Seite. So können an diesen Tagen bis zu fünf Personen den gesamten Raum zwischen Asch und Reichenberg mit den in Deutschland geltenden Fahrscheine kostenfrei nutzen, wobei in der Tschechei auch D-Züge zum "Nahverkehr" zählen. Zum anderen wird im Grenzgebiet bei Benutzung von EC-Zügen grundsätzlich die sonstige Zuschlagspflicht ausgesetzt. Vergleichbare Vergünstigungen gibt es auch zwischen Bayern und Böhmen, etwa bei den Übergängen Selb, Schirnding/Eger und Bayrisch Eisenstein/Böhmisch Eisenstein.

Empfehlenswert für den Sudeten- und Böhmenbesucher sind Orte wie Leitmeritz, Eger, Franzensbad, Marienbad, Teplitz, Böhmisch Leipa, Böhmisch Eisenstein, Schüttenhofen, Bergreichenstein oder Taus, in denen sich Teile des alten Charmes erhalten haben. Aber auch Ausflüge in Städte wie Reichenberg, Karlsbad oder Klattau haben durchaus ihre Reize. Neben diesen Orten sollte jedoch keinesfalls versäumt werden, eine der herrrlichen Gegenden in den landestypischen Mittelgebirgen zu besuchen, von denen an dieser Stelle nur stellvertretend die Regionen der Böhmischen Schweiz, des Riesengebirges oder des Böhmerwaldes erwähnt werden sollen.

Was erwartet den Reisenden in das Sudetengebiet über zehn Jahre nach der sogenannten "samtenen Revolution"? Immer noch sind die zahlreichen Industrieruinen sichtbar, die – nach der Vertreibung der Deutschen und der Inbesitznahme ihrer Vermögenswerte – die Ansiedlung von tschechischen und slowakischen Arbeitern, aber auch von Zigeunern im personell ausgezehrten Land fördern sollten. Daß die planmäßige Ansiedlung letzterer Bevölkerungsgruppe praktisch fast vollkommen scheiterte, ließ sich bereits vor mehr als 30 Jahren an den zahlreichen verfallenenen Häusern und Höfen insbesondere im dörflichen Bereich feststellen. Mittlerweile ist jedoch seit Jahren ein entgegengesetzter Trend erkennbar: Gerade Häuser mit gebietstypischer Architektur, die auf deutsche Vorbesitzer hinweisen, werden bei Sanierungen auf dem Lande bevorzugt. Auch im Bereich der größeren Gemeinden konzentrieren sich die Sanierungsbemühungen auf die Bereiche der Altstädte und der Vorortvillen, die sich oft idyllisch an die Strukturen der typischen Mittelgebirgsgegend anpassen. Dagegen ist der Verfall vieler der in Eile rücksichtslos hochgezogenen Plattenbauten unverkennbar.

Ebenso wie auch im Bereich der deutschen Ostgebiete werden seit dem Fahrplanwechsel die deutschen Bezeichnungen, die bislang in Klammern den slawisierten Bezeichnungen hinzugefügt wurden, in den Fahrplänen der "Bahn AG" nicht mehr verwendet. Dies ist um so bemerkenswerter und ärgerlicher, als es im böhmischen Gebiet einige Wanderführer der Regionen gibt, die sich in der deutschen Übersetzung der traditionellen Ortsnamen und auch Landschaftsbezeichnungen bedienen. So benötigt zumindest der Erstbesucher neben der deutschen Literatur zusätzliche tschechische Karten.

Nicht verschwiegen werden darf auch, daß das Reisen in Zügen der "CD" (Ceske drahy: Tschechische Bahnen) auf manchen Strecken des Sudetenlandes immer noch ein Abenteuer darstellt. Die meisten Nebenstrecken werden nach wie vor eingleisig betrieben. Daher sollte für rund 50 Zugkilometer eine Reisezeit von einer guten Stunde eingeplant werden. Die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der Züge hat sich allerdings in den letzten Jahren deutlich verbessert. Zudem für deutsche Verhältnisse fast undenkbar: Auch an kleinen Knotenpunkten herrscht am Fahrkartenschalter 24-Stunden Betrieb.

Kleine Hindernisse und Unwägbarkeiten brauchen keinen wirklich Interessierten abzuschrecken. Die sich aus den beschriebenen Verbesserungen ergebenden Möglichkeiten, das Sudetengebiet preisgünstig und auf direktem Wege kennenzulernen, sollten genutzt werden. Die (immer noch) große Schönheit dieser Landschaft darf nicht nur dem Billigeinkaufs-Touristen überlassen bleiben. Ohnehin sind die zahlreichen vietnamesischen Kleinhändler auch für Tschechen ein stetes Ärgernis.

 

Fahrgast-Initiative Mare Balticum

Die Fahrgast-Initiative "Mare Balticum" für den Erhalt von Zugverbindungen zwischen Deutschland und Polen hat 2.400 Unterschriften an Bahn-Chef Hartmut Mehdorn übergeben. Die Unterzeichner – darunter zwei ehemalige Deutsche Botschafter in Warschau – bitten die Bahn, die Verschlechterungen für den Reisenden nochmals zu überprüfen.

Proteste daher nicht mehr an die in JF 23/00 genannte Nummer richten, sondern an: DB Reise&TouristikZentraler Kundendialog, Stephensonstraße 1, 60326 Frankfurt a.M oder per Fax: 0 30 / 2 97 - 6 19 19.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen