© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/00 16. Juni 2000

 
Pankraz,
L. de Bougainville und die helle Wut auf Fidschi

Fidschi, sagt George Speight, der Führer des sich schon seit Wochen hinziehenden Aufstands auf den Fidschi-Inseln gegen die ordnungsgemäß gewählte Regierung, stehe vor dem Untergang, es erleide einen "Genozid durch Demokratisierung". Das ist nun ein ziemlich starkes Wort, über das man sich leicht entrüsten kann.

Aber wahr ist, daß die polynesisch-melanesischen Ureinwohner des Archipels in ihrem Land schon seit geraumer Weile nichts mehr zu sagen haben. Die zugezogenen Inder sind mittlerweile in der Mehrheit und verhalten sich bei den Wahlen strikt ethnisch, d. h. sie wählen ausschließlich indische Politiker. Die autochthonen Polynesier müssen ohnmächtig zusehen, wie die "Fremden" überall die Macht übernehmen und sie selbst keinen Fuß mehr in die politische Tür kriegen.

Begonnen hatte das einst mit der britischen Kolonialherrschaft. Die Briten richteten große Plantagen für Zuckerrohr und Baumwolle ein, und da die Polynesier nicht als Landarbeiter darauf arbeiten wollten, wurden massenweise indische Kulis importiert. Indische Händler und Untermanager kamen nach, 1970 wurden die Inseln ein unabhängiges Mitglied des Commonwealth mit Parteien und freien Wahlen und erleichtertem Zuzug nach britischem Vorbild, immer mehr Inder wanderten ein, kriegten auch viel mehr Kinder als die Polynesier, und so gerieten diese schnell in die Minderheit.

Die jetzige Besetzung des Parlaments in der Hauptstadt Suva durch die polynesischen Rebellen, die Gefangennahme des (indischen) Premierministers, die Absetzung seiner Regierung – das alles, erklärt Speight, sei "reine Notwehr". Und der "Große Rat der Häuptlinge", der die Fidschis in vorkolonialer Zeit regierte und der als Schmuck-Institution bis heute erhalten geblieben ist, stimmt ihm zu. Das Militär aber, das inzwischen die Macht übernommen hat, ist tief gespalten, denn viele polynesische Offiziere und Mannschaften tun dort Dienst. Die Situation erscheint aussichtslos.

Nicht viel Phantasie gehört dazu, in den Vorgängen ein Paradigma und Menetekel auch für andere Weltgegenden zu erkennen. "Die Mehrheit, die schlichte numerische Mehrheit muß herrschen": Dieser Satz ist zu einer Art heiligem Glaubensbekenntnis in der modernen Medienwelt geworden, dem buchstäblich alles geopfert wird, zuerst die regionalen Kulturen und Überlieferungen.

Wer fragt denn noch nach Kultur und Überlieferung! Die Kultur der medial vernetzten Masse ist überall gleich, es ist die Kultur der geistigen Abrißbirne, der ungenierten Freisetzung allerunterster Antriebe, obszön garniert mit einigen Phrasen über Demokratie und Menschenrechte. Wenn sich heute irgendwo eine Mehrheit politisch aggressiv in Stellung bringt, dann stets im Stile dieser Abrißbirne und mit den immer gleichen Phrasen.

In Suva kann man es beobachten: Die Mehrheit der Inder, an sich ja Erbe einer alten, farbigen und hochdifferenzierten kulturellen Tradition, prätentiert beim Machtkampf keineswegs auf der Überlegenheit der eigenen Hochkultur über die polynesische Stammeskultur, sondern beansprucht einfach den Part der "Modernität" gegenüber den Polynesiern. Die Macht stünde ihr zu, nicht nur, weil sie nun einmal die Mehrheit stelle, sondern weil sie – eben als Mehrheit – mit den Insignien der Modernität viel besser umzugehen verstehe als die zurückgebliebenen, schwerfälligen Polynesier.

Obwohl die Inder herrschen, ist das Straßenbild nicht typisch indisch, vielmehr weiterhin polynesisch, unterwandert und überspült einzig von den Beton- und Telegrafenverhältnissen der Moderne. Nicht Inder stehen gegen Polynesier, sondern moderne Demokraten (Bürokraten) gegen vormoderne Stammeskrieger, die eher Mitleid denn Zorn verdienen. Die Polynesier sind in toto zur Folkloregruppe im eigenen Land geworden, zu malerischen, drolligen "Überresten", die einen hin und wieder mit exotischen Tänzen erfreuen.

Gegen solche Folklorisierung und Verexotung also richtet sich nicht zuletzt der Zorn des George Speight und des Großen Rats der Häuptlinge in Suva. Die Leute haben erkannt, daß Folklore und Exotismus heute nur noch als Zeichen für Untergang und Genozid genommen werden. "Wir sind nicht gegen Demokratie", sagen sie, "wir sind nur gegen Demokratie als Genozid". Damit stehen sie nicht allein in Ozeanien. Auf Samoa und auf den Marquesas, in Tonga und sogar auf Hawaii – überall regt sich ähnliche Widerspenstigkeit. Das Konzept scheint an Zukunft zu gewinnen.

Man will es sich nicht mehr länger gefallen lassen, daß man als Volk aussterben oder sich assimilieren soll, bloß weil man keine großen Massen auf die Beine stellen kann und der eigene Harem nicht vor Kindern überquillt. Man ist dabei (an der Universität von Hawaii beispielsweise), einen territorialen Imperativ zu artikulieren, der etwa lautet: "Agiere so, daß das Resultat deines Agierens jederzeit und an jedem Ort zu einer erfolgversprechenden Handlungsanleitung für Völker dienen kann, die zur Minderheit im eigenen Land gemacht werden sollen."

Daß es ausgerechnet die augenblicksfrohen und etwas behäbigen Polynesier sind, die über einen solchen neuen Imperativ nachdenken, birgt eine Pointe besonderer Art. Im achtzehnten Jahrhundert, als James Cook, Louis de Bougainville und Georg Forster sie "entdeckten", den aufklärungssüchtigen Europäern von ihrer Schönheit und freien Lebensführung erzählten, galten sie als Zeugen eines möglichen Paradieses hier auf Erden, als "edle Wilde", von denen man – so Rousseau – Demokratie und optimale Sozialorganisation lernen könne. Nicht ganz ausgeschlossen, daß sich diese Informationsart, zeitgemäß abgewandelt, erneuert und für den aktuellen Diskurs Bedeutung gewinnt. Dem Großen Rat der Häuptlinge wäre es zu gönnen.


 
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