© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/00 16. Juni 2000

 
Suche nach dem Absoluten
Kino: "Romance" von Catherine Breillat
Ellen Kositza

Natürlich ist dieser Film eklatant. Er ist es, obwohl es an Nacktszenen und Real-Vögeleien in Bild und Ton und allerorten längst nicht mangelt und obwohl eine feministische Sicht- und Erzählweise, zumal die politisch korrekte der Quotenfrau, beinahe zum guten Ton gehört. Und doch wirkt dieses Werk der skandalträchtigen Altfeministin Catherine Breillat brachial in mehrfacher Hinsicht: durch sein Thema – Sex –, seine Umsetzung – bisweilen pornographisch – und die Konsequenz, die die Hauptdarstellerin zieht.

Werden derzeit dem Medienkonsumenten "Frauenthemen" aufbereitet, so geschieht das selten ohne den stets irgendwie passenden Hinweis auf den soeben vergangenen fünfzigsten Geburtstag des Emanzipationsklassikers "Das andere Geschlecht" von Simone de Beauvoir. Dessen berühmter Kernsatz lautete schließlich, zur Frau werde man nicht geboren, zur Frau werde man gemacht. Breillat, gleichen Alters wie de Beauvoirs Hauptwerk, läßt ihre Heldin ein genau gegenteiliges Fazit ziehen.

Marie (Caroline Ducey-Trousselard) ist Lehramtsreferendarin und frisch verheiratet mit Paul (Sagamore Stévenin). Er liebt sie, sie liebt ihn, über Maßen sogar. Paul schläft seit einiger Zeit nicht mehr mit seiner jungen Frau, die Gründe sind nicht organisch und für ihn nicht in Worte zu fassen. Erotischen Kitzel sucht Paul dagegen bei anderen Frauen, Frauen, die er nie geheiratet hätte. Verletzt durch das abweisende Verhalten ihres Mannes und getrieben dvon dem Wunsch, die tieferen Gesetzmäßigkeiten menschlicher Sexualität zu ergründen, beginnt Marie zunächst ein Verhältnis mit einer blindlings herbeigelächelten Kneipenbekanntschaft (Pornoberühmtheit Rocco Siffredi), ein Abenteuer, das ihr einen ebenso berauschenden wie letztlich ernüchternden Blick auf die Liebe ohne Liebe gewährt. Nur wenig später läßt Marie sich auf eine sadomasochistische Beziehung zum Schulrektor, ihrem Vorgesetzten, ein: Die Lust an der Unterwerfung und das gleichzeitige Bewußtsein der Erniedrigung lassen Marie zunächst zusammenbrechen, und doch verläßt sie auf seltsame Weise gestärkt das bizarre Spielzimmer des Rektors.

Es ist eine reichlich komplizierte Philosophie, die den drastischen Bildern und der Stimme Maries aus dem off hinterlegt ist, Gedanken, die in ihrer Radikalität und ihrer kaum ergründbaren Tiefe eher weiblich-intuitiv zu erfassen sind.

Dabei ist es ein altes Thema, daß es Männer gibt, die mit der Frau, die sie lieben – gewöhnlich ihre Ehefrau –, lieber nicht geschlechtlich verkehren wollen. Sie tun es im Bewußtsein, ihr etwas eigentlich Ungehöriges zuzumuten, und ist die Gattin einmal geschwängert, wird sie zur heiligen Kuh und fortan nicht mehr, oder nur sporadisch, berührt. Der Mann indessen richtet sein Triebhaftes nach außerhalb, weg vom Heim in die Welt. Männer, so pflegen Frauenzeitschriften solchen Sachverhalt auf einen Merksatz zu reduzieren, können Sex und Liebe eben trennen, während beides für die Frau gewöhnlich nur als Ganzheit existiert.

Catherine Breillat läßt ihre Heldin Marie dieses Thema in verschiedenen Dimensionen durchdenken und auskosten. Im Gegensatz zu den meisten ihrer feministischen Kolleginnen ist ihr die Rede von einem Zusammenhang zwischen Sex und Ausbeutung ein Irrtum, und der Pornographie hält sie eine "emanzipatorische Kraft" zugute.

Ob ein Mann, indem er mit einer Frau schläft, dieselbe dadurch ehrt oder eben entehrt, ist eine der Kernfragen, um die der Film kreist, und hin und wieder steht eine dritte Möglichkeit im Raum: von Ehre in diesem Sinne hat der gewöhnliche Mann keinen Begriff – somit wäre der Akt weder transzendental noch vernichtend, sondern schlicht trivial. Was könnte diese Erkenntnis für die Frau bedeuten? Der eigentliche Wahn Maries, so könnte man den Extrakt des Film definieren, liegt in ihrer Hoffnung auf den Mann, der ihr alles gibt, in ihrer Suche nach einem Absoluten – das sie schließlich nur in sich selbst findet.

"Romance" ist, bei aller Respektlosigkeit gegenüber der Blöße, ein sehr stiller, einsamer Film. Und auch das Ende, das zugleich das Ende des Geliebten ist, präsentiert sich nicht mit dieser Art männermordendem Gewaltexzeß, wie er radikalfeministischen Haßphantasien oft eignet. Natürlich muß Paul sterben (vielleicht wäre Breillat sonst keine Feministin), jedoch ist dieser Tod mehr symbolisch zu sehen, ein Untergang, der, ganz und gar nicht nihilistisch, eine neue, wahre Liebe für Marie ermöglicht.

"Romance" ist nicht Breillats erster Film zum großen Thema "Geschlechterkampf", und es ist nicht der einzige, der für Aufsehen sorgt, was sich in den USA bereits durch ein Verbot des erotischen Filmplakats ausdrückte. Auch in England und Frankreich, wo "Romance" bereits anlief, entfachte der Film heiße Diskussionen.

Schon als die Französin Breillat siebzehnjährig ihren ersten, sehr wollüstigen Roman "L‘homme facile" veröffentlichte, wurde dieser für Leser unter 18 Jahren verboten. Die weiteren Bücher und Filme der Künstlerin variieren stets das eine Motiv: Sexus zwischen Biologie, Metaphysik und Ideologie. Und es dürfte wenige Feministinnen geben, die das Heiß und Kalt, das Gegebene und Gesetzte dieses Themas mit solch inniger, mythischer und zugleich ernüchternder Wahrhaftigkeit ergriffen haben.


 
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