© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/00 16. Juni 2000

 
Größe und Verfall einer Arbeiterpartei
Richard Wiegand: "Wer hat uns verraten ..." – Die Sozialdemokratie in der Novemberrevolution 1918/19
Werner Olles

Das Buch "Wer hat uns verraten ..." erschien bereits 1974 im Berliner Oberbaum-Verlag. Daß der Freiburger Ahriman-Verlag es jetzt mit einem Vorwort von Fritz Erik Hoevels und "zahlreichen ergänzenden Materialien" in einer überarbeiteten und erweiterten Neuauflage wieder erscheinen läßt, ist vor allem deswegen interessant, weil hier ein Bezug zur heutigen Sozialdemokratie hergestellt werden soll.Nun muß man kein SPD-Anhänger sein, und irgendwo hatte Kurt Tucholsky schon recht, als er nach dem Wahlsieg der SPD 1928 in der Weltbühne schrieb: "Sozialismus bei der Sozialdemokratie suchen, das hieße, von einem Brombeerbusch Bananen verlangen, denn sie lebt nur noch von einer liberalistischen Gelegenheitsmacherei", um an den Wiegandschen Thesen keinerlei Gefallen zu finden.

Bei Hoevels gerät jedenfalls Tucholskys Bonmot zu hysterischem Geschrei, wenn er urteilt: "Die SPD ist die scheußlichste Erscheinung der ganzen Weltgeschichte", denn ohne "die Verbrechen Eberts und seiner Wasserträger und Mitlügner" hätte es weder den Nationalsozialismus noch die "wohl endgültige Weltherrschaft des Monopolkapitals" gegeben. Aber selbst dem Verfasser, Richard Wiegand, kreidet Hoevels an, daß dieser "die ganze, wesenhafte und substantielle Niedertracht der SPD noch gar nicht voll erfaßt hat". Dennoch konzediert er ihm, er habe "ein Dokument einer besseren, klügeren und freieren Zeit" vorgelegt. In der Tat enthält das Buch Materialien, die in erster Linie die revolutionären Kämpfe des kommunistischen Spartakusbundes glorifizieren und "den umfassenden Verrat der SPD seit Bewilligung der Kriegskredite anschaulich belegen" sollen.

Nun ist die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie allerdings ebenso vielschichtig wie die Geschichte der Novemberrevolution. Und sie ist ebenso reich an Irrtümern und Fehlschlüssen wie an heroischen Handlungen zum Wohle von Volk und Nation. Größe, Heldenmut und Staatsverständnis bewies die Partei, als sie vier Jahre nach der Bewilligung der Kriegskredite den räte-kommunistischen Verlockungen nicht nachgab, sondern mit Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann die "Deutsche Republik" ausrief. Ein Fehler war es dagegen, die "Unabhängige Sozialisten" – eine linksradikale Abspaltung der SPD – in die neugebildete Regierung zu berufen. USPD-Leute wie Emil Eichhorn, der sich selbst zum Polizeipräsidenten von Berlin ernannt hatte, standen zudem im Verdacht, sowjetische Agenten zu sein.

Immerhin schien Ende des Jahres 1918 der bolschewistische Spartakusbund eine Zeitlang Herr der Lage zu sein. Unter der Führung der beiden früheren Sozialdemokraten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg mobilisierte er die Straße. Aber wieder war es ein Sozialdemokrat, der in dieser Stunde der größten Not die Nation rettete. Der Name dieses Mannes war Gustav Noske, der als Oberbefehlshaber die Ordnung im Reich wieder herstellte. Während die Führung der Spartakisten sich in endlosen Diskussionen erging, handelte Noske. In den Morgenstunden des 11. Januar 1919 zogen dreitausend Freiwillige auf das Zentrum Berlins zu. An ihrer Spitze ritt ein wenig militärisch aussehender Zivilist: Gustav Noske. In tagelangen erbitterten und von beiden Seiten mit äußerster Härte geführten Kämpfen räumten Noskes Freikorps mit den Spartakisten auf.

Sozialdemokraten wie Ebert und Noske retteten so die Republik vor dem Ansturm des kommunistischen Chaos und letztlich auch vor dem Elend und der Sklaverei einer asiatisch-bolschewistischen Diktatur. Mut und Treue zum Reich kennzeichneten auch das Verhalten der deutschen Sozialdemokraten in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren. Gegen den Zangengriff der totalitaristischen Parteien KPD und NSDAP kämpften sie – nur noch unterstützt vom katholischen Zentrum – einen ebenso tapferen wie aussichtslosen Kampf. Ein großer strategischer Fehler war es indes, General Schleichers "Querfrontstrategie", die ein Bündnis mit den Gewerkschaften, der Reichswehr und dem linken NSDAP-Flügel um Gregor Strasser vorsah, nicht zu unterstützen. Hier konnte die Partei offensichtlich nicht über ihren Schatten springen. Aber selbst der spätere Widerstand der exilierten SPD war bei weitem effektiver – man denke nur an die Rolle von Sozialdemokraten im Kreisauer Kreis oder im Umfeld Stauffenbergs – und vor allem wahrhaftiger und ehrlicher als der Widerstand der Kommunisten, die die deutsche Nation unter die Herrschaft des Stalinismus und damit in eine noch härtere Diktatur zwingen wollten.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches stritten in der westdeutschen Republik Kurt Schumacher und die SPD für die Einheit Deutschlands, als Adenauer und die Union sich schon längst für eine bedingungslose Westintegration – und damit für eine über ein halbes Jahrhundert währende Spaltung – entschieden hatten. Bis Mitte der sechziger Jahre war die SPD eine nationale Klassen- und Staatspartei. Die Stunde der alten SPD schlug erst, als im Gefolge der 68er-Kulturrevolution junge Politologen und Soziologen in die Partei drängten, und die gestandenen alten Mitglieder, zumeist Arbeiter und Kleinbürger, nach und nach hinausekelten. Die SPD war nun von Ferdinand Lassalle, Ernst Niekisch und Kurt Schumacher auf Heidemarie Wieczorek-Zeul, und Gerhard Schröder gekommen. Zu den niederträchtigsten Aussagen des Buches gehören die Vorwürfe gegen das sogenannte Ost-Büro der SPD um Schumacher, Helmut Bärwald und Fritz Heine. Das "Ost-Büro" war eine Institution, die sich konsequent aus dem Kalten Krieg ergeben hatte. Es sammelte in erster Linie politische, später auch wirtschaftliche und militärische Informationen und führte Propagandaaktionen in der DDR durch. Daß es Kontakte zum BKA und zu westlichen militärischen Dienststellen unterhielt, ist alles andere als eine neue Erkenntnis. Im Gegensatz zu gewissen DDR-Diensten war das Ostbüro aber nicht an aktiven Sabotageaktionen beteiligt, geschweige denn an terroristischen Akten wie Menschenraub, Erpressung und Mord, die von der Gegenseite ausgingen.

"Wer hat uns verraten..." war laut Klappentext "in besseren, da aufgeklärteren Zeiten unter Schülern und Studenten verbreitet und verdient es, der Vergangenheit entrissen und vor allem gelesen zu werden". Es gibt sehr viele gute Gründe, diese Meinung nicht zu teilen. Mit seriöser Geschichtsschreibung hat das Buch jedenfalls wenig zu tun, eher mit einer plumpen Agitprop-Aktion von Leuten, die sich nostalgisch an "bessere, da aufgeklärtere Zeiten" erinnern. Zum Thema "Größe und Verfall der Sozialdemokratie" hat es jedenfalls nichts beizutragen.

 

Richard Wiegand: "Wer hat uns verraten..." Die Sozialdemokratie in der Novemberrevolution 1918/19. Ahriman-Verlag, Freiburg 1999, 298 S., 38 Mark


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen