© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/00 16. Juni 2000

 
Amerika – du hast es nicht besser
Anglisten diskutieren über die Qualität der Hochschulausbildung in Deutschland und den USA
Ulrike Imhof

Es lohnt sich durchaus, die Vereinigten Staaten als Vorbild für deutsche Universitäten zu nehmen". So untertitelte neulich die Süddeutsche Zeitung Christine Brincks Philippika gegen das bundesdeutsche Universitätssystems. Das böse Wort von der "Lizenzpresse" käme einem bei der partiell recht peinlichen USA-Begeisterung der Autorin, einer in München lehrenden Anglistin und Erziehungswissenschaftlerin, schon in den Sinn, wenn sie nicht Kronzeugen zitieren würde, deren Urteil schwerer wiegt als ihr eigenes. So bemüht sie den Hamburger Anglisten und Erfolgsautor Dietrich Schwanitz und Hans N. Weiler, den ehemaligen Rektor der Viadrina in Frankfurt/Oder, der jetzt in Stanford lehrt. Beide liegen in etwa auf der Linie des jüngsten OECD-Berichts, wonach nicht nur die schulische, sondern auch die universitäre Qualität des naturwissenschaftlich-mathematischen Ausbildungsstands in Deutschland bei uns allenfalls "Durchschnitt" sei. Brinck verbindet diese berechtigte Kritik jedoch mit scharfen Ausfällen gegen die Kollegen, die den Reformbedarf sehen, aber trotzdem nicht gleich das Heil in der "Amerikanisierung" suchen.

Paradoxerweise zählt eine Mehrheit des Anglistenverbandes zu den bildungspolitisch kühlen Köpfen, die davor warnen, das von Brinck als Vorbild empfohlene US-"Wettbewerbssystem" zu importieren. Gerade jene, die sich professionell mit Sprache, Literatur und Kultur des angelsächsischen Raumes befassen, mögen nicht einstimmen in die Lobgesänge auf "Studiengebühren, Wettbewerb, Auslese, regelmäßige Leistungsüberprüfung, zügiges Studium und enorme Bandbreite des Angebots" und überhaupt auf die "bahnbrechende Errungenschaft amerikanischer Hochschulbildung" (Brinck). Um ihre anglistischen Kollegen, die an der Effizienz des US-Modells zu zweifeln wagen, nachhaltig zu delegitimieren, verweist Brinck auf die Zahl der deutschen Studienabbrecher, die allein im Fach Anglistik bei beängstigenden 75 Prozent läge, übertroffen nur von der Aussteigerquote bei Germanisten und Philosophen.

Im Juni-Heft von Forschung&Lehre, dem Organ des Deutschen Hochschulverbandes, revidieren die so Gescholtenen nun die wichtigsten "Irrmeinungen" über US-Hochschulen. Die drei Anglistik-Professoren Stephan Kohl (Würzburg), Monika Fludernik (Freiburg) und Hubert Zapf (Augsburg) stellen ihrer Replik ("Vorbild Nordamerika?") die stringente These voran: "Ein gründlicher Vergleich des amerikanischen und deutschen Universitätssystems zeigt, daß der Mythos von der Überlegenheit des amerikanischen Systems den tatsächlichen Zuständen an nordamerikanischen Universitäten nicht entspricht."

Die drei Exponenten des Deutschen Anglistenverbandes machen geltend, daß es ohne Studiengebühren in den USA kein Studium gebe und diese "soziale Hürde" in der Regel dazu führe, daß sich die Familien der Mittelschicht hoch verschulden müßten, um ihren Kindern eine "einigermaßen gute Universitätsausbildung" zu ermöglichen. Entscheidender noch ist der Hinweis, daß deutsche Universitäten breit ausgebildete Fachwissenschaftler produzieren, während US-Hochschulen Spezialisten hervorbringen. Da die nordamerikanischen High Schools Gesamtschulen sind, die praktisch keine Durchfallraten kennen, sei der Leistungsstandard der US-Erstsemester "deutlich niedriger als der deutscher StudienanfängerInnen". Das gesamte Konzept der Hochschulausbildung sei einer engen Spezialisierung des Wissens verpflichtet, während das deutsche System von den Studierenden verlange, die systematische Breite und historische Tiefe ihres Faches abzudecken.

Auch die Behauptung, US-Dozenten hätten ein höheres Unterrichtspensum zu absolvieren, erweise sich bei näherem Hinsehen als Legende: Deutsche Professoren müßten quantitativ eine Lehrverpflichtung erfüllen, für die in den USA zwei Lehrende eingestellt würden. Schließlich können Kohl, Zapf und Fludernik auch die Mär widerlegen, deutsche Universitäten kennen keine Leistungskriterien, die genauso unausrottbar sei wie die Legende von ihrer fehlenden internationalen Anziehungskraft: Immerhin liege Deutschland hinter den USA und Frankreich auf dem dritten Platz der Zielländer für ausländische Studenten, während die Attraktivität der USA seit 1980 merklich gesunken sei.


 
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