© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
Kim Jong Il
Der große Führer
von Werner Olles

Die Revolution, die Geschichte der "Demokratischen Volksrepublik Korea" und von Kim Il Sung, dem Vater des nordkoreanischen Führers Kim Jong Il, gelten dort als identisch.

Seine Rolle bei der Befreiung Koreas von den Japanern war zweifelhaft, es gibt kein einziges Originalfoto, auf dem der 1994 verstorbene Kim Il Sung als Partisan zu sehen ist. Dafür treibtdas Reliquienwesen üppige Blüten: So wurde etwa im Kangson-Stahlwerk eigens ein Stein unter Glas gelegt, auf dem der "geliebte Führer" einmal gesessen haben soll. Vom 44. Lebenstag an müssen die Kinder in eine Kinderkrippe, mit anderthalb Jahren sprechen sie den ersten zusammenhängenden Satz: "Ich danke Dir, Genosse Kim Jong Il." Mit acht müssen sie in die Pionier-, mit vierzehn in die Jugendorganisation. Mit 17 endet die Schule, ein Studium wird mit 24 abgeschlossen, mit 27 folgt dann der Militärdienst. Vorher zu heiraten ist nicht erwünscht. In den Wohnvierteln Pjöngjangs installierte Lautsprecher plärren von früh bis spät Lieder, Parteiinformationen und Lobgesängen auf den Führer – wie in den Betrieben.

Westdeutsche Linke – die berüchtigten "radikalen Touristen" – ließen sich von solch Orwellschen Horrorvisionen kaum stören. Dem früheren SDS-Chef K. D. Wolff fiel an Nordkorea nur auf, daß es hier kein Werbefernsehen gibt, und die Arbeiter in den LPGs tagsüber alle auf dem Feld seien. Zum Dank für dieses revolutionäre Augenzudrücken durfte man dann zu Hause die Werke des "großen Führers" verramschen. Die grüne Bundespräsidentenkandidatin Luise Rinser, im Bejubeln von Diktaturen geübt, wähnte sich bei einem Kurzbesuch in Nordkorea gar im "Paradies" und faselte im Hinblick auf den Diktator von "göttlicher Reinkarnation".

Auch Nachfolger Kim Jong Il, der seit dem Tode seines Vaters Präsident ist – Regierungschef ist seit 1992 Kang Song San – ist als gottähnlicher Führer ein klassischer asiatischer Despot. Er muß nicht, wie Castro, jeden Tag um seinen Führungsanspruch kämpfen, sondern ist als legitimer Erbe seines Vaters halb Feldherr und halb Gott. Nicht zuletzt daher hat Marx auch die asiatischen Produktionsverhältnisse als "barbarisch" bezeichnet. Ob die mit dem Besuch des südkoreanischen Präsidenten Kim Dae Jung eingeleitete Entspannung zwischen den bislang verfeindeten "Brüdern" mit einer Wiedervereinigung enden wird, ist offen. Daß die Visite kurz vor dem 50. Jahrestag des Einmarsches nordkoreanischer Truppen in den Süden stattfand, darf in seiner historischen Bedeutung jedoch nicht unterschätzt werden.

Allerdings ist Nordkorea, verglichen mit der DDR, ein völlig unterentwickeltes Land. Von hohen Rüstungsausgaben und Mißwirtschaft zerrüttet, befindet es sich seit Jahren in einer schweren Wirtschaftskrise. Nur eine behutsame Reformierung des kommunistischen Systems könnte langfristig eine konföderationsähnliche Einheit der beiden Koreas, die sich formal immer noch im Kriegszustand befinden, bringen.


 
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