© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
Zehnmal teurer als in Deutschland
Ungarn: Die steigenden Rohölpreise treffen vor allem den kleinen Mann – und erfreuen die Regierung
Péter Herter

Der Benzinpreis in Ungarn wird in diesem Jahr wieder zahlreiche deutsche und österreichische Touristen erfreuen und sie auf der Heimreise kurz vor der Grenze noch einmal zu einem Tankstopp animieren – auch wenn die Spritpreise in Ungarn enorm angestiegen sind. Zwei Mark pro Liter wie in Deutschland kostet es keinesfalls – 15 bis 20 Prozent Ersparnis sind auch in diesem Jahr drin.

Nur wenige wissen jedoch, daß das Verhältnis des durchschnittlichen Nettoeinkommens zwischen Ungarn und Deutschland eins zu zehn beträgt: Ein Lehrer verdient nur etwa 400 bis 500 Mark im Monat, selbst die Spitzengehälter bei Audi in Raab (Györ) überschreiten äußerst selten die 1.000-Mark-Grenze. Der ungarische Autofahrer bekommt also die Preiserhöhungen – auch ohne Ökosteuer – zehnmal mehr zu spüren als beispielsweise ein Deutscher. Der Preis des teuren italienischen Benzins beträgt unter gleicher Betrachtungsweise auch nur ein Siebtel des ungarischen Sprits, und selbst der alle Preisrekorde brechende britische Treibstoff – dem starken Pfund sei’s gedankt – erreicht so gesehen nur die Hälfte des ungarischen Wertes. Trotz allem sind die Straßen und Autobahnen zwischen Burgenland und Puszta genauso stark befahren wie in den vergangenen Jahren. Warum ist das Benzin überhaupt so teuer in Ungarn? Die stetig steigenden Rohölpreise sind – wie in Deutschland – nur die halbe Wahrheit. EU-weit sind im Benzinpreis bis zu 75 Prozent an Steuern oder Abgaben enthalten. Ohne den Fiskus könnte das Benzin sogar billiger als in den USA sein – die ungarische Erdölgewinnung deckt etwa ein Fünftel des Verbrauchs.

Und wofür werden die Benzinmilliarden, die dem ungarischen Staat jährlich zufließen, ausgegeben? Angeblich benutzt man sie – wie in Deutschland auch – für den Bau neuer Straßen und die Instandhaltung. Doch bis auf privat finanzierte, mautpflichtige Autobahnen Richtung Hauptstadt hat sich in den letzten Jahren nicht viel getan – der touristisch wichtige Plattensee ist bis heute nicht via Autobahn ans österreichische Netz angeschlossen. Statt wie die deutsche "Ökosteuer" für die Rente sollen die ungarischen Einnahmen auch für den Umweltschutzverwendet werden – doch der Naturschutz hat noch kein EU-Niveau.

Wohin wandern dann die Forint-Milliarden? Die regierungsoffiziellen Statistiken schweigen sittsam über die Größe der Haushaltslöcher, die jährlich im Etat klaffen. Ohne die Benzineinnahmen wären die Löcher wohl noch größer – diese kaum kontrollierbaren Mehreinnahmen schaffen dem Kabinett in Budapest einen willkommenen Spielraum. Im Budget sind die Einnahmen zwar festgehalten, aber die Summe ist so errechnet, als würden die großen Mineralölanbieter im betreffenden Jahr erwartungsgemäß nur 70 Prozent der Vorjahresmenge umsetzen. Der tatsächliche Umsatz beträgt aber etwa das Doppelte des Geplanten, in diesem Jahr wird sogar das Dreifache des Geplanten erwartet.

Wofür, von wem und wann es ausgegeben wird und wer das kontrolliert? Dies war und ist unter jeder Regierung von einem Schleier verdeckt – ganz ideologiefrei, auf nicht ganz EU-konforme Weise. Über das Benzingeschäft hält das Kabinett – wegen der Wahrung von Unternehmensinteressen – jegliche Informationen zurück. Aber auch die staatliche Mol Rt., die ihr Großhandelsmonopol noch immer besitzt, schweigt. Und aus Informationsmangel schweigt auch die Presse. Die Verbraucher unterdessen müssen zahlen – wie in der EU.


 
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