© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
Steinerne Zeugnisse aus der Vergangenheit
Steinzeitliche Kultstätten: Stonehenge und Externsteine
Lovis Schiller

Stonehenge ist das wohl prachtvollste Beispiel für steinzeitliche Baukunst in Nordeuropa. Die kreisförmige, nördlich von Salisbury in England gelegene Anlage aus einer Reihe von Menhiren entstand im 19. bis 15. Jahrhundert vor Christus, am Ende der Steinzeit und Beginn der Bronzezeit. Außen wird sie von einem Rundgraben abgeschlossen. Vor allem der Ring aus 30 gut vier Meter hohen Pfeilern, von denen je zwei einen Deckstein tragen, ist weithin sichtbar. Innen befindet sich noch ein weiterer Kreis aus 49 kleinen Blöcken sowie – als Herzstück des Ganzen – ein Hufeisen aus fünf mächtigen Trilithen, dessen mittlerer den sogenannten Altarstein verkörpert. Als Entsprechung folgt wiederum in Inneren ein weiteres Hufeisen aus kleinen Steinen. Faszinierende Wirkung übt die Anlage vor allem aus, weil im Nordosten, auf der verlängerten Längsachse des Hufeisens, Spuren einer Avenue gefunden wurden. Am Tag der Sommersonnenwende wandert das Licht der aufgehenden Sonne über diese "Lichtstraße" in das Innerste des steinernen Rings und fällt auf den Altarstein. Dies läßt eine Deutung von Stonehenge als Sonnenheiligtum und sakralem Bau zu. Die Wissenschaftler sind sich über die genaue Bedeutung aber nicht einig: Ein Zusammenhang mit der Gestirnssymbolik, Sonnenwende und Mondläufen und eine Nutzung als Kulttempel bzw. gigantische astronomische Anlage ist immer wieder vermutet worden, bleibt aber bis heute umstritten.

Was Stonehenge in England ist, sind die Externsteine bei Detmold in Deutschland – zwar nicht von Menschenhand gebaut, doch ebenso erhaben. Auch sie gelten als "magisch", als "Kraftort", durch Wünschelrutengänger bewiesen. Bei ihnen handelt es sich um fünf bizarre, 30 bis 40 Meter hohe riesenhafte Sandsteinbildungen, um die sich viele Sagen ranken. 1093 wurde diese Stätte im Teutoburger Wald als "Agisterstein" erstmals urkundlich erwähnt.

Vor allem die im zweiten Felsen befindliche sogenannte Höhenkammer gibt Forschern Rätsel auf: Durch das "Sonnenloch" genannte Rundfenster scheint am Morgen der Sommersonnenwende, am 22. Juni, das Licht auf ihre Rückwand. Die "Höhenkammer" – Herzstück eines "Sonnentempels"? In grauer Vorzeit galt der längste Tag des Jahres vermutlich als der Zeitpunkt, an dem der Kontakt zu etwas Göttlichem besonders leicht herzustellen war. Als gesichert gilt nur, daß die dort befindlichen Kapelle 1115 mit einer Weihinschrift versehen wurde. Inwiefern hier eine heidnische Kultstätte in eine christliche umgewandelt wurde, ist nicht hinreichend geklärt.

Immer noch herrscht erbitterter Streit um die Geschichte der Exsternsteine. Handelt es sich um eine mittelalterliche Anlage, an der zwar Spuren von Menschen aus der Altsteinzeit gefunden wurden, die aber in vorchristlicher Zeit bedeutungslos war? Nach dieser Theorie sei auch das berühmte Kreuzabnahmerelief am vordersten der fünf großen Felsen erst im 12. Jahrhundert entstanden. Oder stammt diese Großplastik aus karolingischer Zeit und zeigt statt einer Palme als landschaftliches Beiwerk eine abgeknickte Irminsul? Der Frankenkönig Karl der Große hatte Anfang des 9. Jahrhunderts jene Weltensäule, zentrales Heiligtum der Sachsen, in seinen Bekehrungskriegen zerstört. Womöglich hat sich dieses germanische Kultsymbol an den Exsternsteinen befunden. Archäologen stießen bei Grabungen in den dreißiger Jahren vor diesem Felsen auf einen großen Holzpflock in der Erde: Wenn dieser einmal wie eine Irminsul an der Spitze in zwei "Äste" aufgespalten war, dann hatte man über diese "Kimme" hinweg den Sonnenaufgang am Tag der Sommersonnenwende beobachten können. Die Datierung des Ortes als "germanische Kultstätte" bleibt jedenfalls ein Problem: Ein Astronomieprofessor fand heraus, daß die Höhenkammer bereits um 1700 vor Christus geschaffen wurde. Demnach können die Exsternsteine schon vor germanischer Zeit in Deutschland "Sonnentempel" gewesen sein.

Der Streit der Wissenschaftler geht weiter. Ungeachtet dessen pilgern Jahr für Jahr an Mittsommer Tausende von Touristen, Hippies und Esoterikern aller Glaubensrichtungen nach Stonehenge – einem riesigen Volksfest gleich. Die Externsteine im Teutoburger Wald haben ebensowenig von ihrer Anziehungskraft verloren: Auf der Hauptwiese dort mischen sich Kulturen, Philosophien und Weltanschauungen: Alt-68er, Junghippies, Grufties, Punks, Alternative, Studenten, Germanenanhänger und "Nordmenschen", Rollenspieler und Hexen – zwei- bis dreitausend Menschen, bisher meist friedlich, wenn auch in den deutschen Medien immer wieder vor gefährlichen Ausschreitungen von "Rechtsextremisten" gewarnt wird, was viele Außenstehende verunsichert.


 
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