© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/00 23. Juni 2000

 
Pankraz,
Parzivals Speer und der Weg in den Container

Kurioses Präludium zu den kommenden Bayreuther Festspielen: "Big Brother" ist der Heilige Gral, verkündet ein Professor für "Medienanalyse" von der Universität Mannheim. Zlatko ist Parzival. Und weiter: "Was bei Wagner am Ende des ’Parsifal‘ mit äußerster Ernsthaftigkeit vorbereitet ist als ’Erlösung dem Erlöser‘, das ist mit ’Wadde hadde dudde da‘ nun eingelöst."

Bevor man solches Reden achselzuckend unter dem Stichwort "halbverrückt" oder "dreiviertelverblödet" abheftet, sollte man immerhin einmal einräumen, daß zwischen Zlatko ("Zlatko the Brain") und Parzival tatsächlich Übereinstimmungen bestehen. Beide sind von des Gedankens Blässe gänzlich unbehelligt, beide sind "reine Toren", um im Stile Wolfram von Eschenbachs zu sprechen, beide haben von nichts eine Ahnung. Und beide finden gerade wegen ihrer geistigen Unbelecktheit ein begeistertes Publikum, das sich von ihnen "Erlösung" erhofft, Erlösung durch Dummheit.

Freilich, im Falle Parzivals kommt noch etwas Entscheidendes hinzu, nämlich das Mitleid. Reine Torheit, so ward den Gralsrittern bei Wagner geweissagt, sei die Voraussetzung dafür, daß man "durch Mitleid wissend" werde, und nur der, der das Wissen solcherart buchstäblich erleide, sei ein wahrhaft Wissender, würdig des Speers, der alle Wunden heilt. Als der reizend dämliche Parzival aufkreuzt, schließen die Ritter voreilig, er sei bereits durch Mitleid wissend, doch das ist bekanntlich eine Illusion.

Parzival muß erst einmal in die Welt hinaus, muß sich den Versuchungen von Klingsors Zaubergarten stellen, muß Kundrys Avancen widerstehen, muß durch wüste Einöden stolpern. Er lernt dabei zwar weder Mathematik noch Minnesang, aber er lernt dennoch eine ganze Menge, er lernt, wie es in der Welt wirklich zugeht und daß wir allesamt irgendwie arme Schweine sind, des Mitleids und der Erlösung bedürftig. Er lernt, daß trotz Zaubergartens und Blumenmädchen erlöst werden muß, und nur deswegen wird er zum Erlöser.

Alles dies steht Zlatko the Brain noch bevor (wenn es ihm bevorsteht), man kann ihn und das ignorante "Wadde hadde dudde da?" nicht schon jetzt als Heiligen Speer feiern. Wer es, wie jener Medienprofessor, trotzdem tut, der hat wahrhaftig selber nicht alle Tassen im Schrank.

Erlösung, lehrt der Professor, sei "Erlösung vom Sinn". Zitat: "Wir suchen keinen Sinn mehr in irgendwelchen Hinterwelten. Damit bekommt die Alltäglichkeit in Seifenopern und Talkshows eine ganz andere Dimension: Feierabend, ein Bier trinken, eine Talkshow gucken, das könnte dann der weitgehendste Moment von Erlösung sein."

So etwas wird lebens- und tatenhungrigen jungen Leuten heute auf deutschen Universitäten beigebracht, für so etwas kassiert man C4-Gehälter. Das ist nicht einmal mehr Klingsor und Kundry, nicht einmal mehr verführerisch funkelnde Gegenwelt gegen das Gute und Gralshafte, sondern nur noch muffigste Pantoffelwelt.

Zusätzlich wird ein Begriff blamiert, der es – gerade im Nietzsche-Jahr – verdienen würde, mit einigem Einsatz und Ehrgeiz traktiert zu werden, der Begriff der "Hinterwelt". Nietzsche hat ihn einst eingeführt, um den "Verrat an der Mutter Erde" zu bezeichnen, den die Metaphysiker seit Platon begehen, indem sie unser Erkenntnisinteresse und unseren Tatendrang auf luftige, gar nicht existierende Götterwelten und verlogene Moralanweisungen lenken. "Hinterwelt": Das war für Nietzsche Ausweis der Feigheit, des Augenschließens vor den wirklichen Problemen hier und jetzt.

Im Munde unseres Medienanalytikers gerinnt die "Hinterwelt" zum bloßen Störfaktor unseres "wohlverdienten" Feierabends, zum unbequemen Quentchen Nachdenkenmüssen im "Mediencocktail", den wir uns abendlicherweise zusammenstellen, um uns bestätigen zu lassen, "daß jeder Bundeskanzler werden kann, daß jeder in den Container kommen und berühmt werden kann".

Berühmt werden ohne die geringste Anstrengung, einfach indem man in den Container kommt und Bierdosen leert – das ist es, was man sich in Mannheimer Universitätskreisen unter "Erlösung" vorstellt. Der Heilige Gral namens Big Brother wird nach dortiger Lehre allenfalls noch von der Paradieswelt der Teletubbies übertroffen, die das Fernsehen von vornherein in ihrem Babybauch installiert haben und die sich deshalb gar nicht mehr extra einen Mediencocktail zusammenstellen oder in den Container hineinkommen müssen. Originalton aus Mannheim: "Das Wunderbar-Vertrackte an den Teletubbies ist das Paradox, daß die Rückentwickung zugleich die Höchstentwicklung ist."

Mit der Identität von Zlatko the Brain und Parzival, Endemol und Richard Wagner ist es also nichts. Denn Parzival hatte weder Fernsehen im Bauch noch einen Mediencocktail im Hirn, und so würde es ihm, selbst wenn er gewollt hätte, ausgesprochen schwer gefallen sein, sich erfolgreich in frühkindliche Welten zurückzuentwicklen. Seine Entwicklung führte nicht vom erwachsenen Dummkopf zum Baby, sondern vom jugendlichen Dummkopf zum erwachsenen Ritter. Und einem solchen Ritter war es ausdrücklich verboten, es sich bei Bier und Seifenoper wohl sein zu lassen, er hatte eindeutig für andere da zu sein, nicht für sich selbst.

In Wagners Oper stehen dafür die Taufe Kundrys und die Heilung Amfortas‘, denen sich der neue Gralskönig Parzival zunächst intensiv widmen muß, bevor er den Gral enthüllen kann. In der Musik wird das Gralsmotiv vom sogenannten Motiv des tätigen Glaubens überspült und verwandelt. Zu behaupten (und interessierten Studenten allen Ernstes beibringen zu wollen), daß dieser musikalische Vorgang erst durch "Wadde hadde dudde da?" gleichsam zu sich selbst gebracht werde, ist eine Dummheit, derer sich wohl auch Zlatko the Brain zutiefst schämen würde.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen