© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Fußball-Nationalmannschaft
Der Adler beflügelt nicht mehr
Heinrich Lummer

Wenn es ihn denn noch gäbe, den legendären Sender "Radio Eriwan", dann dürfte man ihn jetzt fragen: "Braucht Deutschland eine Nationalmannschaft?" Und die Antwort würde lauten: "Im Prinzip ja, aber wo ist die Nation?" Da, wo keine Nation mehr ist, braucht man auch keine Nationalmannschaft.

Natürlich gibt es nicht nur einen Grund für den Niedergang. So leuchtet ein, daß dort kein Spitzennachwuchs gedeihen kann, wo nicht ausgebildet wird. Nicht nur in unserer Wirtschaft ist man den bequemen Weg gegangen, lieber Inder nach Deutschland zu holen als deutsche Kinder auszubilden. Auch die Vereine nähren sich von Legionären. "Einkaufen statt ausbilden" lautet die Devise. Das ist für eine Nationalmannschaft nicht bekömmlich.

Auch ist nicht zu übersehen, daß die Götzen des Wohlstands Einzug gehalten haben: Individualismus, Hedonismus und Egoismus haben sich ausgebreitet. Vaterland? Mein Vater hat kein Land! Wer trägt da noch gern den Adler der Nation. Der Mammon zählt und damit der eigene Liga-Klub. Nicht nur in der Politik ist es mit der Ehre, dabei sein zu dürfen, vorbei. Weder Spieler noch Vereine haben ein hohes Interesse daran, die Nationalmannschaft zu fördern. Man sehe den widerlichen Tanz um die Nachfolge von Ribbeck.

Des Pudels Kern aber bleibt dieser: Es fehlt an Nationalgefühl und Mannschaftsgeist. Das ist ein mentales Problem. Es genügt nicht, elf millionenschwere Kicker auf den Rasen zu schicken. Eine Mannschaft setzt bestimmte Charaktereigenschaften voraus, die offenbar abhanden gekommen sind. Das Zusammenspiel und den Sieg muß man wollen. Dieser Wille war bei der deutschen Mannschaft 2000 nicht erkennbar. Die Lethargie der Spieler tat weh und war für die Fans eine Beleidigung. Man ist nicht mit fliegenden Fahnen untergegangen, sondern vorzeitig fahnenflüchtig geworden.

Auch früher waren manche Siege nicht das Ergebnis des schönen Spiels, sondern der Preis von Kampfkraft, Ehrgeiz, Disziplin und Siegeswillen. Damit, meint Günter Netzer, habe man die anderen in Furcht und Schrecken versetzt. Nun haben sie den Verlust des Könnens und Wollens demonstriert. Und das eben ist blamabel. Der Adler beflügelt nicht mehr, weil das Nationalgefühl im Eimer ist. Das ist Symptom einer generellen Entwicklung, die uns auch im Fußball erreicht. Diese Entwicklung ist gekennzeichnet von einer allgemein verbreiteten Scham, sich als Deutscher zu bekennen. Wer stolz auf Deutschland ist, gilt als Nazi oder rechtsextrem. Die Propagierung des Multikulturellen als Zukunftsvision vereinbart sich nicht mit nationalem Selbstwertgefühl.

Nachdem die D-Mark als Identifikationsmerkmal geopfert wurde und das "Made in Germany" im Spiel der Globalplayer entnationalisiert wurde, gab es noch die Fußball-Nationalmannschaft. Nun ist die auch weg. Das wird Spuren hinterlassen. Man kann nur noch mit Hölderlin hoffen: Wo aber Gefahr ist, da wächst das Rettende auch.


 
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