© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000


Wunsch und Wirklichkeit
von Volker Kempf

Die Grünen gelten als eine Bewegungspartei. Wo sich eine neue soziale Bewegung aber institutionalisiert, verfliegt das Bewegungselement, lautet eine Faustformel in den Sozialwissenschaften. An den Grünen war dieses Phänomen in diesen Tagen zu studieren. In der Regierung angekommen, entfremdeten sich bewegte Grüne und ihre Regierungsstreiter zunehmend. Das war in Nordrhein-Westfalen zu beobachten und gilt auch nach dem Münsteraner Bundesparteitag, bei dem Sie großmäulig der Kampf mit der FDP um den dritten Platz im Parteienspktrum als Ziel der nächsten Wahlen deklarierten. Groß war denn auch der Spott der politischen Gegner, als Spitzen-Grüne nach der Devise "Friß oder Stirb" auf die Basis einredeten, dem Atom(ausstiegs)konsens zuzustimmen. Die Basis wollte alles, nur nicht den Tod der rot-grünen Koalition riskieren, und stimmte bei aller Selbstverleugnung zu. Umweltverbände haben es da einfacher. Sie können die Fahne des Umweltschutzes hochhalten und den Konsens als Nonsens verhöhnen und die Grünen gleich mit.

Zurück bleibt ein tiefer Graben zwischen Bewegung und Partei. Ein Auseinanderdriften zeichnet sich ab, das die Grünen verhindern müßten, um aus der Grube ihres Stimmungstiefs herauszukommen. Das Rezept fehlt aber. Auch Fritz Kuhn und Renate Künast, die neue Doppelspitze der Partei, hatten bislang nur schöne, weltfremde Worte anzubieten, wenn sie erklärten, die Grünen sähen sich als "Reformmotor für die rot-grüne Koalition". Selten lagen Wunsch und Wirklichkeit weiter auseinander.


 
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