© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
"Diese Mannschaft ist keine Mannschaft"
Der ehemalige DDR-Auswahltrainer Georg Buschner über den Auftritt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft
Steffen Raff / Moritz Schwarz

Herr Buschner, unsere Nationalelf ist mit der niederschmetternden Bilanz von nur einem Tor schon in der Vorrunde ausgeschieden. Ist es aus und vorbei mit der deutschen Fußballherrlichkeit?

Buschner: Unser Fußball ist nicht so schlecht, wie er im Moment dargestellt wird. Die Bundesliga hat durchaus internationales Format, das haben wir in den vergangen Jahren mit einigen hervorragenden Ergebnissen in den europäischen Cup-Wettbewerben unter Beweis gestellt. Auf der anderen Seite ist unser Fußball aber auch nicht so gut, wie er lange Zeit dargestellt wurde, denn er wurde ausschließlich nach einigen großen Erfolgen beurteilt, wie die Weltmeistersiege von 1954, ‘74 und ‘90, den Olympiasieg und mehrere EM-Titel. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Dennoch gehörten und gehören wir zu den guten Fußball-Nationen.

Wie konnte es dann aber zu dieser EM-Katastrophe kommen?

Buschner: Zum einen sagte ich "guten Fußball-Nationen" und nicht spitzen-Fußball-Nationen, wie etwa Brasilien. Und "gut" bezieht sich auf die Betrachtung des gesamten Fußball im Lande. Unsere Nationalmannschaft ist tatsächlich in der Krise. Schon seit einigen Jahren haben wir im Leitungsbereich des DFB große Probleme.

Sind es personelle oder strukturelle Probleme beim DFB?

Buschner: Die Struktur stimmt wohl. Ebenso die Qualifikation der Funktionäre. Der springende Punkt ist, daß man nicht an einem Strang zieht. Beobachten Sie diese Leute doch in den Medien, allzuviele von ihnen nutzen den Fußball vor allem zur eigenen Profilierung. Und außerdem wird da nicht mit der nötigen Gründlichkeit zu Werke gegangen. Man informiert sich, etwa bei der Trainer-Frage, nicht mehr zuvor umfassend, sondern nimmt irgendwelche Namen aus der Presse auf, oder streut sie vorschnell in die Medien. Das ist heute alles nicht mehr so solide geregelt wie etwa bei Sepp Herberger oder Helmut Schön.

Müßte dann nicht nur die Frage nach einem neuen Trainer, sondern auch nach einer neuen DFB-Führungsriege gestellt werden?

Buschner: Oh ja, diese Frage sollte diskutiert werden.

Sie muß aber endlich in eine Lösung des zentralen Problems münden: Die Frage nach dem Trainer?

Buschner: Erst wurde vor zwei Jahren in einer Art Würfelspiel ein Trainer bestimmt, und dieser erbrachte dann zu keiner Zeit den Nachweis eines systematischen Aufbaus der Mannschaft. Ohne erkennbares System wurden Leute aufgenommen und wieder entlassen, und zum Schluß gab es nocheinmal einen unerfindlichen Rückgriff auf ältere Leute. Da war jedem, der etwas davon versteht, schon von vornherein klar, daß das nichts werden kann. Und jetzt wird erneut überstürzt und recht willkürlich ein neuer Trainer gesucht, anstatt diese Grundfrage ordentlich zu lösen.

Franz Beckenbauer hat gesagt, in einer EM würde eigentlich gar kein Trainer gebraucht?

Buschner: Einen Trainer braucht jede Mannschaft. Ja, die Betonung liegt gerade auf "einen Trainer"! Das war vielleicht gerade das Problem, die Mannschaft braucht eine Führungsfigur. Es gibt völlig berechtigterweise immer mehrere Auffassungen über den richtigen Weg, aber es darf dann nur nach einer Meinung gehen! Und die Mannschaft muß an ihren Trainer glauben. Er muß die Mannschaft langfristig und von Grund auf aufbauen. Das ist im DFB schon seit langem nicht mehr der Fall. Berti Vogts hat das noch versucht, scheiterte dann aber aus internen Gründen. Bei Vogts war auch noch zu erkennen, daß er versuchte, junge Spielerheranzuführen.

War Erich Ribbeck denn als Person geeignet?

Buschner: Um das wirklich zu beurteilen, kenne ich ihn zu wenig, ich habe aber das Gefühl – betrachtet man etwa sein Auftreten auf den Pressekonferenzen – daß er nicht der energische Mann ist, der felsenfest seinen Weg geht. Es geht nicht darum, jemanden auszuwählen, der einen großen Namen vorweisen kann, sondern einen im besten Alter stehenden, tatkräftigen Menschen zu finden. Davon gibt es genug, sie müssen nur ordentlich ausgewählt werden.

Wurde Ribbeck in der Mannschaft eigentlich respektiert?

Buschner: Ich bin nicht Mitglied der Mannschaft, aber auffälig war doch, daß jeder Spieler, mal hier, mal dort, seine eigene abweichende Meinung dargelegt hat, die floß also nicht in eine gemeinsamen mannschaftlichen Gedanken ein. Ich glaube, wenn die Mannschaft wirklich eine Mannschaft gewesen wäre, wären wir nicht so völlig eingebrochen. Denn die Ansicht, wir hätten keine Talente mehr in Deutschland, die teile ich überhaupt nicht.

Wenn schon das Verhältnis zum Trainer nicht gestimmt hat, funktionierte dann wenigstens die Hirarchie in der Mannschaft?

Buschner: Auch das ist von außen nicht einfach so zu erkennnen. Ich nehme an, daß Matthäus und Häßler aus diesen Gründen in die Mannschaft gerufen wurden. Ich glaube aber nicht, daß sie von ihren Kameraden in dieser Hinsicht wirklich angenommen wurden.

Woran lag das?

Buschner: Natürlich wollten auch unsere Spieler gewinnen, aber der Wille ist bei uns kein richtiger mehr. Es ist wohl schon etwas dran an der spöttischen Bemerkung, daß unsere Fußballer in der Werbung besser sind als auf dem Fußballfeld. All das sind Faktoren, die es verhindern, eine verschworene Gemeinschaft zu bilden, die es schafft, sich durchzubeißen. Solche Mannschaften kämpfen auch in aussichtsloser Lage bis zur letzten Minute. Denken Sie dagegen an das Spiel gegen Portugal: Da hatten wir immer noch Chancen, denn niemand wußte, wie das Parallelspiel Rumänien/England laufen würde. Aber unser Spiel hat praktisch von der ersten Minute an so ausgesehen, als ob man die neunzig Minuten einfach nur noch abspielen wollte. Ich habe die Meinung, daß man in jedem Spiel, auch wenn die Sache längst verloren ist, alles gibt.

Rührt dieser mangelnde Biß nicht auch aus einer allgemeinen Sattheit unseres Volkes her?

Buschner: Das sehe ich tatsächlich so. Ich sehe, daß sich die Spieler weitgehend überschätzen und daß sie alles nur an materiellen Gütern – ganz so, wie es der Grundtenor unserer Zeit ist – messen. Aufgrund der hohen Bezahlung, die sie bekommen, halten sie sich für die Besten. Während andere, die viel besser sind, anderswo schlechter bezahlt werden. Das führt bei den unsrigen zu Selbstüberschätzung.

Stefan Effenberg hatte zum Beispiel keine Lust, sich aufstellen zu lassen. War es früher nicht eine Ehre, in der Nationalmannschaft spielen zu dürfen? Welchen Stellenwert hat die Nationalmannschaft heute überhaupt noch?

Buschner: Ja, das war eine Ehre und ist es auch heute noch in vielen Ländern, in denen es den Menschen nicht so gut geht wie in Deutschland. Es geht bei uns ums Geld verdienen, auch im Fußball. Der Fußball an sich hat bei uns nicht mehr den Stellenwert von einst. Im Falle Effenbergs stehe ich allerdings auf dessen Seite. An seiner Stelle wäre ich nach dem Vorfall damals in Amerika und den Konsequenzen gegen ihn auch nicht mehr zurückgekehrt.

Sie diagnostizieren Selbstgefälligkeit in der DFB-Führung, falsch und übereilt ausgewählte Trainer, Desintersse in der Mannschaft und eine Sattheit des deutschen Volkes. Es ist doch völlig illusorisch zu glauben, daß sich das von alleine ändert?

Buschner: Im Augenblick ist tatsächlich kein Silberstreif am Horizont zu erkennen.

Was kann getan werden?

Buschner: Der DFB muß ein Gremium von echten Experten einberufen und muß in einer ernsthaften und tiefschürfenden Prozedur einen Trainer auswählen. Dieses Gremium muß sich dann aber auch für längere Zeit hinter diesen Trainer stellen, damit der Mann in Ruhe arbeiten kann. Und dazu muß der Trainer auch mit erheblichen Kompetenzen ausgestattet werden.

Müßten die Trainer nicht mehr junge Spieler in die Mannschaften bringen?

Buschner: Natürlich, doch es gibt verhängnisvollerweise keine systematische Arbeit mit dem Nachwuchs mehr, über alle Altersstufen hinweg, bis hinein in die Bundesliga und die Nationalmannschaft.

Nun sind die Vereine ja auch gar nicht mehr gewohnt, ihre Spielstärke aus den eigenen Quellen zu speisen. Statt dessen kaufen sie sich jede Menge Ausländer ein.

Buschner: Grundsätzlich bin ich durchaus dafür, daß die Bundesliga-Mannschaften durch ausländische Spieler "veredelt" werden. Das ist doch schön, das nutzt dem Sport. Allerdings habe ich bei der großen Zahl von ausländischen Spielern auch die Befürchtung, daß dadurch die Möglichkeiten des deutschen Nachwuchses verstopft werden. Übrigens ein Problem, das ich vor allem in Deutschland sehe, weil es bei uns bis in die unteren Mannschaften hereinreicht.

Was halten Sie von der Praxis der kurzfristigen Einbürgerungen, wie etwa im Falle Sean Dundee, bei der Ausländer mal eben zu Deutschen gemacht werden, um sie für uns spielen zu lassen?

Buschner: Diese Unsitte haben wir leider in allen Sportarten. Das ist für mich sehr problematisch, weil es eben auch dem Inhalt und Sinn des Sportes nicht mehr gerecht wird. Man spielt doch eigentlich als Mannschaft gegen Mannschaft oder als Nation gegen
Nation.

Wie unterscheidet sich die Mannschaft von 1974 von der von heute?

Buschner: Die Mannschaft von 1974 war anerkanntermaßen die beste deutsche Mannschaft überhaupt. Die Mannschaft von 1990 war dann lange nicht mehr so gut, wenn sie auch Weltmeister geworden ist. Da war aber schon sehr viel Glück dabei.

Immerhin haben Sie völlig überraschend gegen diese Mannschaft gewonnen.

Buschner: Das war eine besondere Sache. Wir Fußballer hatten in der DDR mit im Westen völlig unbekannten Problemen zu kämpfen, etwa daß uns die Spieler von politischen Funktionären gesperrt oder in andere Sportarten umgelenkt wurden. So gab es schon gar kein großes Angebot an Spielern. Wir mußten also um so härter trainieren. Und immerhin ist diese Mannschaft dann 1976 Olympiasieger geworden, das einzige olympische Gold für den deutschen Fußball überhaupt.

Haben die Bundesdeutschen Sie nicht unterschätzt?

Buschner: Ja, die haben wohl schon gedacht: "Die vernaschen wir im Vorbeigehen." Und wir haben gekämpft.

Gab es eine politische Dimension auf dem Rasen bzw. im Stadion?

Buschner: Überhaupt nicht. Im Stadion waren wohl ein paar aus der DDR geschickte Scharfmacher, mit Hammer-und-Sichel-Fähnchen, aber die sind untergegangen. Von der DDR-Politik ist das dann hinterher als Sieg des Sozialismus aufgewertet worden, aber mit uns hatte das nichts zu tun. Für uns war es ein sportlicher Erfolg.

Ist es richtig, daß viele DDR-Deutsche enttäuscht waren über die Niederlage der Bundesdeutschen?

Buschner: Ich bin sicher, daß die Mehrzahl der Bürger der DDR lieber die Mannschaft der Bundesrepublik siegen sehen wollte. Das war sehr schwierig für unsere Spieler, aber letztlich hätten auch sie lieber für die Bundesrepublik als für die DDR gespielt.

Warum?

Buschner: Na, sie hätten lieber in der Bundesrepublik gelebt.

Als die Deutschland schließlich Weltmeister wurde, haben Sie sich gefreut?

Buschner: Ja, das war mir lieber, als wenn eine andere gewonnen hätte. Ich habe mich immer über alle fußballerischen Erfolge des bundesdeutschen Fußballs gefreut. Im übrigen hat deren WM-Sieg 1974 ja auch unsere Leistung zuvor aufgewertet.

Wer wird Europameister 2000?

Buschner: Ganz schwierig! Vielleicht nutzt den Holländern der Heimvorteil, aber ich glaube, die Portugiesen, wenn sie nervlich stark sind, sind spielerisch doch noch ‘ne Idee besser. Für die Franzosen spricht ihr Schwung und ihr Elan, aber wenn ich unbedingt tippen soll, sage ich Holland.

Wer wird neuer Nationaltrainer?

Buschner: Da tippe ich nicht mal, das geht so wenig nachvollzieber vor sich, daß ich da keine Vorraussage treffen kann. Persönlich würde ich Christoph Daum oder Ottmar Hitzfeld begrüßen.

 

Georg Buschner geboren 1925 in Gera, war von 1970 bis 1981 Trainer der Fußball-Nationalmannschaft der DDR. Der frühere Lehrer für Sportgeschichte und sechfache Nationalspieler betreute die DDR-Auswahl in 115 Länderspielen. 1972 wurde die Mannschaft Olympia-Dritter, vier Jahre später Olympiasieger. Zu den größten Erfolgen gehört das 1:0 gegen die westdeutsche Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 1974 durch ein Tor von Jürgen Sparwasser. Am Ende wurde die DDR-Auswahl WM-Sechster. 1981 wurde Buschner nach ausbleibenden Erfolgen entlassen, seit 1983 ist er im Ruhestand.

 

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