© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Moralische Boykotte werden schwieriger
USA: Für das Oberste Gericht ist Außenpolitik eine ausschließliche Domäne der US-Bundesregierung
Ivan Denes

Ein Urteil des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten vom 19. Juni stellt die Methoden, mit denen Vertreter jüdischer Organisationen in Amerika – bzw. die mit ihnen verbündeten Beamten und Parlamente in den einzelnen Bundesstaaten und Kommunalverwaltungen – Schweizer Banken, niederländische Versicherungen, Banken und Börsen, deutsche, französische oder österreichische Unternehmen "bekämpft" haben, in ein völlig neues Licht. Einstimmig haben die Richter beschlossen, daß Außenpolitik eine ausschließliche Domäne der US-Bundesregierung ist und nicht eine der einzelnen Bundesstaaten.

Konkret annullierte das Gericht ein Handelsgesetz des Staates Massachussetts, das Mijanmar (Burma) wegen Mißachtung der Menschenrechte unter Sanktionen stellte. Der Staat Massachussetts hatte aufgrund dieses Gesetzes Käufe von Firmen, die Geschäftsverbindungen zu Mijanmar unterhalten, eingeschränkt. Der Staat argumentierte, er habe das Recht, einen "moralischen Maßstab" anzuwenden, wenn er darüber beschließt, was und von wem er einkaufen soll. Das Gericht erläuterte, daß solche Sanktionen – wie "edel" ihre Beweggründe auch sein mögen – nicht zulässig sind, weil sie die US-Außenpolitik durchkreuzten.

In der Vergangenheit haben sowohl die US-Regierung wie auch einzelne Bundesstaaten aus politischen Gründen Sanktionen gegen Südafrika verhängt, um gegen das Apartheid-Regime zu protestieren. Nur gab es in dieser Sache keinen Gegensatz zwischen der Bundesregierung und den einzelnen Bundesstaaten.Gegen das Gesetz des Staates Massachussetts klagte der Nationale Außenhandelsrat (National Foreign Trade Council), unterstützt von der Bundesregierung der USA. Das Hauptargument des Klägers: Außenpolitik wird exklusiv von der Bundesregierung kontrolliert. Weiter argumentierte er, daß außenhandelspolitische Maßnahmen eines Einzelstaates den Handelsinteressen der USA schaden. Das Gesetz sei gleichbedeutend mit einem "zwingenden Sekundärboykott" und untergrabe "die Fähigkeit des Präsidenten, effektive Diplomatie zu praktizieren". Das Urteil wird 20 andere Anti-Burma-Maßnahmen betreffen sowie weitere lokale Gesetze, die Sanktionen gegen Nigeria, China oder Indonesien verhängt haben.

Wie die Jerusalem Post in ihrer Ausgabe vom 20. Juni schreibt, erwartet man, daß das Urteil auch die Hände von Finanzbeamten auf unterer Ebene binden werden, "die von jüdischen Organisationen ermutigt wurden, Sanktionen anzuwenden oder mit ihnen zu drohen", etwa in Zusammenhang mit Forderungen aus der Holocaust-Ära. Zwar könnten die einzelnen Bundesstaaten oder Kommunalverwaltungen dahingehend argumentieren, daß sich die US-Regierung nicht in ihre "treuhändlerischen Verantwortungen" einmischen könne – etwa in die Entscheidung, bei welcher Bank sie die ihnen anvertrauten Pensionsfonds investieren sollten. Aber, zitiert das Blatt einen New Yorker Experten, "dieses Argument greift nur, wenn sie ihren Mund halten können in Bezug auf ihre Beweggründe, aber bisher haben sie ihren Mund nicht gehalten".

Im Klartext: wenn der "Hevesi-Ausschuß" – bestehend aus 900 städtischen und bundesstaatlichen Beamten – nicht öffentlich seine Drohung, die Fusion der Deutschen Bank mit der amerikanischen Bankers Trust zu blockieren, mit Forderungen von Holocaust-Opfern begründet hätten, dann hätten sie weiter machen können wie gehabt. Unter den jetzt gegebenen Umständen jedoch nicht.

Die israelische Zeitung weist abschließend auf die Tatsache hin, daß Staatssekretär Stuart Eizenstat – der Sonderbeauftragte des Weißen Hauses für Restitutionsfragen – in den letzten drei Jahren immer wieder gegen Sanktionen und Boykottdrohungen protestiert habe. Im Rahmen einer Senatsanhörung im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit den Schweizer Banken, hatte er wörtlich erklärt: "Ich kann Ihnen versichern, daß Sanktionen, weit davon entfernt, Holocaust-Überlebende zu einer gerechten und fairen Lösung zu verhelfen, den ganzen Vorgang nur verzögern werden und somit es uns erschweren werden, ein Maß von Gerechtigkeit für die Überlebenden des Holocaust zu erreichen." Sanktionen seien "prinzipiell falsch, weil sie unberechtigt sind und weil unsere Nation in Fragen der Außenpolitik und des internationalen Handels mit einer Stimme sprechen sollte".

Der Direktor des World Jewish Congress (WJC), Elan Steinberg, glaubt nicht, daß dieses Urteil des Obersten Gerichtshofs in Zukunft die Boykottmöglichkeiten einschränken werde. Das erklärte er gegenüber der israelischen Wirtschaftszeitung Globes. Dem Zeitungsbericht zufolge soll der oberste Richterspruch bei jüdischen Organisationen böse Ahnungen aufkommen lassen, daß er ihre Kampagne gegen europäische Unternehmen in Sachen Kompensation für Holocaust-Opfer gesetzlich unterlaufen könnte.

Steinberg wörtlich: "Das Oberste Gericht kann nicht Beamten sagen, wo sie das Geld der Regierungskörperschaften anlegen sollen, für die sie arbeiten. Der Richterspruch bezieht sich exklusiv auf legislative Vorgehen". Doch der New Yorker Stadtkämmerer Alan Hevesi hat sehr wohl außenpolitische Gründe für sein Vorgehen angegeben.


 
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