© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Poet in einer unpoetischen Zeit
Zum 100. Geburtstag von Antoine de Saint-Exupéry
Werner Olles

Ach, Herr General, es gibt nur ein Problem, ein einziges in der Welt. Wie kann man den Menschen eine geistige Bedeutung, eine geistige Unruhe wiedergeben; etwas auf sie herniedertauen lassen, was einem Gregorianischen Gesang gleicht! (...) Ich hasse meine Epoche aus ganzer Seele. Der Mensch stirbt in ihr vor Durst. Sehen Sie, man kann einfach nicht mehr leben von Eisschränken, von Politik, von Bilanzen und Kreuzworträtseln. Man kann es nicht mehr. Man kann nicht mehr leben ohne Poesie, ohne Farbe, ohne Liebe. Wenn man bloß ein Dorflied aus dem 15. Jahrhundert hört, ermißt man den ganzen Abstieg. Es bleibt nur die Stimme des Propagandaroboters. Zwei Milliarden Menschen hören nur noch auf die Stimme des Roboters, werden eines Tages selbst zu Robotern. Was wird eigentlich aus uns in dieser Epoche des Robotermenschen, des Termitenmenschen, des Menschen, der hin und herpendelt zwischen Fließbandarbeit und Skatspielen?"

Saint-Exupérys legendärer "Brief an einen General" endet mit der Frage: "Falls ich lebendig heimkehre von diesem "notwendigen und undankbaren Job", dann wird sich für mich nur ein Problem stellen: Was kann, was soll man den Menschen sagen?"

Antoine-Marie-Roger Comte de Saint-Exupéry wurde am 29. Juni 1900 in Lyon geboren. Der Vater, einem alten Limousiner Geschlecht entstammend, starb früh, so daß die Erziehung der fünf Kinder allein der Mutter oblag. Nachdem er ein Architekturstudium begonnen hatte, wurde Saint-Exupéry mit 27 Jahren Pilot einer Luftfahrgesellschaft für die Linie Toulouse–Casablanca–Dakar. Zwei Jahre später war er bereits Direktor der Aeroposta Argentina in Buenos Aires. In seinen beiden autobiographischen Erstlingswerken "Südkurier" und "Nachtflug" fand diese Pionierzeit der Fliegerei ihren romanhaften Niederschlag. 1934 wurde er Mitarbeiter der Air France und heiratete die künstlerisch begabte Consuelo Suncon. Es folgten unruhige und sorgenvolle Jahre in verschiedenen Berufen, bis ihm sein von zeitkritischen Betrachtungen durchzogenes Erlebnisbuch "Wind, Sand und Sterne" 1939 den Romanpreis der Academie Francaise eintrug. In knapp vier Jahren erreichte das zu den bedeutenden Dichtungen des 20. Jahrhunderts zählende Buch eine Auflage von über hunderttausend Exemplaren.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges meldete sich Saint-Exupéry freiwillig als Offizier zur Luftwaffe. Da seine Ethik der Liebe, Brüderlichkeit und Pflichterfüllung es ihm nicht erlaubte, einen Feind zu töten, entschied er sich, einen Aufklärer zu fliegen. Im November 1940 kam er in die USA. Hier entstanden seine bekanntesten Bücher: "Flug nach Arras", ein durch Jugenderinnerungen bereichertes und in einer kulturkritischen Betrachtung ausklingendes Kriegstagebuch; das Märchen "Der kleine Prinz", in dem er Zivilisationserscheinungen liebenswürdig karikiert, aber auch persönliche Erlebnisse in Sinnbildern ausdrückt; die kleinere Schrift "Bekenntnis einer Freundschaft" und vor allem sein posthum erschienenes Werk "Die Stadt in der Wüste", das in orientalischer Szenerie und gehobener Sprache mit seinen Gleichnissen, Gebeten und Meditationen an der modernen Zeit Kritik übte und Hinweise auf eine neue Ordnung gab.

Nach der alliierten Landung in Nordafrika meldete er sich wieder als Flieger eines Aufklärers zur Luftwaffe. Von einem freiwilligen Einsatz über Korsika kehrte er am 31. Juli 1944 nicht mehr zurück. Die Vermutung, daß er von deutschen Jägern oder einer Flak abgeschossen wurde, wird allerdings heute nicht mehr aufrecht erhalten. Nach umfangreichen Recherchen in deutschen Militärarchiven nimmt man inzwischen an, daß entweder bei seiner Maschine ein Motorschaden auftrat oder ein plötzlicher Sauerstoffmangel im Cockpit zum Absturz führte. Im Mai dieses Jahres fand ein Taucher vor der französischen Mittelmeerküste zudem Wrackteile eines Flugzeugs vom Typ "Lightning P 38". Wenige Tage zuvor hatten bereits Fischer Heckteile entdeckt, die ebenfalls der Maschine Saint-Exupérys zugeordnet wurden. An der gleichen Stelle hatte schon im Herbst 1998 ein Fischer ein silbernes Armband aus dem Meer geholt, auf dem der Name des Schriftstellers eingraviert war. Tatsächlich sind in der betreffenden Region damals jedoch fünf Maschinen dieses Typs verschollen, und die sterblichen Überreste des Dichters, der das Fliegen zum Beruf und zum Thema seines literarischen Werkes gemacht hatte, blieben bis heute verschwunden. Er werde es nicht bedauern, im Krieg umzukommen, weil er sich nichts mehr von der Zukunft erhoffe, hatte er noch kurz vor seinem Tod geschrieben.

Für den Dichter und Flieger war Schreiben kein Spiel, sondern hatte nur als Verdichtung des tätig Erlebten Berechtigung. Das Erlebnis des Fliegens prägte sein Weltbild, veranlaßte ihn zur Kritik an der modernen mechanisierten Zivilisation der Neuzeit und gewann ihn für einen von feinfühliger Zartheit, Lebensfreude und Kontemplation beseelten konservativen Humanismus. Seine Resignation über das Verschwinden von Kultur und Mythen und seine Bitterkeit über eine Welt des Mediokren und Trivialen kam wohl am stärksten in den Aufzeichnungen "Die innere Schwerkraft. Schriften aus dem Krieg 1939–1944" zum Ausdruck. In diesen Visionen eines aus antiken, humanistischen und agnostisch-gottbezogenen Beständen erneuerten Europas zeigte sich auch Saint-Exupérys ambivalente Haltung gegenüber Resistance und Faschismus. Es ging ihm nicht nur um den Niederschlag der Kriegserfahrung, sondern mehr noch um ein Bekenntnis zum Vaterland und zur abendländischen Kultur und ihren unvergänglichen Werten. Mit dieser literarischen Gestaltung der Grundfragen menschlicher Existenz überschritt er die Grenzen der Literatur. Unüberhörbar äußerte sich hier seine Skepsis und Trauer über einen universalistischen Zivilisationsprozeß, der nicht nur die Natur, sondern auch den Charakter und die Würde des Menschen zerstört.

Die internationale Literaturkritik hat lange versucht, ihn auf den Autor des wunderschönen Märchens "Der kleine Prinz" zu reduzieren. Aber selbst in diesem in 65 Sprachen übersetzten Buch hat der Dichter den Menschen viel zu sagen. Ohne falsche Moral und erhobenen Zeigefinger gelang es ihm, in einer Weise über Freundschaft, Liebe und Trost zu schreiben, die bis heute einmalig blieb. Liebevoll mit eigenen Zeichnungen ausgestattet ist die zum Lyrischen neigende Prosa des "Kleinen Prinz" eine metaphorisch ausgedrückte Karikatur der modernen Zeit mit ihren negativen Erscheinungen wie Einsamkeit, Freudlosigkeit, und Verzweiflung.

"Durch eine eigenartige Verbindung zwischen tätigem Leben und Kontemplation wußte er die Spannungen des modernen Lebens fruchtbar zu machen", schrieb Oswalt von Nostitz über diesen Poeten einer unpoetischen Zeit. Antoine de Saint-Exupéry, der auf den krummen Zeilen der Geschichte gerade leben wollte, war jedoch alles andere als ein Kulturnostalgiker mit Untergangsvisionen. Zu entdecken ist vielmehr ein Meisterwerk der Weltliteratur und ein Autor, den man als einen Denker auf gefährlichem Terrain bezeichnen darf.


 
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