© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Rote und blaue Pferde
Ausstellung: Bilder von Franz Marc
Rüdiger Ruhnau

Zu den zahlreichen Ausstellungen, die Franz Marc und dem Blauen Reiter gewidmet waren, gesellt sich die Stuttgarter Staatsgalerie mit einer speziellen Pferde-Schau des Malers. In dem kurzen Zeitraum von nur sechs Jahren (1908–1914) schuf Marc eine eigene Bilderwelt, sie reichte vom Naturalismus über die expressiven Farbformen bis hin zu kristallinen Abstraktionen. 122 Pferdedarstellungen – Gemälde, Zeichungen, Tempera- und Gouachearbeiten – zeigen den Künstler in seinem Bemühen, eine "Animalisierung der Kunst" zu verwirklichen.

1880 als Sohn eines Malers in München geboren, reiste er nach dem Besuch der Münchner Akademie nach Paris, wo ihn die Impressionisten mit van Gogh stark beeindruckten. Von der münchnerisch-akademischen Malweise wechselte Marc bald zu der Flächigkeit und Farbigkeit der Fauvisten. Die avantgardistischen jungen Maler gründeten 1909 die "Neue Künstlervereinigung München" unter dem Vorsitz des Russen Wassily Kandinsky. Nach Meinungsverschiedenheiten spaltete sich die Gruppe um Marc und Kandinsky ab, aus der dann "Der Blaue Reiter" entstand. Schon vorher hatten die beiden gemeinsam mit August Macke das Projekt eines Almanachs mit dem gleichen Namen entworfen, er sollte die wichtigsten Reproduktionen und Artikel von modernen Künstlern enthalten. Dieser Almanach "Der Blaue Reiter", so genannt nach einem Bild von Kandinsky, erschien 1912 im R. Piper-Verlag.

In der ersten Ausstellung des Blauen Reiters, Dezember 1911 in der Münchner Galerie Thannhauser, zeigte Franz Marc neben drei weiteren Arbeiten die "Großen blauen Pferde". Das Bild, eine Leihgabe aus den USA, ist jetzt in Stuttgart zu sehen: Drei eng beieinander stehende, in starker Drehung befindliche blaue Pferde, kontrastieren mit einem roten Hintergrund. In das Bild ragen eigenartige grüne Pflanzenteile hinein. Marc sprach von einem Neubeginn in der Malerei, "von den tollsten und selbstverständlichsten Möglichkeiten, an die noch kein Deutscher unserer Zeit gedacht hat".

Franz Marc fühlte sich in der Großstadt nicht wohl, er zog aufs Land, in die Nähe von Kochel am See in Oberbayern. Verheiratet mit Maria Franck, eng befreundet mit August Macke, malte er viel im Freien: "Fohlen auf der Weide", "Pferde in der Sonne" und immer wieder Tiere. In der Berliner Kunstszene herrschte ein erbitterter Streit, Liebermann und Corinth lehnten die neue Kunstbewegung ab. Aber Marc und Macke sind keine absoluten Expressionisten, sie setzen nicht auf die Zerstörung der Gestalt, auf Verzerrung der Physiognomien. Beide geben mehr auf die Pracht der Bildmittel, auf die Schönheit des Dargestellten. Die dick und pastös aufgetragene Farbmaterie ist von einer immensen Leuchtkraft, sie zeigt in Farben und Formen den ausdrucksstarken Stil von Franz Marc.

Aus dem Harvard University Art Museum, Cambridge USA, ist das wohl bekannteste Ölgemälde Marcs, "Die roten Pferde", leihweise nach Stuttgart gekommen. In unzähligen Reproduktionen verbreitet, in vielen Büchern als Beispiel für "Moderne Malerei" gepriesen, zeigt das Bild drei rote Pferde auf einer Weide. Das Wechselspiel der verschiedenen kurvigen Bewegungen verleiht den in Dreieckformation angeordneten Tieren eine starke Dynamik. Die Primärfarben Rot, Gelb und Blau, in Verbindung mit dem scharf erfaßten Umriß, machen den Reiz des zu Recht beliebten Gemäldes aus.

Franz Marc erkannte aber auch die Sackgasse der formzerstörerischen Malerei. Von der naturfeindlichen Laborkunst sich abwendend, kam er mit seinem Sieg der Farbe und der reinen Form dem Bedürfnis nach Harmonie entgegen. Auf dem "Ersten Deutschen Herbstsalon in Berlin" im September 1913 war er mit seinem Hauptwerk "Turm der blauen Pferde" vertreten. Das zwei Meter hohe Ölbild befand sich bis in die späten dreißiger Jahre in der Berliner Nationalgalerie, es wurde noch vor der staatlich verordneten Versteigerung von 125 Werken moderner Kunst, am 30. Juni 1939 in Luzern, vom damaligen preußischen Ministerpräsidenten und Reichsminister Hermann Göring "sichergestellt". Seit 1945 ist das berühmte Gemälde, laut Katalog "ein Meisterwerk der Moderne und der gesamten deutschen Kunst", zwar verschollen, aber durch alte Farbaufnahmen doch genügend bekannt und selbstverständlich auch in dem hervorragenden Ausstellungskatalog abgebildet.

In der Folgezeit werden Marcs Tierdarstellungen in der Landschaft immer mehr typisiert. Man spürt sein Ringen um die Vereinfachung der Form, sein tiefes Einfühlen in die Kreatur. Die noch erkennbaren Gegenstände, in transparenten Farben gemalt, durchdringen sich gegenseitig, die spitzwinkelige Zerlegung der Bildfläche nähert sich der Abstraktion. Was hätte man von diesem Besessenen der Kunst noch erwarten können? Bei Kriegsausbruch 1914 meldet er sich freiwillig zu den Waffen. Das Skizzenbuch "Aus dem Felde" bleibt seine einzige künstlerische Arbeit der Kriegszeit, auf kleinem Format zeichnete er "jagende Reiter" und "stürmende Pferde", apokalyptische Szenen, die Schrecken des Krieges versinnbildlichend. In einem Brief an den Künstlerfreund Kandinsky heißt es: "Ich selbst lebe in diesem Krieg. Ich sehe in ihm sogar den heilsamen wenn auch grausamen Durchgang zu unseren Zielen; er wird die Menschen nicht zurückwerfen, sondern Europa reinigen." Ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz wird Franz Marc 1915 zum Leutnant befördert, er fällt am 4. März 1916 bei Verdun.

 

Die Ausstellung ist bis zum 10. September in der Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Str. 30-32, zu sehen. Der Katalog kostet 39 Mark.


 
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