© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/00 07. Juli 2000

 
Ein "Vernichtungsfeldzug"
Einzelhandel: Wal-Mart drängt auf den deutschen Markt – Preiskampf voll entbrannt – Aldi & Co. unter Druck
Ronald Gläser

Der harte Kampf im deutschen Einzelhandel sorgt derzeit für Furore. Obwohl diese Branche bisher nicht gerade als "Lizenz zum Gelddrucken" galt, drängt seit 1998 der amerikanische Riese Wal-Mart auf den Markt und hat den seit Jahren herrschenden Preiskrieg aufs neue belebt.

Deutsche Billigketten wie Norma oder Lidl haben auf die von Wal-Mart im Frühjahr eingeleitete Preisoffensive mit Niedrigangeboten reagiert. Branchenführer Aldi hat die Preise sogar um bis zu 25 Prozent gesenkt. Die Kunden profitieren dadurch von Preisen "wie in den fünfziger Jahren". Andererseits prüft das Kartellamt jetzt Vorwürfe, die Produkte würden unter Einkaufspreis angeboten, um Konkurrenten auszuschalten. Dadurch entstünden Wettbewerbsverzerrungen. Die entgangenen Gewinne der Händler werden auf eine Milliarde Mark taxiert und machen alleine bei Aldi angeblich rund 200 Millionen Mark aus.

Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel ist unter Renditegesichtspunkten unattraktiv. Hier wird mit extrem niedrigen Margen gearbeitet. Schätzungen zufolge beträgt die Umsatzrendite gerade mal ein Prozent. Außerdem ist er von Großkonzernen Tengelmann und Metro einerseits und von Ketten wie Aldi, Lidl und Spar andererseits umkämpft.

Die Motivation des US-Giganten Wal-Mart, dessen – weltweit 3.000 – Märkte wöchentlich von 100 Millionen Menschen aufgesucht werden, in diesen Markt Milliarden zu investieren, scheint in einer neuen globalen Ausrichtung des Konzerns zu liegen. Wal-Mart will sein deutsches Standbein für die Eroberung ganz Europas nutzen.

Der Erfolg Wal-Marts ist in der modernen Firmenstruktur begründet. Wie bei Autokonzernen basiert der Einkauf auf einer Art just-in-time-Liefersystem. Durch seine Marktmacht kann Wal-Mart den Lieferanten die Bedingungen diktieren und zügige Sofortlieferungen verlangen. Er gilt als größter Arbeitgeber der USA, wobei die etwa 600.000 Angestellten meist unterbezahlte Hilfskräfte sind.

Zu den typisch amerikanischen Merkmalen der Walmartkette gehören stereotype Verhaltensweisen der Mitarbeiter, die morgens gemeinschaftlich W-A-L-M-A-R-T buchstabieren müssen, was wohl den Zusammenhalt demonstrieren soll. Dienstleistung bis hin zum Packen der Einkaufstasche wird groß geschrieben. Man duzt sich wie bei Ikea.

Der Konzern ist nicht einmal 40 Jahre alt und hat sich durch diese Strategie eine Marktführerschaft erkämpft. Firmengründer Sam Walton erhielt von Präsident George Bush kurz vor seinem Tod 1992 die amerikanische Freiheitsmedaille für sein Lebenswerk. Das Unternehmen wirbt heute damit, "der Welt einen besseren Lebensstandard ermöglichen" zu wollen: natürlich unter US-Flagge.

Bisher läuft das Geschäft schlecht für die 95 Wal-Mart-Filialen in Deutschland. Die großen logistischen Vorteile können die Amerikaner mit ihren spärlich verteilten Märkten nicht ausspielen. Neue Märkte zu bauen ist zu teuer. Also setzt Wal-Mart auf den Aufkauf von defizitären Konkurrenten wie Wertkauf und Interspar. Um das deutsche Geschäft anzuheizen, hat man auch eine Kooperation geschlossen: McDonald’s soll die Kunden in die Geschäfte locken.

Die Gegenspieler setzen auf Preiskrieg oder Unternehmenszukäufe, um ihre Stellung zu festigen. Der zweitmächtigste Einzelhandelsgigant der Welt ist die Metro-Gruppe (Kaufhof, Horten, Real, Extra, Asko). Sie hat in den letzten Jahren etliche Konkurrenten übernommen, um durch milliardenschwere Übernahmen ihre Marktanteile zu festigen. Beim Verkauf der Wertkaufgruppe, die dann an Wal-Mart ging, war Metro allerdings unterlegen. Angeblich wollte Wal-Mart zuerst Karl und Theo Albrecht, die zu den reichsten Männern der Welt gehören, ihr Unternehmen abkaufen: Doch Aldi trotzt der US-Herausforderung wie kein anderes deutsches Unternehmen. Der zweigeteilte Billigstmarkt beantwortete jede neue Preisrunde von Wal-Mart mit eigenen Niedrigstangeboten.

Aldi verramschte Kameras für 30 Mark oder Rum für zehn Mark. Schon vor Jahren machten sich die Gebrüder Albrecht durch den Verkauf von PC’s einen Namen in einer Produktsparte, die so gar nicht zu Lebensmittelgeschäften gehört. Aldi hat rund 2.000 Filialen und wird sich dank seiner Größe gegen den Herausforderer zur Wehr setzen können. Dabei ist die Struktur von Aldi der von Wal-Mart entgegengesetzt. Die zu GmbHs zusammengefaßten Filialen werden bei Erreichen von bestimmten Umsatzgrößen geteilt. Dadurch soll die Publizitätspflicht der Umsätze in den Gebieten umgangen werden. Die Verantwortung wird nicht zentral gesteuert, sondern möglichst nach unten delegiert. Statt dessen leistet sich Wal-Mart sogar einen eigenen Satelliten, der die Produktpalette weltweit überprüft. Auf Service verzichtet Aldi gänzlich, während genau dies integrativer Bestandteil der Firmenphilosophie von Wal-Mart ist. Dennoch kaufen drei von vier deutschen Haushalten bei Aldi ein. Was Aldi wirklich sympathisch macht, ist, daß der Konzern ausbildet und seinen Mitarbeitern vergleichsweise großzügige Gehälter zahlt. Von der kleinen Kassiererin bis zum Managementnachwuchs bietet Aldi eine wenig prestigeträchtige, aber lohnende Ausbildung und Beschäftigung. Wal-Mart arbeitet nur leistungsorientiert: Die Mitarbeiter erhalten zusätzliche Vergütungen für ausgezeichnete Leistungen.

Andere setzen auf auch Auslandsexpansion: So hat Tengelmann Ketten in Holland übernommen. Rewe versuchte seinen Marktanteil mit der Übernahme von Edeka zu sichern. In einer Erklärung zum Preiskampf sah sich das Kölner Unternehmen von einem "Vernichtungsfeldzug" bedroht, der die "wirtschaftliche Basis des Lebensmittelhandels" zerstören werde. Spar leidet auch unter starkem Druck, was der niedrige Aktienkurs von 3,5 Euro zeigt: Spar gilt als Übernahmekandidat, für den sich die französische Intermarché-Kette interessiert.

Auch der Mittelstand sieht sich bedroht: "Hier ist ein Machtwettbewerb im Gange, hier ist Verdrängen und Aussortieren angesagt" befürchtet Herbert Blan, Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittel-Einzelhandels (BLV). Die Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie fordert dazu auf "zu einem vernüftigen, an der Wertschöpfung orientierten Marktverhalten zurückzukehren", denn ein Verlust von Arbeitsplätzen und Angebotsvielfalt drohe.


 
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