© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/00 07. Juli 2000

 
Die neue Ausplünderung
Die Globalisierung der Wirtschaft führt zu einer wachsenden Zuwanderung nach Europa
Alexander Behrmann

Mit einem ökonomischen Schlachtruf als Rammbock gegen den Willen des Volkes soll in Deutschland das Tor zu noch mehr Einwanderung aufgestoßen werden: Globalisierung. Unter diesem Motto werden Märkte und Konsumenten gegliedert, die Menschen auf ihre Funktion als Renten- und Steuerzahler reduziert, Länder ausschließlich als Wirtschaftsstandorte betrachtet. Die mate-rielle Befriedigung des Individuums ist dabei der Deckel auf einem brodelnden Topf: ethnische Konflikte sind zumindest in den Großstädten nicht mehr zu übersehen, aber noch hält der Wohlstandslack.

Allen Argumentationen der Marktfundamentalisten zum Trotz hat die Globalisierung bisher keine ethnischen Konflikte lösen oder die Fragmentierung multi-ethnischer Staaten verhindern können. Nationalismus-Studien belegen, daß auch Menschen mit hohem Einkommen und Bildungsniveau keinesfalls nur zur "Davos-Kultur" neigen und die Globalisierung ideologisch bejahen, sondern daß sie in sezessionistischen Strömungen sogar überrepräsentiert sind. In Afrika und Asien hat die Modernisierung sich bisher kaum als assimilierende Kraft bewiesen, und auch in Europa muß die weitere Entwicklung erst zeigen, in welchem Ausmaß dies möglich ist.

Angesichts der wirtschaftlichen Krisen des Jahres 1998/99 in Südostasien sollte man die uneingeschränkte Übertragbarkeit von westlichen Wirtschaftsmodellen in Frage stellen. Schon früher war das Scheitern westlicher Modelle, politischer und ökonomischer, ein fester Bestandteil der globalen Realität. Die wichtigste Lektion der Asienkrise darüber hinaus ist jedoch, daß das kulturell homogene Südkorea sie eben aufgrund seiner Homogenität als Solidargemeinschaft überstand, während im benachbarten Indonesien die ethnische Desintegration nichts abfedern konnte. Der Erfolg einer multikulturellen Gesellschaft wird eben nicht in Zeiten des "Booms" gemessen, sondern anhand der Fähigkeit, Krisenzeiten zu meistern.

Während die sogenannte Globalisierung ein relativ neuer Begriff ist, gibt es den ökonomischen Determinismus schon lange. So verschätzte sich zum Beispiel die britische Krone in ihrer Lagebeurteilung zu den amerikanischen Kolonien gründlich. Das Resultat ist bekannt: Es wurden Steuern und Handelsauflagen beschlossen, die die vorhandenen Mißstimmungen so sehr verstärkten, daß es zur Revolution kam.

Im Jahre 1912 war es dann der ökonomische Determinismus, der die allgemein akzeptierte Ansicht stützte, ein Krieg zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich sei unmöglich, weil diese wechselseitig die größten Handelspartner waren. Es ist eine alte Erfahrung, daß "Abhängigkeit" und "Interdependenz" Konflikte nicht verhindern. Für radikale Globalisierer ist dies schwer verständlich, weil sie uneingeschränkt glauben, daß Geschäftsleute wichtiger sind als Soldaten, Ökonomen mehr wissen als Politikwissenschaftler und multinationale Konzerne stärker sind als Staaten. Sie erkennen nicht, daß Konflikte an Reibungspunkten entstehen, wo der Kontakt am intensivsten und die Verzahnung der Interessen am dichtesten ist.

Globalisierer argumentieren für Einwanderung und die Notwendigkeit der "Impulse von außen", die einen Bereicherungswert enthalten sollen. Selbst Billiglohn-Arbeitskräfte werden importiert, obwohl die weitere Entwicklung von einer arbeitsintensiven Industriegesellschaft zur Hochtechnologiegesellschaft diese Einwanderer zwangsläufig auf Dauer überflüssig macht. Außerdem gibt es nur für die Arbeitgeber, nicht aber für die Gesellschaft und den Staat die "billigen Arbeitskräfte". Der afroamerikanische Ökonom Thomas Sowell weist diesbezüglich darauf hin, daß die Integrationskosten und Bemühungen, inkompatible Kulturen zu assimilieren, diese Gruppen weitaus teurer machen, als der Gehaltsstreifen es ausdrückt. Die versteckten und indirekten Kosten, die auf den Staat und die Gesellschaft zukommen, machen ein Vielfaches des Arbeitslohns aus, verteilt eben auf Schulen, Justiz, Gesundheit und Behörden.

Auch führt die Zuwanderung keineswegs zu einer "Verjüngung" von rapide alternden Bevölkerungen, wie oft postuliert wird. Würden sich statt der geschätzten zehn Millionen Zuwanderer bis 2040 fünfzehn Millionen in Deutschland niederlassen, würden laut Berechnungen des Statistischen Bundesamtes die Altenquotienten sich demographisch lediglich von 68 auf 65 vermindern. denn auch die Zuwanderer altern und verschärfen daher das Problem eher noch.

Der Bamberger Bevölkerungswissenschaftler Josef Schmid weist darauf hin, daß demographischer "Ersatz", d.h. Zuwanderung zwecks Ausgleich der Altersstruktur, von seinem Quantum her weder zu administrieren noch zu integrieren sei. In einer Studie für das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung rechnet der Volkswirtschaftler Thiemo Eser für die gesamte EU mit einer Zuwanderung von zwei Millionen Menschen jährlich. Er verweist auf Folgen, die von der Mehrzahl der Ökonomen bisher nicht diskutiert werden: Die Migration wird die Arbeitslosigkeit steigen lassen, der Wettbewerb zwischen Arbeitnehmern wird sich verschärfen, und die Umverteilungsmasse der EU für die belasteten Förderregionen muß gesenkt werden.

Auch in Deutschland setzt nun eine Debatte um eine Politik der selektiven Einwanderung ein, wobei für diese Auswahl bemerkenswerterweise zwei Kriterien diskutiert werden: Wer ist überhaupt kulturell kompatibel, also integrierbar? Und: Welche Fachkräfte brauchen wir? Damit hat sich zumindest die Erkenntnis durchgesetzt, daß eine Hochtechnologiegesellschaft Billigarbeiter in die Arbeitslosigkeit zuwandern ließe. Selektive Einwanderung bedeutet jedoch in der Praxis, daß herangebildete Fachkräfte aus den Entwicklungsländern herausgezogen werden, obwohl sie gerade dort am meisten gebraucht werden. Der "brain drain" wirkt sich vor allem in Afrika sehr stark aus, dessen intellektuelle Elite ihre Söhne und Töchter immer seltener von europäischen Universitäten zurückkehren sieht. Diese Entwicklung wird nicht ganz zu Unrecht von manchen als "die neue Ausplünderung der Dritten Welt" beschrieben.

Die moralischen Fragen nach den Folgen der kurz- und mittelfristigen ökonomischen Überlegungen werden selten gestellt. Die Auswirkungen auf die Entwicklung in den Ursprungsländern werden genausowenig untersucht wie die noch nicht absehbaren Folgen für die Zielländer. Wie immer werden weder die sozialen noch die politische Kosten einer bisher mißlungenen Integration in Rechnung gestellt. Dies sind alles Faktoren, die zeigen, wie unzureichend ökonomische Deterministen mittel- bis langfristige Auswirkungen ihres Handelns beachten. Sie verhalten sich bestenfalls naiv und schlimmstenfalls wie Raubtierkapitalisten.


 
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