© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/00 14. Juli 2000

 
Der Puls des Öls
Der iranische Staatspräsident Khatami besuchte Deutschland
Michael Wiesberg

Meine Reise nach Deutschland soll ein Zeichen setzen, ein Zeichen des Willens beider Völker, die Zusammenarbeit fortzusetzen", erklärte der iranische Staatspräsident Khatami am Montag nach seinem Treffen mit Bundeskanzler Schröder. Der Bundeskanzler beeilte sich, seinem umstrittenen Staatsgast beizupflichten. Er betonte, man wolle an die traditionell engen Beziehungen zwischen beiden Ländern wieder anknüpfen.

Der Absichtserklärung folgten Taten: Konkret wurde der Ausbau der Wirtschaftskooperation vereinbart. Berlin erhöht den Finanzrahmen für Exportkredite von 200 Millionen auf eine Milliarde Mark. Darüber hinaus wurde eine Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus und Drogenschmuggels vereinbart. Schließlich soll auch ein suspendiertes Kulturabkommen neu ausgehandelt werden.

Alle Beteiligten gaben sich leidlich Mühe, Khatamis Staatsbesuch als demonstratives Signal zur Stärkung der Reformkräfte zu verkaufen. Um dieses Bild nicht zu trüben, wurden strittige Themen wie Menschenrechte und die vergangenen Spannungen im bilateralen Verhältnis ("Fall Hofer" und "Mykonos-Prozeß") nur nebenbei angesprochen. Im Vordergrund hat auf beiden Seiten der Wille gestanden, auf einen substanziellen Neuanfang nach Jahren der Eiszeit hinzuarbeiten. Khatami gab sich selbst im Hinblick auf die Proteste von Exil-Iranern moderat: Jede Opposition habe das Recht, sich zu äußern, sofern sie nicht zur Gewalt greife.

Khatamis Staatsbesuch kann als Ausweis politischer Kontinuität angesehen werden. Seit Beginn seiner Amtszeit hat Khatami dem Westen gegenüber immer wieder Dialogbereitschaft demonstriert. Wie stark das politische Beharrungsvermögen Khatamis im Iran allerdings wirklich ist, ist schwer zu beurteilen. Skepsis ist daher im Hinblick auf seine politischen Reformversuche angebracht. Der Iran ist nach wie vor eine Halbtheokratie. Die Leitlinien der Politik geben ein "Revolutionsführer" (derzeit Ajatollah Khamenei) ein Expertenrat und ein Wächterrat vor. Personen und Gesetzesvorhaben werden von diesen drei Instanzen auf ihre Übereinstimmung mit dem Islam bzw. dessen Auslegung geprüft. Daß die Herrschaft der Gottesgelehrten einer Demokratisierung nach westlichem Vorbild entgegenstehen, muß hier nicht mehr eigens begründet werden.

Bleibt die Frage, warum trotz der islamistischen Machtdoktrin des Irans von "Reformen" die Rede ist. Der Grund dürfte in der schwelenden Wirtschaftskrise Irans zu suchen sein. Diese Wirtschaftskrise ist auch ein Ergebnis von Willkür, die zwanzig Jahre nach der islamistischen Machtergreifung in allen gesellschaftlichen Bereichen des Irans feststellbar ist. Kommentatoren fühlen sich im Hinblick auf die Situation im Iran mehr und mehr an das sowjetische System erinnert. Die daraus resultierende Rechtsunsicherheit hemmt die unternehmerische Eigeninitiative, die für die ökonomische Entwicklung des Irans so dringend notwendig wäre. Das Bild der iranischen Wirtschaft ist vorrangig durch Staatsfirmen oder religiöse Stiftungen geprägt, die ihre Monopolstellung gegenüber privaten Unternehmern kompromißlos verteidigen. Diese Staatsfirmen sind oft Refugium für jene Hunderttausenden von Freiwilligen, die am Krieg gegen den Irak (1980–88) teilgenommen haben. Ihr Einsatz wurde mit Privilegien abgegolten, die unabhängig von beruflicher Qualifikation gewährt wurden. Diese bilden das Rückgrat der reformfeindlichen Kräfte im Iran. Das Ergebnis dieser Gemengelage ist eine ausgeprägte Mißwirtschaft, unter der das ganze Land leidet. So beträgt das verfügbare Einkommen einer iranischen Familie heute nur noch ein Viertel dessen, was gegen Ende des Schah-Regimes verdient wurde. Zu den hausgemachten Mißständen kommt noch die von den USA betriebene Sanktionspolitik gegenüber dem Iran erschwerend hinzu, die das Land mehr und mehr an den Rande des wirtschaftlichen Bankrotts treibt.

Die Perspektivlosigkeit der iranischen Wirtschaft steht im Kontrast zur demographischen Struktur des Landes. Mehr als fünfzig Prozent der Einwohner sind unter 19 Jahre alt. Drei Viertel der ca. 65 Millionen Iraner sind heute jünger als 34 Jahre. Die Studentenunruhen im letzten Jahr haben gezeigt, welches Konfliktpotential auf die iranische Gesellschaft zurollt, wenn es nicht gelingt, den vielen Jugendlichen eine angemessene berufliche Perspektive zu eröffnen. Dieser Hintergrund erklärt den Zwang zu Reformen, für die der Name Khatami steht.

Inwieweit die geopolitischen Interessen der USA zu einer Lockerung der Sanktionen gegen den Iran führen werden, muß abgewartet werden. Mit großer Aufmerksamkeit werden im Iran die Entwicklungen im Kaukasus beobachtet. Mit deutlichem Mißfallen wurde die Entscheidung der USA kommentiert, den Bau einer Pipeline von Baku (Aserbaidschan) nach Ceyhan (Türkei) zu unterstützen.

Im Iran ist man (zu Recht) der Überzeugung, daß die kostengünstigste Pipeline-Trasse durch den Iran führt. So sind die beiden iranischen Ökonomen Mohammed Sadri und Hassan Solhjoo sicher, daß der Iran am Ende doch die Oberhand gewinnen wird. Diese Hoffnung erklärt wohl auch die auffällige Zurückhaltung des iranischen Außenministeriums im Hinblick auf den Pipelinebau. Natürlich hat man im Iran begriffen, daß die Entscheidung für diese Pipeline auch dem Ziel dient, den Einfluß des Irans in dieser Region zu schwächen bzw. zurückzudrängen. Die indifferente Haltung der USA nährt aber auf iranischer Seite die Hoffnung, daß der Iran und die USA doch noch ins Geschäft kommen könnten.


 
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