© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/00 14. Juli 2000

 
"Wir sind als Opfer-Nation zu sehen"
Interview: Der FPÖ-Politiker Helmut Naderer über die Problematik des österreichischen "Versöhnungsfonds"
Jörg Fischer

Herr Naderer, auch Österreich sieht sich mit neuen Forderungen von ehemaligen Zwangsarbeitern konfrontiert, die in der NS-Zeit im damaligen Deutschen Reich gearbeitet haben. In den Entschädigungsfonds von sechs Milliarden Schilling sollen auch in Österreich die Gemeinden einen Beitrag einzahlen, weil diese auch von der Zwangsarbeit profitiert hätten. Warum wollen Sie als freiheitlicher Vizebürgermeister und Ihre FPÖ-Fraktion von Seekirchen Ihrer Gemeinde empfehlen, keinerlei Zahlungen zu leisten?

Naderer: Wir Freiheitliche haben im Gemeinderat deshalb den Antrag gestellt, uns nicht an den Zahlungen für in Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter der NS-Zeit zu beteiligen, weil es historisch erwiesen ist, daß von unserer Gemeinde keinerlei Zwangsarbeiter beschäftigt worden waren. Wo kein Verschulden oder keine Leistung in Anspruch genommen wurde – wie auch immer geartet –, kann nach meinem Rechtsverständnis auch keine Schuldzahlung erfolgen. Zudem hat sich der Präsident des österreichischen Gemeindeverbandes, Helmut Mödlhammer (ÖVP), mit genau demselben Argument gegen Zahlungen ausgesprochen.

Können Sie sich erklären, warum erst nach über 50 Jahren Entschädigungsforderungen aufkommen? Warum gab es nicht schon unter dem sozialistischen Kanzler Bruno Kreisky solche Forderungen?

Naderer: Im Staatsvertrag von 1955, in dem Österreich von den vier alliierten Mächten eine bedingte Freiheit zugestanden wurde, erklärten eben Frankreich, England, Amerika und Rußland, daß von Österreich keinerlei Reparationszahlungen zu leisten sind und daß alle Ansprüche der Sieger als abgegolten gelten. Deshalb kamen auch die nachfolgenden Regierungen nicht auf die Idee, irgendwelche Zahlungen zu leisten. Erst als die Sozialisten durch demokratische Wahlergebnisse immer mehr an Macht verloren – es begann 1986, als sie den Bundespräsidenten der ÖVP überlassen mußten –, versuchten sie mittels der Sozialistischen Internationalen und anderer weltweiter Organisationen das eigene Land im Ausland schlechtzumachen. Dadurch wurde solchen Forderungen immer mehr Auftrieb gegeben.

Das besondere an Ihrem Gemeinderatsantrag ist, daß Sie im Gegenzug Forderungen an die Nachfolgeregierungen der ehemaligen Alliierten des Zweiten Weltkrieges stellen. Sie wollen: "1) Gefangenen- und Zwangsarbeiterentschädigung (für Seekirchner, die nach Rußland und in andere Siegerstaaten zur Zwangsarbeit verschleppt wurden), 2) Kriegsdienstentschädigung (für Seekirchner und deren Angehörige bzw. Rechtsnachfolger, die in den Krieg einrücken mußten und dadurch hohe persönliche und wirtschaftliche Verluste in Kauf nehmen mußten), 3) Gefallenen- und Vermißtenentschädigung (für Angehörige und deren Rechtsnachfolger von Seekirchnern, die durch den Krieg um ihr Leben kamen oder noch vermißt werden)." Sind die Forderungen realistisch?

Naderer: Unsere Forderung nach Abgeltung des Leides, das Seekirchner durch die Wirrnisse vor 1945 und für Zwangsarbeit in oft skandalösen russischen Lagern hinnehmen mußten, ist zwar hinsichtlich der tatsächlichen finanziellen Abgeltung nicht realistisch, doch moralisch für unsere Bürger zu stellen.

Sie führen als Begründung Ihrer Forderungen das Schicksal von Josef Huber an– was ist ihm passiert?

Naderer: Der einfache Soldat Josef Huber wurde erst 1955 aus der russischen Kriegsgefangenschaft entlassen und als letzter Kriegsgefangener mit Kapelle und politischen Ehren empfangen wurde. Sein Schicksal in den menschenunwürdigen Russenlagern wurde in unserer Heimatchronik kurz angerissen. Krieg verursacht immer Leid. Es kann aber aus der historischen Distanz von 55 Jahren nicht nur das Schicksal und das Leid der Kriegsgewinner in Erinnerung behalten werden, sondern auch das unserer Väter und Groß- und Urgroßväter bzw. Mütter.

Ihre Entschädigungsforderungen richten sich auch an die rot-grüne Bundesregierung in Berlin. Warum?

Naderer: Die Alliierten haben noch vor Kriegsende den Beschluß gefaßt, daß Österreich das erste von Hitler annektierte Land ist und damit nicht als Täter-, sondern als Opfer-Nation zu sehen ist. Wobei aber nicht verheimlicht werden soll, daß sich manche "Ostmärker" besonders bei NS-Aktionen hervorgetan haben. Als anerkannter "Opfer-Nation" müßte uns auch entsprechender Schadenersatz zustehen. Was in Deutschland für Zwangsarbeiter und andere Geschädigte gilt, muß auch für Österreich gelten. Oder reichen die EU-Sanktionen gegen mein Heimatland schon so weit, daß Rechtsgrundsätze ausgehebelt werden?

Boykottandrohungen aus den USA waren ein Grund dafür, daß sich die deutsche und österreichische, aber auch in etwas abgeänderter Form die Schweizer und niederländische Regierung auf die Entschädigungsverhandlungen einließ. Haben Sie keine Angst vor einem "Tourismus-Boykott" des Salzburger Landes?

Naderer: Boykottaufrufe gegen Österreich werden ausnahmslos von linken Regierungen und Funktionären getragen. Niemals von Bürgern des jeweiligen Landes. Dieser Ansicht habe ich mich in vielen Gesprächen mit Touristen im Salzburger Land überzeugen können. Und eine Boykottandrohung aus den USA kommt mir schon sehr überzogen vor.

In Wien ist an einer Hauswand ein "Graffiti" zu lesen: "Tötet Jörg Haider!". Befürchten Sie nicht, durch Ihr Vorgehen auch persönlich in Leib und Leben
bedroht zu werden?

Naderer: Es gibt durchaus mehrere radikale und handfeste Drohungen gegen meine Person wegen meines Antrages. Ein Volksvertreter muß dieses Risiko – will er sein Volk vertreten – aber eingehen. Rückgratlose Politdinosaurier haben wir schon genug.

Sie sind seit 1994 auch FPÖ-Abgeordneter im Salzburger Landtag und seit 1996 stellvertretender Klubobmann. Was halten Ihre FPÖ und die anderen Landtagsparteien von Ihrer Initiative?

Naderer: Nach interner Diskussion kamen wir überein, im Landtag eine solche Initiative nicht einzubringen, weil die historischen Gegebenheiten der Zwangsarbeit anders gelagert sind als in meiner Heimatgemeinde.

In Wien regiert seit Februar eine schwarz-blaue Koalition, die sich ausdrücklich für den "Versöhnungsfonds" ausgesprochen hat. Befürchten Sie durch Ihr Vorgehen keine Konflikte mit Wien?

Naderer: Ich habe in erster Linie die Menschen, die Bevölkerung meiner Heimatgemeinde zu vertreten. Wenn die Wiener Regierung der Ansicht ist, daß seitens der Republik noch offene Zahlungen zu leisten sind, dann ist das dort politisch abzuhandeln. Wir haben jedenfalls keine "historischen Schulden".

Wer unterstützt in Österreich Ihr Anliegen? Was hält der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider von Ihrer Initiative?

Naderer: Ich habe persönlich mit Jörg Haider darüber nicht gesprochen. Jedoch konnte man der ORF-Meldung vom 19. Juni 2000 folgendes entnehmen: "Kein Geld aus Kärnten. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern ist Kärnten vorerst nicht bereit, der Forderung nach einer Beteiligung am sogenannten Versöhnungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter nachzukommen. Zuerst müsse die Wirtschaft ihre Vorstellungen über die Größenordnung der Entschädigungen präsentieren, sagte Landeshauptmann Haider vergangenen Dienstag ..."

In Deutschland kritisieren CDU-Politiker wie der Berliner Ex-Innensenator Heinrich Lummer oder der Stuttgarter Landtagsabgeordnete Arnold Tölg den Fonds. Haben sie Kontakte zu Ihnen?

Naderer: Nein.

 

Helmut Naderer, geboren in Seekirchen (Salzburger Seengebiet); ab 1983 Ausbildung zum Gendarmeriebeamten. Seit 1997 stellvertretender Postenkommandant in Bergheim. Ab 1989 FPÖ-Gemeindevertreter in Seekirchen, seit 1990 Erster Vizebürgermeister in Seekirchen, seit 1994 Landtagsabgeordneter, seit 1995 Bezirksobmann von Flachgau, seit 1996 stellvertretender Klubobmann, seit 1997 stellvertretender Landesparteiobmann vom Land Salzburg.

 

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