© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/00 14. Juli 2000

 
Das Jahrtausend der Städte
Urban 21: Städtekonferenz in Berlin verabschiedet eine nichtssagende Abschlusserklärung
Ronald Gläser

Unter dem Dach der Expo fand in der vergangenen Woche in Berlin die Konferenz Urban21 statt. Zur Eröffnung dieser von Deutschland, Singapur, Brasilien und Südafrika ausgerichteten Konferenz war eigens der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, angereist. Wichtigste Sponsoren waren die FAZ, Schwäbisch-Hall und die Softwareschmiede SAP.

Das Thema dieser Weltkonferenz war die Entwicklung der Städte in aller Welt, die immer mehr zu sozialen Brennpunkten werden. Fachleute diskutierten die unterschiedlichen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme der Metropolen der Erde. Schätzungen zufolge werden im Jahr 2025 zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Das sind dann fünf Milliarden Menschen. Die Konferenzteilnehmer waren in erster Linie die Vertreter von rund 1.000 Städten sowie hohe Regierungsbeamte und Abgesandte privater Organisationen. Urban 21 widmete sich den Problemen, die das Wachstum der Städte in den Entwicklungs- und Schwellenländern hervorbringt, von der Stadtentwicklung in den Industriestaaten bis hin zum exzessiven Ressourcenverbrauch. Kofi Annan forderte eine Kehrtwende in der Stadtentwicklungspolitik, um die Bildung weiterer Slums zu verhindern. Auch der Bundeskanzler unterstrich, daß Ghettobildungen in Zukunft vermieden werden müßten.

Gerhard Schröder ging auch auf die Verkehrspolitik ein und sprach sich für einen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und eine "Ökologisierung des Autos" aus. Noch weiter ging der deutsche Stadtentwickler Ulrich Pfeiffer, der den Uno-Weltbericht zur Zukunft der Städte für Urban 21 mit ausgearbeitet hat. Er bezeichnete das Auto in seiner jetzigen Form für die Städte "als eine Katastrophe".

Insbesondere in den Entwicklungsländern machten die Experten große Probleme der Städte aus. Das rasante Wachstum von Metropolen wie Mexiko Stadt, Kairo oder Neu-Delhi verwerfe alle Chancen auf eine sozial- und umweltgerechte Entwicklung. Dabei konnte festgestellt werden, daß lateinamerikanische Städte nicht mehr überdurchschnittlich wüchsen. Die Speerspitze der schnell zunehmenden Städte bildeten jetzt Metropolen in Asien.

Die Konferenzteilnehmer stellten fest, daß insbesondere das Subsidiaritätsprinzip und eine geringe Bevormundung der Bürger durch den Staat die Lebenssituation der Menschen in den Städten verbessert hätten.

In ihrer Abschlußerklärung kritisierten die Repräsentanten insbesondere folgende Mißstände: die Bevölkerungsexplosion in einigen von "Hyperwachstum" betroffenen Metropolen, die zunehmende Zahl von HIV-Infizierten und die Tatsache, daß jeder vierte Bürger der Welt unterhalb der Armutsgrenze lebe. Ferner verlangt die Abschlußerklärung ein "Ende der Diskriminierung der Frau" und mehr "religiöse und kulturelle Toleranz", was auch immer das mit der Entwicklung der Städte zu tun haben mag. Frauen, Jugendliche und jegliche Minderheiten sollten von den Stadtverwaltungen gefördert werden, so ein weiterer Punkt der Deklaration.

Teilweise ist die Erklärung widersprüchlich. Sie ist geprägt von einer Reihe selbstverständlicher Forderungen, bei denen die unterschiedlichsten Gruppierungen ihre Interessen mit eingebracht zu haben scheinen. Das vermeintliche Ende der Nationalstaaten im Zeitalter der Globalisierung wird mit Freude zur Kenntnis genommen. Und so lautet eine weitere Forderung des Erklärung, daß jeder Mensch, wo immer er auch lebe, mit politischen Rechten ausgestattet werden müsse. Gleichzeitig aber verlangten sie Solidarität und wohlfahrtsstaatliche Leistungen, die bekanntermaßen nur in Nationalstaaten realisiert werden können. Auch bezahlbarer Wohnraum und der Erhalt des historischen Erbes in Form von Architektur und Landschaft stehen auf der Wunschliste der globalen Stadtplaner.

An der Schwelle zum dritten Jahrtausend ist oft die Rede vom "Jahrtausend der Städte". Die Probleme der Metropolen dieser Welt sind teilweise sehr ähnlich, aber auch sehr unterschiedlich. Man denke nur an die Kriminalität, deren Ursachen und Auswirkungen in Lagos oder New York ganz andere sind als in München oder Kopenhagen. Ein Trend, der in allen westlichen Metropolen zur Zeit stattfindet, ist die Gentrifizierung, also die erhebliche Verbesserung des Wohnumfeldes in Innenstadtbezirken, die immer mehr Arme in die Randbezirke abdrängt.

Die Innenstadt von Los Angeles kennt diese Entwicklung ebenso wie Teile von Berlin-Kreuzberg. Zu diesen Tatbeständen wurde nicht oder nur sehr vage Stellung bezogen. Daß beispielsweise die Verkehrsprobleme in den meisten Metropolen hausgemacht und von linksgerichteten Ideologen sogar herbeigeführt werden, fand auf der Konferenz keine Erwähnung. Ein Recht auf die freie Entfaltung des Individualverkehrs findet sich nicht im Forderungskatalog.

Die Aussagen der Konferenzteilnehmer haben keine bindende Wirkung für die beteiligten Staaten und Städte. Schließlich sprechen sich die Experten ohnehin selbst für eine Stärkung des Subsidiaritätsprinzips aus, das eine Verlagerung von Verantwortung auf die unterste denkbare Ebene vorsieht. Insofern diente die Urban21 dem Informationsaustausch zwischen Stadtentwicklern, ohne daß ein greifbares Ergebnis erzielt wurde oder hätte erzielt werden können.


 
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