© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/00 14. Juli 2000

 
Unwillige Rückkehr in die große Politik
Karlheinz Weißmann hat Hellmut Diwalds "Geschichte der Deutschen" fortgeschrieben
Detlef Kühn

Als 1978, damals noch im Ullstein-Verlag, die erste Auflage von Hellmut Diwalds Geschichte der Deutschen erschien, hat sie sofort Aufsehen erregt und Kontroversen ausgelöst. Ungewöhnlich war schon die gegenchronologische Art der Geschichtserzählung. Begonnen wurde mit der Gegenwart, von der ausgehend Diwald die Ereignisse in der Vergangenheit darstellte, bis zurück zu den Ottonen vor 1.000 Jahren. Diwald begründete dies damit, daß sich "auf diesem Weg die inneren Zusammenhänge der Historie, ihre Kontinuität wie ihre Bruchstellen bündiger erschließen" ließen. So habe er auch den besonders hartnäckigen Trugschluß unterlaufen, aus der zeitlichen Aufeinanderfolge der geschichtlichen Ereignisse ergebe sich schon ihr kausaler Zusammenhang. Letzteres spielte damals in der Diskussion um die Teilung Restdeutschlands nach 1949 eine große Rolle, die fälschlich auf die Kapitulation der Wehrmacht zurückgeführt wurde.

Noch mehr störte die Kritiker Diwalds aus der Historikerzunft und aus der westdeutschen Publizistik aber dessen entschiedenes Eintreten gegen die von ihm konstatierte "Selbstdiskriminierung" der Deutschen nach dem Kriege. Zwar leugnete Diwald an keiner Stelle seines Buches Fehlentwicklungen in der deutschen Geschichte oder gar von Deutschen begangene Verbrechen. Allerdings machte er auch klar, daß er das Ergebnis, zu dem die Siegermächte bei der Umerziehung des deutschen Volkes gekommen waren, nicht teilte, demzufolge "das meiste der deutschen Vergangenheit verdorben, beschädigt, krank gewesen sei". Schon dies genügte, um den in Mähren geborenen Erlanger Ordinarius in die rechte Ecke zu stellen und mit der Faschismuskeule zu traktieren. Diwald hat das nicht irritiert, zumal sein Buch trotz der gegen ihn geführten Feuilletonkampagnen ein großer Erfolg wurde.

Nach dem Tode des Autors (1993) hat nun der Göttinger Zeithistoriker Karlheinz Weißmann das Werk bis in unsere Gegenwart, das heißt bis zum Frühjahr 1999, fortgeschrieben.

Es Überrascht nicht, daß auch für Weißmann dabei die "nationale Frage" der Deutschen im Mittelpunkt steht. Er schildert eingehend die Ursachen des Scheiterns der Regierung Schmidt und die Bildung der schwarz-gelben Koalition im Herbst 1982. Kohl und seiner Regierung bescheinigt er, wohl zutreffend, eine "Deutschlandpolitik zwischen Pragmatismus und Opportunismus". Einen Bruch mit der Politik unter Helmut Schmidt im Sinne des Versprechens einer "geistig-moralischen Wende" gab es weder in der Deutschlandpolitik noch auf einen anderen Politikfeld.

Der Erfolg des "Systems Kohl", vor allem nach dem Mauerfall von 1989, beruhte nach Ansicht Weißmanns nicht zuletzt darauf, daß der Pfälzer das Glück hatte, selten auf Gegner zu treffen, die ihm ebenbürtig gewesen wären. Am Ende seiner sechzehnjährigen Amtszeit stand mit dem Wahlerfolg der rot-grünen Koalition der endgültige Sieg der in den Institutionen ohnehin schon omnipräsenten 68er. Allerdings wäre der Triumph von Gerhard Schröder und "Joschka" Fischer wohl nicht mäglich gewesen, wenn sich das rot-grüne Gedankengut von Anno 1968 nicht vorher schon auch in den Reihen der Christdemokraten weitgehend durchgesetzt hätte.

Der knappen, aber dennoch gründlichen Analyse Weißmanns hinsichtlich der Ursachen des Zusammenbruchs des "real existierenden Sozialismus", des Ablaufs der Wiedervereinigung einschließlich der dabei gemachten Fehler, wird man im wesentlichen zustimmen können. Weißmann schildert zwanzig Jahre deutscher Geschichte, die bei Kohls Amtsantritt so ganz nach einer Verfestigung der westdeutschen Idylle aussahen, die dann nach 1989 mit der unwilligen Rückkehr in die "große Politik" eine dramatische Wende nahm, deren Folgen noch nicht annähernd abzusehen sind. Weißmann erkennt dabei, daß "eine Perspektive für die deutsche Nation gewonnen (wurde), auf die nur wenige noch zu hoffen wagten" und - so muß man hinzufügen -noch weniger hingearbeitet hatten.

Die Gefahren der "Globalisierung" für alle Nationen sieht auch Weißmann. Bei den Deutschen ist allerdings die Frage besonders berechtigt, ob sie sich diesen Gefahren entgegenstellen wollen und können. Diwalds Geschichte der Deutschen dürfte bei der standortbestimmenden Suche nach einer Antwort auf diese Frage jedoch weiterhin eine wichtige Rolle spielen.


 
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