© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
Unerhörte Demokratie
In Österreich könnte bald eine Volksbefragung zur EU stattfinden
Carl Gustaf Ströhm

Österreichs schwarz-blaue Regierung hat mit einem Handicap zu kämpfen, dem keine andere Wiener Bundesregierung seit 1945 ausgesetzt war: Sie wird nicht nur von fast allen ausländischen Medien, sondern auch von der überwältigenden Mehrheit der österreichischen Journalisten und Meinungsmacher in einer Weise herabgesetzt und "geschnitten", wie es sonst auch unter heftigen politischen Gegnern nicht üblich ist. Verfolgt man die Leitartikel und Fernsehdiskussionen, die in Österreich produziert werden, könnte man leicht zu dem Schluß gelangen, daß sich die österreichischen Medien und der österreichische Journalismus in einer Art (Bürger-)Kriegszustand mit der amtierenden Bundesregierung befinden.

Als der Fraktionsvorsitzende der ÖVP im österreichischen Parlament sich jüngst einer sonntäglichen Fernsehdiskussion mit Journalisten stellte, begann einer der Diskutanten seine Fragestellung mit der Aufforderung: "So, und nun geben Sie mir einmal eine ehrliche Antwort auf meine Frage . . ." Unter anderen Auspizien hätte man sich vorstellen können, daß der derart Angesprochene mit der Faust auf den Tisch geschlagen und ausgerufen hätte: "Was erlauben Sie sich eigentlich?"

In der führenden — wohlgemerkt bürgerlichen bis liberal-konservativen — Tageszeitung Osterreichs gehört es gewissermaßen bereits zum Normalton, politische Erklärungen des FPÖ-Vorsitzenden und Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider als "dumm" abzutun. Zur sattsam bekannten "Faschismus-Keule" tritt also noch die "Dummheitskeule". Meinungen, die einem nicht passen, werden kurzerhand für nicht diskussionswürdig erklärt.

Da vergeht kaum ein Tag, an dem das immer noch monopolistische Wiener Fernsehen den Zuschauern nicht die "totale und hoffnungslose Isolierung" des eigenen Landes oder der eigenen Regierung genüßlich an die Wand malt. Die Mission der Außenministerin Benita Ferrero-Waldner, die sich bei ihren öffentlichen Auftritten im Westen sehr wacker schlug und viele Sympathien für Österreich gesammelt hat, wird als "gescheitert" bezeichnet, weil es nicht gelang, die Sanktionen der vierzehn EU-Staaten schlagartig aufzuheben.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der sich in der für Österreich schwierigen Sanktions-Situation nicht nur als standfest erwiesen, sondern darüber hinaus auch taktisches Geschick an den Tag gelegt hat, wird als hoffnungsloser Übertaktierer abgetan, der mit der geplanten Volksbefragung der Österreicher zum Thema EU nur Schiffbruch erleiden könne. Seine journalistischen Fernseh-Diskussionspartner versuchen ihn immer wieder als eine Art Angeklagten vorzuführen, der das kleine hilflose Österreich schutzlos der Rache der ganzen Welt preisgegeben hat.

Dabei kommt es zu einer manchmal grotesken Verkehrung der Fronten, zum Beispiel in der Europa-Frage. Es gab nämlich eine Zeit, da die österreichische Linke – also Grüne und mindestens ein Teil der Sozialdemokratie – ganz ähnlich argumentierte wie heute die FPÖ und zumindest Teile der ÖVP: daß nämlich die EU nicht demokratisch legitimiert sei und innerhalb der EU die Großen die Kleineren an die Wand drücken.

Was damals als Europa-Kritik von links durchaus salonfähg war, wird jetzt, da es von der Mitte und der gemäßigten Rechten kommt, als ungeheuerliches Sakrileg verurteilt. Wie kann man es nur wagen, das Volk darüber zu befragen, was es von den Sanktionen der vierzehn EU-Mitglieder gegen das eigene Land hält.

Da liest man, gleichfalls in einer als "bürgerlich" geltenden Wiener Zeitung, allein schon die Fragestellung der Volksbefragung sei "rechtlich höchst bedenklich". Der österreichische Bundespräsident und das österreichische Verfassungsgericht werden beschworen, um die Volksbefragung möglichst zu verhindern, denn die meisten Österreicher seien ja ohnehin nicht dafür. Den Vogel aber schoß der aus Deutschland stammende EU-Kommissar und SPD-Politiker Verheugen ab: Er bezeichnete die Volksbefragung, die es wagen will, die "EU kritisch zu hinterfragen" schlichtweg — als "scheindemokratisch". Mit anderen Worten: Wer es wagt, sich der EU auch nur in Einzelaspekten zu widersetzen, ist ein "Scheindemokrat" und damit ein verdächtiges Subjekt, das – um es auf österreichisch auszudrücken – "perlustiert"(d.h.: polizeilich durchleuchtet) werden sollte.

Daß die Dinge nicht so einfach zu lösen sind, zeigt eine Tatsache, die von meisten österreichischen Medien unter den Teppich gekehrt wird: Unabhängig von der beabsichtigten regierungsamtlichen Volksbefragung haben andere Initiatoren, die mit der offiziellen Europa-Politik von ÖVP und FPÖ nichts zu tun haben, die erforderlichen 8.000 Unterschriften zur Einleitung eines Volksbegehrens aufgebracht. Das Begehren enthält – im Gegensatz zur Befragung – die Frage, ob Österreich nicht überhaupt aus der EU austreten solle, weil die Voraussetzungen des Beitritts nicht mehr gegeben seien.

Das ist natürlich eine Ungeheuerlichkeit, denn die EU ist bekanntlich ein Club, aus dem man nicht austreten darf und in dem selbst der Gedanke an Austritt mit Acht und Bann bestraft wird. Aber unterliegt sie als von Menschen gemachte Institution nicht der gleichen Kritik wie jegliches Menschenwerk?


 
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