© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Abwege
Karl Heinzen

Nachdem die Nebenerwerbsquelle des einstigen Medienlieblings Thomas Dienel nicht länger ein Geheimnis ist, sind binnen kurzem weitere Fälle von mutmaßlichen inoffiziellen Mitarbeitern des "Verfassungsschutzes" bekannt geworden, die in der transelbischen rechten Szene zum Wohle des Steuerzahlers eingesetzt waren. Wie immer man diese Vorkommnisse auch betrachtet, kann man nicht umhin, der Glaubwürdigkeit unserer Demokratie ein gutes Zeugnis auszustellen. Auch in einer Diktatur weiß der Bürger zwar instinktiv genau, daß sich die Staatsmacht konspirativer oder selbst terroristischer Methoden zur Niederhaltung der Opposition bedient, aber nur in einer freiheitlichen Ordnung kann ein solches Regierungshandeln immer wieder einmal in den Medien Erwähnung finden. Die Durchdringung derjenigen Kreise, die man einer Ächtung für wert hält, wiederum beweist, daß der Staat auch in Zeiten, in denen um jede Mark im Haushalt gerungen wird, genug Mittel bereitstellen kann, wenn er damit übergeordneten Zielen zu dienen vermag. Der Bürger darf also darauf vertrauen, daß die Parteien, die in unserem Land das Sagen haben, es mit ihrer Politik ernst meinen.

Ein Fehlschluß wäre es jedoch, aus der öffentlichen Klassifizierung von Menschen als Extremisten zu folgern, daß diese selbst unser Gemeinwesen bedrohen würden. Vielleicht mag von Fall zu Fall ein wenig Prophylaxe mitschwingen und manchmal – wie es etwa den Republikanern widerfahren ist – sogar eine aktuell motivierte Repressalie bezweckt sein. Die Signale, die der "Verfassungsschutz" setzt, richten sich jedoch nicht an diejenigen, die in seinen Verlautbarungen Erwähnung finden, sondern an die Öffentlichkeit insgesamt. Diese soll nicht bloß davon abgehalten werden, mit den Stigmatisierten in Kontakt zu treten, sondern vor allem einen Anhaltspunkt dafür gewinnen, welche Positionen nicht eingenommen werden dürfen, wenn man nicht den immer wieder neu abgesteckten Boden des Grundgesetzes mutwillig verlassen möchte.

Nicht alle Meinungen, die es auszugrenzen gilt, sind aber bereits strafbar, und bei manchen ist es auch gar nicht einfach, ihre Strafwürdigkeit ad hoc einem breiten Publikum plausibel zu machen. Es ist also im Interesse der Bürger, die es zu überzeugen gilt, wenn ihnen die Einsicht dadurch erleichtert wird, daß manche Zusammenhänge, die sonst nur spekulativ nachzuvollziehen wären, durch amtliche Mitwirkung Realität werden. Die Inopportunität von Meinungen ist um so deutlicher, je drastischer die Straftaten sind, mit denen sie in Verbindung gebracht werden dürfen. Wenn in einem extremistischen Milieu starke Kräfte auf Gewaltlo-sigkeit und Gesetzestreue drängen, darf sich der Staat also nicht scheuen, jenen, die so auf Abwege zu geraten drohen, ein Festhalten an dem ihnen zugedachten Profil zu ermöglichen.


 
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