© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000


PRO&CONTRA
Soll Helmut Kohl in Beugehaft?
Gero Brandes / Kordula Leites

Vor zwei Jahren veröffentlichte Altbundeskanzler Hel mut Schmidt das Buch "Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral", in dem er die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Kultur dazu aufforderte mehr Verantwortung im Umgang mit Recht, Gesetz und Moral zu zeigen. Wenn führende Politiker und Industrielle ihre Vorbildfunktion aufgeben würden, sei die gesamte gesellschaftliche Ordnung in Gefahr. Helmut Kohl hat zu Beginn seiner Amtszeit von einer "geistig-moralischen" Wende gesprochen; auch an diesem Anspruch muß sich die Ära Kohl messen lassen. In den 16 Jahren seiner Herrschaft kam es nicht zu dieser erstrebten Wende; statt dessen schossen Korruption und Wirtschaftskriminalität wie wild aus dem Boden. Nicht zuletzt war auch die politische Klasse an Skandalen beteiligt; genannt sei hier neben der CDU-Spendenaffäre noch die Flick-Affäre.

Seit mittlerweile einem Dreivierteljahr geistert Kohls Spendenaffäre Abend für Abend wie ein schlechter Krimi durch die Medien. Die CDU-Spendenaffäre allein schadet dem Ansehen der Demokratie und der staatlichen Institutionen ungemein: Der Normalbürger verliert sein Vertrauen in den deutschen Staat und glaubt, sich in einer "Bimbesdemokratie" zu befinden, in der politische Entscheidungen käuflich sind. Dem Untersuchungsausschuß, den Medien und den Menschen dieses Landes (die er jahrelang regiert hat), präsentiert Kohl sich als ein postmoderner Renaissance-Fürst, der sich mit bestem Wissen und Gewissen über Recht und Gesetz hinwegsetzt.

So etwas muß bestraft werden! Jede andere Konsequenz wäre für jeden normalen deutschen Bürger, der hier arbeitet, seine Steuern bezahlt und sich an Recht und Gesetz hält, unverständlich. Kohl hat sich dafür entschieden, ein privates Versprechen dem Gesetz vorzuziehen. Das ist nicht sein gutes Recht — er muß die volle Härte unseres Rechtstaates zu spüren bekommen.

 

Gero Brandes ist Mitglied der Jungen Union und CDU in Unna.

 

 

Helmut Kohl war 16 Jahre lang Bundeskanzler. Er hat immer wieder besondere Rechte für sich beansprucht; in seiner Partei, in der Regierung und gegenüber den Bürgern. Zur Zeit erleben wir den Höhepunkt dieser Egomanie vor dem Untersuchungsausschuß zum CDU- Parteispendenskandal. Helmut Kohls eigenwillige Auffassung seiner persönlichen Stellung vor dem Gesetz, die ihm erlaubt, sein vor-demokratisches Wertesystem über das Grundgesetz zu setzen, schadet ihm, schadet der CDU und schadet der parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik.

Der Untersuchungsausschuß verfügt über zwei Möglichkeiten, Menschen zur Aussage zu zwingen: mit der Verhängung eines Beugegeldes von höchstens 1.000 Mark oder auch mit Beugehaft.

Welche Wirkung könnte eine Beugehaft erzielen? Der Einheitskanzler in der Einzelzelle — das Sommerloch wäre im Nu gestopft. Helmut Kohl könnte gegen die Beugehaft klagen, mit einiger Aussicht auf Erfolg, und damit den Untersuchungsausschuß diskreditieren. Die zu erwartenden Solidaritätsbekundungen würden das "System Kohl" aufs Neue bestätigen und die parlamentarische Demokratie unterhöhlen. Zustimmung zur Beugehaft würde den demokratisch gewählten Bundeskanzler diskreditieren . Die CDU wäre für lange Zeit mit sich selbst beschäftigt und das politische System Deutschlands für ebenso lange Zeit instabil. Anstelle der Frage, ob politische Entscheidungen gekauft wurden und ob die CDU sich über Jahre hinweg illegal finanziert hat, stünde im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion nur noch ein individuelles Schicksal.

Aber wir brauchen keinen Märtyrer und keine Legendenbildung, wir brauchen eine sorgfältige, demokratisch legitimierte und kontrollierte Aufklärung des Regierungshandelns in der Kohl-Ära und den Nachweis, daß die Selbstkontrolle der parlamentarischen Demokratie funktioniert

 

Kordula Leites ist die Sprecherin des Landesvorstandes der Grün-Alternativen Liste (GAL) Hamburg.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen