© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000


Wachsender Rückhalt
Europa: Der Schweizer Blick auf Österreich verrät manche Sympathie
Jörg Fischer

Wenn im europaweiten "Medien konzert" dieser Tage von Öster-reich die Rede ist, könnte ein vom Mars gelandeter "Außerirdischer" interessante Beobachtungen machen: Selbst die nicht von vornherein anti-österreichisch gestimmten Zeitungen oder Fernsehprogramme ziehen gewissermaßen die Stirn in Falten – so etwa unlängst ein Berliner Blatt –, weil der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel als "Polit-Profi" mit seinem – Österreich zustehenden – Veto die gesamte EU zu Fall bringen könne. Das wiederum müsse doch die Berechtigung der Vorbehalte gegen die österreichische Regierung bestätigen. Ein vertraglich zugesichertes und folglich legales Vetorecht auszuüben, gilt also bereits als Sakrileg und möglicherweise als Vorstufe zu "faschistoidem Verhalten"! Soweit ist "Orwells" 1984 also bereits Realität.

Interessant ist, daß sich die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) – das führende liberale Blatt der Schweiz – von solch apokalyptischen Österreich-Visionen deutlich abhebt. Die NZZ schreibt, die österreichische Politik sei bemüht, "ihre Politik in einem Reformdialog breit abzusichern". Zwar versage ihr die (sozialdemokratisch-grüne) Opposition die Gefolgschaft, doch "setzt" die Koalition ihre Kriterien klar durch", auch gegenüber den "Sozialpartnern" – den Gewerkschaften. Für diese Politik finde sie "wachsenden Rückhalt" (bei den Wählern). Das bestätigen verschiedene Meinungsumfragen: Auch wenn die Stärke der schwarz-blauen Koalitionspartner unterschiedlich beurteilt wird – die im Magazin Profil abgedruckte IMSA-Umfrage von Anfang Juli sieht die ÖVP bei 36 Prozent, die FPÖ bei 17 Prozent, andere Umfragen sehen die Partner fast gleichauf –, die Regierung hat weit mehr als 50 Prozent der Wähler hinter sich. Rot-Grün in Berlin hingegen regiert seit Oktober 1998 mit knapp 48 Prozent, die Regierungen in Paris, Rom und London sind nur dank Mehrheitswahlrecht im Amt.

Die NZZ stellt der neuen österreichischen Regierung ein gutes Zeugnis aus, weil sie sich an die schwere Aufgabe mache, den Staatshaushalt zu sanieren. Sie zitiert Vizekanzler Riess-Passer (FPÖ), es gehe darum, "sich gesund zu sparen".

Schüssels Ziel sei, so heißt es weiter, der "schlanke Dienstleistungsstaat". Die blau-schwarze Regierung dränge auf nachhaltige Erfolge, "um die Heerscharen ihrer Kritiker hüben und drüben zu beschämen" (übrigens stammt diese Formulierung von Jörg Haider!). Die NZZ schließt wörtlich: "Die (österreichische) Wirtschaft läuft in selten robuster Verfassung; die Verfechter der alten Ordnung vermögen keine eigenständigen Gegenmodelle zu entwickeln. Die blau-schwarze Koalition hat sich die Hegemonie – zumindest in der Wirtschaftspolitik – erstritten. Dabei hilft der Hinweis auf die schräge Struktur der Finanzen. Für die Zinsen der Staatsschuld gibt die Regierung fast dreimal so viel aus wie für Arbeitslose. Die Regierung macht sich ernsthaft ans Regieren – ein für Österreich ungewohntes Phänomen."

Im Artikel der NZZ fehlen alle jene Trommelfeuer- und Totschlageklischees, mit denen andernorts die österreichische (und europäische) Situation eher vernebelt als aufgeklärt wird. Der Begriff "Rechtspopulismus" – sonst Pflichtbestandteil der meisten Österreich-Artikel – kommt kein einziges Mal vor. Keine verbalen Austritte und Entgleisungen – keine einzige Attacke gegen Haider. Die Regierungsmitglieder der FPÖ – etwa Vizekanzlerin und Finanzminister – werden korrekt zitiert, auch die Einwände der Gewerkschaften fehlen nicht; aber der Leser merkt, daß die NZZ das schwarz-blaue Regierungsprogramm für im Grunde richtig und notwendig hält. Hier zeigt sich, daß sachliche Information die Dinge weiter bringt als ideologisches Geschwätz.

Doch eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Und die Wiener Regierung sollte darauf achten, daß die von der NZZ diagnostizierte "Hegemonie in der Wirtschaftspolitik" nicht von einer Ohnmacht der Selbstdarstellung in überwiegend negativ programmierten Medien "übertüncht" wird. Eine kohärente Medienpolitik und gute public relations: ohne diese beiden Ingredienzien steht heutzutage die erfolgreichste Regierungspolitik auf tönernen Füßen.


 
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