© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
Die Alternativen werden erwachsen
US-Präsidentschaftswahlkampf II: Im Schatten des Duells der Giganten bringen sich die Kandidaten der kleinen Parteien in Stellung
Michael de Wet

In den amerikanischen Präsident schaftswahlkampf kommt Bewegung. Nicht nur, daß der demokratische Bewerber, Vizepräsident Albert Gore, sich mit Ermittlungen wegen Spendensammlungen konfrontiert sieht und sein republikanischer Herausforderer George W. Bush in seiner Eigenschaft als Gouverneur von Texas durch die Anordnung der Hinrichtung des wegen Mordes verurteilten Gary Grahams unter Beweis stellte, daß er eine Politik der harten Hand zu führen gedenkt, auch ein dritter Kandidat sorgt für Unruhe: Bei ihm handelt es sich um den am letzten Juniwochenende von den bislang eher unscheinbaren US-Grünen nominierten Bewerber: Ralph Nader, 66 Jahre alt, Nachfahre eingewanderter Libanesen in den USA, überaus populär als "der Verbraucheranwalt". Mit mehr als 90 Prozent der Delegiertenstimmen schlug er souverän alle übrigen grünen Mitbewerber aus dem Feld, unter ihnen auch Jello Biafra, einstmals Sänger der Punkband "Dead Kennedys".

Ralph Nader gilt in den USA als eine Art juristischer Robin Hood. Auf den Anwalt ist es zurückzuführen, daß in den sechziger Jahren die amerikanische Autoindustrie jedes Fahrzeug mit bruchsicheren Windschutzscheiben und Sicherheitsgurten ausstatten mußte. In Anspielung darauf erklärten die Grünen in Denver daher auch, Gore möge sich nun "fest anschnallen".

Der Präsidentschaftskandidat der Demokraten ist der Hauptgegner der amerikanischen Grünen. Vor allem an Gores Verbalökologie wird kaum ein gutes Haar gelassen: ein "Plastikmann" sei Gore, abhängig von der Gunst der großen Konzerne, erklärte Nader auf dem grünen Parteikongreß. Gore wiederum bedenkt den grünen Herausforderer mit keinem Wort, weiß er doch, daß es den Gegner nur aufwerten würde. In der Tat könnte Nader Gore die entscheidenden Stimmen kosten. Vor allem im liberalen Kalifornien, wo den Grünen bis zu zehn Prozent zugetraut werden, erweist sich der grüne Kandidat, der überdies die Unterstützung des Chefs der "Teamster"-Gewerkschaft genießt, als lästige Konkurrenz für die Demokraten.

Tatsächlich haben die amerikanischen Grünen, die wie ihre deutschen Namensvettern die Sonnenblume als Logo führen, in Nader ein außerordentlich starkes Zugpferd gewonnen, auch wenn der Kandidat nicht einmal ein Parteibuch besitzt. Aber die Unabhängigkeit ist nicht nur ein charakteristischer Wesenszug des eigenbrötlerischen Junggesellen Nader, der weder Auto noch Computer noch Handy benutzt, genügsam in einer bescheidenen Mansardenwohnung lebt und seine Wahlkampfreden an einer alten Kofferschreibmaschine verfaßt, sie ist auch seine eigentliche politische Stärke: Auf den "Verbraucheranwalt" bauen etliche Randgruppen, Gewerkschafter ebenso wie Alt-Hippies. Besonderen Rückhalt scheint der Politiker unter Senioren zu haben, da seine Forderung nach einer allgemeinen und bezahlbaren Krankenversicherung – das amerikanische soziale Netz ist weit dünnmaschiger als das deutsche – in dieser Altersschicht besonders populär ist. In einer kürzlich vom Wallstreet Journal und der NBC durchgeführten Wahlumfrage votierten für Nader überraschenderweise sieben Prozent. Vor vier Jahren hatte Nader bereits für die Grünen kandidiert, aber lediglich eine halbe Million Stimmen erhalten, was 0,8 Prozent entsprach. Damals stand sein Name in 33 der 50 US-Bundesstaaten auf dem Wahlzettel, und der Wahlkampfetat beschränkte sich auf gerade einmal fünftausend Dollar. Diesmal wollen die Grünen in 45 Bundesstaaten kandidieren und fünf Millionen Dollar in ihre Kampagne investieren.

Dieselbe Wahlumfrage, die Nader überraschend starken Zuspruch attestierte, brachte für die bisherige dritte Kraft der USA ein ernüchterndes Resultat. Die Zustimmung für Pat Buchanan, wahrscheinlicher Präsidentschaftskandidat der populistischen Reformpartei, sank von sechs auf vier Prozent. Die Reformpartei hatte erstmals 1992 mit ihrem Gründer, dem texanischen Milliardär Ross Perot kandidiert und rund 19 Prozent der Stimmen erhalten. 1996 votierten für Perot nur noch knapp 9 Prozent. Über die Kandidatur von Pat Buchanan, ehemals Rechtsaußen der Republikanischen Partei, war es auf einem Parteikongreß Anfang des Jahres zur Spaltung gekommen. Jesse Ventura, der einzige von den Reformern gestellte Gouverneur im US-Bundesstaates Minnesota, verließ damals mit seinem Anhang die Partei. Um die Krise in der Reformpartei perfekt zu machen, drängten daraufhin Parteisekretär Jim Mangia und führende Funktionäre Ross Perot zu einer neuerlichen Kandidatur, um eine Nominierung Buchanans zu verhindern.

Vorvergangenen Sonntag verzichtete Perot dann – obwohl er genügend Unterschriften für den Nominierungskonvent zusammenbekam – überraschend auf seine Kandidatur. Und da auch Russell Lacasse als Herausforderer resignierte, bleibt Patrick Buchanan nur noch ein chancenloser Konkurrent: John Hagelin, der sich zunächst für die Naturgesetzpartei engagierte, dann aber zu der Reformpartei überwechselte. So dürfte auf dem Nominierungskonvent der Reformpartei, der für den 10. bis 13. August in Long Beach anberaumt ist, der 62jährige rechtskonservative Fernsehjournalist zum Präsidentschaftskandidaten der bislang drittstärksten Partei der USA gekürt werden.

Buchanan empfiehlt sich als Vertreter eines protektionistischen und isolationistischen Kurses der USA; seine Aversion gilt der wirtschaftlichen Globalisierung, dem Einfluß der großen Unternehmen auf die Politik und der Liberalisierung der Zuwanderung in die Vereinten Staaten. Ähnlich wie Nader genießt auch er Zuspruch unter den Gegner der Welthandelsorganisation WTO, deren Kongreß in Seattle voriges Jahr von wütenden Landwirten, Umweltschützern und Gewerkschaftern gestürmt worden war.

Doch nicht nur die Ablehnung der Globalisierung verbindet Grüne und Reformer: Hartnäckig bemühen Nader und Buchanan sich auch, ihre Teilnahme an den für Oktober angesetzten Fernsehdebatten der Präsidentschaftskandidaten durchzusetzen. Ihre Beteiligung wird von dem dafür zuständigen Organisationsausschuß bislang mit der Begründung verweigert, man wolle nur Kandidaten zulassen, die in Wahlumfragen über 15 Prozent der Stimmen liegen. Ein eigenartiges Prozedere, das den Bewerbern ernstzunehmender "dritter" Parteien wieder einmal beweist, daß in den USA die beiden Großparteien im Zusammenspiel mit den Medien den Wahlkampf unter sich austragen wollen. Ganz zu schweigen davon, daß die Fernsehwahlwerbung in Amerika im Wortsinne käuflich ist: das Geld für die teuren Sendeminuten der zahlreichen Fernsehstationen können kleine Parteien nur schwer aufbringen, werden also einer der wichtigsten Artikulationsmöglichkeiten beraubt.

Während die rechten Reformer und linken Grünen aber entweder Bush oder Gore immerhin wahlentscheidende Stimmen kosten könnten, bleiben die übrigen kleinen Parteien diesmal wohl wieder nur Zaungäste des politischen Geschehens. Größte der Kleinparteien ist die Libertarian Party, die in Kalifornien ihre stärkste Bastion hat. Die Libertarian Party ist ein charakteristisches Phänomen des American way of life, dessen Auswüchse sie bis zum Exzeß steigert. In ihrer Programmatik verbinden sich ein extremer Wirtschaftsliberalismus mit einer anarchistisch anmutenden Libertinage in Fragen der Gesellschaftsordnung, der Kultur und Freizügigkeit in allen Lebensbereichen. Staatliche Institutionen – von der Feuerwehr über das Schulwesen bis hin zu Nationalparks – möchte die Libertarian Party am liebsten abgeschafft sehen, die Unternehmen von sozialstaatlichen Auflagen und Steuern befreien, Einwanderung und Drogenkonsum möglichst liberal handhaben. Mit dieser bizarren Mischung schaffte es ihr Kandidat Harry Browne, 1996 knapp ein Prozent der Stimmen zu erhalten. Auch diesmal will Browne seinen Hut in den Ring werfen und einen neun Millionen Dollar teuren Wahlkampf führen, um das Ziel von fünf Prozent der Stimmen zu erreichen.

Die übrigen Kandidaten, die sich darum bemühen, in dem einen oder anderen Bundesstaat auf dem Stimmzettel zu erscheinen, bilden die übliche bunte Mischung: Asketen von den "Prohibitionists", yogische Flieger von der "Natural Law Party" und der unvermeidliche Weltverschwörer Lyndon LaRouche. Nach langen Jahren der Wahlabstinenz bewirbt sich mit David McRevnolds auch wieder ein Kandidat der Sozialistischen Partei, deren große Zeiten in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts lagen. Auf der äußersten Rechten schließlich sucht Howard Philipps sein Wählerglück. 1996 hatte der Populist für seine Forderung nach dem Stopp von Einwanderung und Steuererhöhungen 177.000 Stimmen erhalten. Damals bewarb er sich für die "Tax Payers Party", diesmal trägt sein Ticket den Namen "Constitution Party". Eine Konkurrenz für die "Grand Old Party" der Republikaner oder die Reformpartei wird aus dieser Gruppierung aber nicht erwachsen.


 
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