© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
Ein Kranz vom Geheimen Deutschland
Zur Erinnerung an den Historiker und Friedrich II.-Biographen Ernst Kantorowicz
Stefan Pietschmann

Vivet et non vivit". Am Schluß der monumentalen Friedrich II.-Monographie von Ernst Kantorowicz findet sich dieses Zitat als reinste Form von Mystik; die Schlüsselgestalt des Staufermythos wird hierbei endgültig wieder zum Leben erweckt. Und Kantorowicz wird mit Erscheinen des Buches (1927) schlagartig berühmt.

Ernst Hartwig Kantorowicz (geb. im Mai 1895 in Posen) entstammt einer alten und angesehenen jüdischen Familie. Nach dem Abitur 1913 macht er eine kaufmännische Lehre in Hamburg, um den Familienbetrieb (Spirituosenfabrik) später zu leiten. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges meldet sich Kantorowicz als Freiwilliger beim 1. Posenschen Feldartillerie-Regiment Nr. 20. Er dient bis zum Ende des Krieges und kehrt mit diversen Kriegsorden und Auszeichnungen zurück. Im Mai 1918 immatrikuliert sich Kantorowicz an der Berliner Universität als Student der Philosophie. Hier erlebt er die Revolution und eilt in seine Heimatprovinz Posen, um sich den Freikorps anzuschließen, die die deutschen Ansprüche verteidigten. Im Frühjahr 1919 stellt er sich gegen die Spartakisten in Berlin, im Mai (jetzt Student der Nationalökonomie) in München gegen die Räterepublik.

Mit dem Umzug nach Heidelberg lernt er den Dichter Stefan George kennen und wendet sich nach Abschluß seiner Dissertation ("Das Wesen der muslimischen Handwerkerverbände") seinem "Lebensthema" zu, nämlich Friedrich II. von Hohenstaufen.

Hierbei haben ihn – ganz ohne Zweifel – die Gedichte von Stefan George inspiriert. Die Warnung Georges im Gedicht "Rom-Fahrer" gerinnt zum Hinweis auf das tragische Schicksal Kaiser Friedrichs II. und seines Enkels Konradin. "Der größte Friedrich, wahren Volkes sehnen" wird noch einmal im Zeitgedicht "Die Gräber in Speier" aufgerufen. George gedenkt in diesem Gedicht auch des Enkels der in Speyer bestatteten Beatrix von Burgund, Barbarossas zweiter Gemahlin. Er sah in der Herrschaft Friedrichs II. die Politik der Karolinger, Ottonen und Salierkaiser vereint mit römisch imperialer Staatsgesinnung sowie griechischer und morgenländischer Kultur.

In den "Gesprächen mit Stefan George" von Edith Landmann äußert sich George ganz treffend zu Friedrich II. und den Deutschen. Landmann: "Es war vom Übergang der großen deutschen Zeit zu Rudolf von Habsburg die Rede. ’Der ist schon ein Bürgerkönig. Da ist‘s was anderes. Da ist‘s vorbei. Unbegreiflich, was da vorgegangen ist, und ob man wohl je dahinter kommen würde. Die beste Erklärung ist: zu Zeiten besuchen die Götter ein Land, und wenn sie wieder fortgehen, so ist‘s aus. Wie im ‚Friedrich II.‘ von Ernst der Untergang der Staufen geschildert ist, da wird‘s einem heiß und kalt bei der Lektüre.‘ Welchen Eindruck das auf die Italiener gemacht, der Tod dieses schönen Menschen. Die Deutschen aber, was so damals an Dichter war, die klopften ihm herablassend auf die Schultern und sagten: ’wärst besser daheim geblieben; das kommt davon‘. Dies ist mir in Erinnerung geblieben ..."

George sagte von Kantorowicz, er sei, "was die Franzosen einen Chevalier genannt" hätten, und er sei "so ganz Chevalier, wie man ihn nicht mehr sehe". Weltmännisch, elegant in Kleidung, Geste und Sprache, hatte er etwas von einem "Florett-Fechter" (Boehringer). "Sein durchdringender Verstand paarte sich mit einer erstaunlichen Fähigkeit des Zusammensehens, darauf beruht seine großartige und lebendige Anschauung und Darstellung der Geschichte."

Das Buch über Friedrich II. schrieb Kantorowicz in der Hauptsache in seiner Wohnung in Heidelberg, in der George einige Sommer lang, wohl bis 1926, Quartier hatte. Davon zeugt das Buch an vielen Stellen. George und die Stauffenbergs korrigierten es und übernahmen die Verhandlungen mit dem Verleger.

Das Buch enthält einen für den George-Kreis kennzeichnenden Vorspruch: "Als im Mai 1924 das Königreich Italien die Siebenhundertjahrfeier der Universität Neapel beging, einer Stiftung des Hohenstaufen Friedrich II., lag an des Kaisers Sarkophag im Dom zu Palermo ein Kranz mit der Inschrift: ’Seinen Kaisern und Helden/Das Geheime Deutschland‘." Der Kranz mit der Inschrift wurde aller Wahrscheinlichkeit nach von Freunden Georges niedergelegt, die sich um Ostern 1924 in Palermo aufhielten: Ernst Kantorowicz gehörte dazu. Sein Verdienst wird es bleiben, Friedrich mit seinem kritisch fragenden Verstand vergegenwärtigt zu haben. Sein Staat, den er durch die Konstitution von Melfi nach den Gesetzen der Vernunft begründete und regierte, schließlich seine Hinwendung zur "heidnischen" Antike, das alles fügt sich nur zu einem Bild zusammen: zum "Ketzer". Dabei war das einzige Ketzerische an ihm, daß er seiner Zeit voraus war. Einige Jahrhunderte später hätte kein Mensch vom "Staunen der Welt" geredet, das dieser Kaiser damals ausgelöst hat. Er spricht uns Heutige auf diesem oder jenem Gebiet an, gerade weil er rundum im Denken, Fühlen, Wollen und Handeln bereits die nächste Epoche vorwegnahm.

Stefan George stirbt im Dezember 1933 in Minusio (Schweiz), also auf politisch neutralem Gebiet, auf das er sich vor den ihm angetragenen Ehrungen der NSDAP zurückgezogen hatte. Kantorowicz hält mit Claus von Stauffenberg und einigen anderen die Totenwache. Nebenbei sei bemerkt, daß vor allem Kantorowicz (neben George) die drei Stauffenberg-Brüder in dem Mythos bestärkt hatte, sie seien Nachkommen der Staufer und königlichen Blutes.

Die ideologischen Spannungen hatten den "Staat", das heißt den Kreis, jedoch längst gespalten, was vor allem die jüdischen Freunde zu spüren bekamen, die noch bis 1936 bzw. 1938 in Deutschland blieben. Über den 1938 in die USA emigrierten Kantorowicz schrieb Georges Freund Edgar Salin anläßlich Georges Begräbnis: "Tief ergriffen hat ihn, erzählte er später in Berlin, daß die gemeinsame Erschütterung noch einmal die schon Getrennten im gemeinsamen Schmerz vereinigte. Aber als er den Zug bestieg, sah er, wie an einem anderen Wagenfenster einer der ‚Freunde‘ die Hand zum neudeutschen Gruß hob und wie vom Bahnsteig zwei der Jüngsten (die George am Ende seines Lebens in Minusio betreuten, S.P.) in gleicher Form erwiderten ..."

Im November 1938 gelingt Kantorowicz die Flucht mit Hilfe seines Freundes Albrecht Graf Bernstorff, der 1945 im Gefängnis Berlin-Moabit ermordet wird. Über England geht er in die USA, wo er ab 1939 an der Universität von Berkeley wirkt.

Noch einmal, nämlich 1951 während der McCarthy-Ära, handelt Kantorowicz mit jener "Ritterlichkeit", die Stefan George an ihm bewunderte. Ähnlich wie 1933 bleibt er sich treu und verweigert jetzt den Lehrern abverlangten Loyalitätseid, woraufhin er entlassen wird.

Mit Rührung kann man feststellen, daß noch Jahre nach Georges Tod dessen Spuren im Werk von Kantorowicz zu finden sind. Dem "Geheimen Deutschland" als Reich der Mysterien und Mythen bleibt er treu. Herrschaft, Dienst und eben jenen Mythen, also den "typischen" Erziehungskonzepten des George-Kreises, widmet er sich selbst noch in den Spätwerken. Ab Herbst 1951 arbeitet er am Institute for Advanced Study in Princeton. 1957 erscheint sein zweites Hauptwerk "The King‘s Two Bodies", welches erst 1991 in deutscher Übersetzung erscheint. Es ist ein großes Übersichtswerk, aus zahllosen – nicht immer leicht zu verstehenden – Mosaiksteinen zusammengesetzt. Nur soviel: Ausgangspunkt der von Kantorowicz erforschten Entwicklung ist die frühkirchliche "Zwei-Naturen-Lehre" (Christus als Gott und Mensch), aus der englische Kronjuristen der Tudor-Zeit eine ausgefeilte "Königs-Christologie" ableiteten. 1963 stirbt Ernst Kantorowicz, ein deutsch-jüdischer Historiker und Patriot wahrhaft nationaler Gesinnung.

 

Literatur: Ernst Kantorowicz: Kaiser Friedrich der Zweite, Berlin 1927; ders: Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1991.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen