© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
Klebriges Pathos statt Spannung
Kino: "Der Sturm" von Wolfgang Petersen enthält zu viele Klischees
Ellen Kositza

Wenn sich zwei Deutsche zeit gleich anschicken, "Holly wood zu erobern", bietet dies einen Anlaß für die hiesige Medienlandschaft, bis zum Erbrechen und dabei mit einer bemerkenswerten Vorliebe für die Verwendung militärischen Vokabulars über diese deutsche Invasion auf amerikanischem Schauplatz zu berichten. Roland Emmerichs "Patriot" und Wolfgang Petersens "The Perfect Storm" liefen Anfang des Monats in den amerikanischen Kinos an: das millionenschwere Duell des Erfolgsschwaben gegen den Meister von der Waterkant. Die Waffe, mit der letztlich gesiegt werden dürfte, ist einmal mehr das Budget. Kostete Emmerichs US-patriotische Heldensaga aus dem Unabhängigkeitskrieg 160 Millionen Dollar (angeblich betrug hier allein die Gage für Hauptdarsteller Mel Gibson 25 Millionen), so klotzte Petersen mit einem 280 Millionen-Etat – ein Aufwand, der sich bereits rechnet, zumal die Action-Tragödie bereits am ersten Wochenende in den Vereinigten Staaten knapp 45 Millionen Dollar einspielen konnte. Emmerichs "Patriot" mit 21 Millionen dagegen darf, obwohl immerhin auf Platz 2 der US-Kino-Charts, bislang als Verlierer in diesem Zweikampf der Hollwood-Teutonen gelten.

Das Fischerdrama "Der Sturm" basiert auf dem Buch des Amerikaners Sebastian Junger, der die Fakten über den Untergang der "Andrea Gail" recherchierte. Dieser Trawler, auf den Fang von Schwertfischen spezialisiert, geriet im Oktober1991 nach seiner Ausfahrt aus dem Hafen von Gloucester in einen Hurrikan, der obendrein mit zwei Wetterfronten kollidierte. Die reportageartige Geschichte über den Fischereialltag vor der kanadischen Küste und die "Andrea Gail" inmitten eines infernalischen Unwetters hatte sich monatelang auf den obersten Rängen der amerikanischen Bestsellerliste gehalten.

Petersen adaptierte Jungers Buch und erfand sechs Einzelschicksale der Schiffsbesatzung hinzu, über die der Autor schweigt. Im Film also ist es Kapitän Billy Tyne (George Clooney), der eine enttäuschende Fangsaison hinter sich hat und nun trotz Sturmwarnung ein letztes Mal in diesem Jahr mit einer handverlesenen Mannschaft auf See gehen will. Fünf Männer heuern an, darunter Bobby (Mark Wahlbergs frappierende Wandlung vom erotischen Unterhosenmodell zum proletarischen Fischer), der das Geld benötigt, um die Scheidung von seiner Frau finanzieren und mit seiner Geliebten zusammenziehen zu können, der ältere Seefahrer Murphy und dessen Intimfeind Sully, der herzensgute Jamaikaner Alfred und der Streuner Bugsy. Wieder ist die "Andrea Gail" zunächst wenig erfolgreich, doch Billy Tyne hat sich vorgenommen, nur vollbeladen in den Hafen zurückzukehren, und so steuert er das fernab gelegene Flemish Cap an, bekannt als sturmgefährliches, doch fischreiches Fanggebiet.

Indessen braut sich das Unwetter in einiger Entfernung bereits zusammen, beginnt hier und dort zu wüten, Tanker und Segelschiffe geraten in Seenot, und die Küstenwache faxt in Zusammenarbeit mit Metereologiestationen unentwegt Warnungen an die Schiffe, die sich noch auf See befinden. Kapitän Tyne ignoriert die eindringlichen Mahnungen, und die übrige Mannschaft bleibt ahnungslos, liegt doch die See noch harmlos ruhig vor ihnen. Wohl aber gibt es Zeichen: Ein Mann geht plötzlich und beinahe unbemerkt über Bord, statt des vermuteten riesigen Schwertfisches wird ein Hai gefangen, der so an Bord gelangt und Bobby gefährlich verletzt, und schließlich erreicht eines Nachts eine vereinzelte Riesenwelle die "Andrea Gail" und bringt sie beinahe zum Kentern. Das Meer wird unruhiger, Sturm kommt auf, noch könnte Tyne umkehren. Er setzt nun seine Besatzung über den Ernst der Lage in Kenntnis und schlägt ihnen vor, die Tour abzubrechen. Das wäre vernünftig. Doch Männer sind Männer, und Schwertfischer sind Schwertfischer – ein Zurück gibt es nicht ...

Nun ist es keineswegs so, daß man aus Petersens Gigantstreifen, wie noch aus seinem Erfolgsdebüt "Das Boot" (1981), eine wenigstens europäische Handschrift herauslesen könnte, im Gegenteil: "Der Sturm" versammelt sämtliche Klischees des amerikanischen Massenkinos auf sich. Bezeichnend ist schon die Wortwahl, wenn Petersen von einem "Meilenstein in der Herstellung von Filmen" spricht: der Film nicht als Kunstwerk, als etwas Erschaffenes, sondern als industrielles Produkt, ein teures zwar, doch nichtsdestoweniger eine Fließbandarbeit. Und selbst als solche ist es schlechtes Kino, das hier geboten wird.

Mag auch die hochgelobte technische Perfektion mit ihren Spezialeffekten, die 30 Meter hohe Wellen realistisch auf die Leinwand zaubern kann, beachtlich sein – Petersen läßt es an jeglichem dramaturgischen Aufbau der Handlung mangeln. Was geschieht, geschieht meist unmotiviert, tragische Höhepunkte der Seefahrerkatastrophe werden durch ein Anschwellen der orgelnden Filmmusik angekündigt, ein verbaler Gemeinplatz reiht sich an den nächsten, Symbolhaftes (der Kampf des Mannes gegen die Natur, Männerrivalität, die Liebe Bobbys zu seiner Freundin) wird als Symbol angestrahlt, ohne auch nur einmal Tiefe zu gewinnen.

Helden sind hier alle: Die Wartenden zu Hause, die Männer im Rettungshubschrauber, die rauhen Seeleute auf der "Andrea Gail" ohnehin. Klebriges Pathos übertüncht Spannung wie inhaltliche Potentiale, niemals wird auch nur angedeutet, ob Kapitän Tyne sein Schiff aus tollkühnem Männlichkeitswahn oder bedingungsloser Hingabe an ein Schicksal in das Herz des Hurrikans lenkt, es echot allein der vielfach beschworene Satz, inbrünstig, "du bist ein Schwertfischer, Käpt´n..."

So toben die Wogen auf seichtem Grund, und allein die Meldung, daß "Marky Mark" Wahlberg während der wasserumtosten Studio-Dreharbeiten in der wankenden Bootattrappe sich seekrank nach jedem Satz übergeben habe, bringt ein wenig Witz in die Geschichte.


 
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