© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
Der Kuckuck auf dem Goethe-Institut
Kriegsentschädigungen: Ein von Berlin ignoriertes griechisches Urteil bringt deutsche Liegenschaften in Gefahr
Gregor M. Manousakis

Die Nachkommen der 218 zivilen Opfer des Massakers von Distomon, die Wiedergutmachung von Deutschland verlangen (die JF berichtete), haben am 11. Juli Antrag auf Beschlagnahme des deutschen Goethe-Instituts in Athen gestellt. Der Direktor des Instituts, Horst Deinwallner, hat dem mit einem rechtskräftigen Gerichtsurteil erschienenen Gerichtsvollzieher den Zugang in alle Räume des Instituts, zwecks Beschreibung seines Vermögens, verweigert. Der Gerichtsvollzieher rief daraufhin die Polizei an, in deren Anwesenheit er die Taxierung – für die drohende Versteigerung – vornahm.

Da Mitte April der Areopag, das Oberste Berufungsgericht Griechenlands, die Rechtmäßigkeit des Urteils zur Entschädigung der Distomon-Opfer anerkannte, kann nun Eigentum der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt werden. Außer dem Goethe-Institut will Ioannis Stamoulis, Ex-EU-Abgeordneter der sozialistischen Pasok und anschließend Präfekt und Initiator der Affäre – nun auch die Beschlagnahme des Deutschen Archäologischen Instituts und der Deutschen Schule von Athen beantragen.

Die griechische Regierung – ebenfalls von Pasok gestellt – ist über die möglichen Folgen der Beschlagnahme deutschen Vermögens in Griechenland beunruhigt. Berlin hat verschiedentlich gegen das sonderbare Vorgehen der griechischen Justiz protestiert und auf dem Standpunkt beharrt, die Verurteilung Deutschlands wegen Klagen von Privatpersonen zur Leistung von Entschädigungen an Opfer des Zweiten Weltkrieges sei nicht rechtens.

Regierungssprecher Reppas erklärte, diese Proteste seien keine Akte, die sich gegen Griechenland wendeten und fügte hinzu, dass "die Stabilität der griechisch-deutschen Beziehungen, die einen sehr hohen Stand haben, Priorität hatte gegenüber der eingeleiteten juristischen Prozedur zur Beschlagnahme deutschen Vermögens in Griechenland, um die Hinterbliebenen der Opfer des Massakers der Waffen-SS in Distomon im Sommer 1944 zu entschädigen." Auch Außenminister Papandreou führte aus, "in vielen Fällen haben wir recht; die Art aber, mit der wir es durchsetzen wollen, kann kontraproduktiv oder gar nicht rechtens sein. … Ich distanziere mich von dieser Art des Vorgehens." Unter diesen Umständen hat Athen Berlin empfohlen, Antrag auf Aufschub der Versteigerungsprozedur zu stellen. Erfahrungsgemäß billigen die Gerichte solche Anträge, was allen Beteiligten eine zeitlich bequeme Atempause verschafft. Außerdem weist die Regierung darauf hin, daß die Versteigerung von Vermögen anderer Staaten in Griechenland der ausdrücklichen Genehmigung des Justizministers bedarf.

Zur gleichen Zeit erklärte Ioannis Stamoulis in Straßburg, er habe Klage gegen Deutschland und Griechenland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhoben. Griechenland habe er verklagt, weil nach der geltenden Zivilprozeßordnung Forderungen gegen fremde Staaten nur mit Genehmigung des Justizministers vollstreckt werden können. Die so entstandene Situation ist sowohl für Athen als auch für Berlin sehr gefährlich. Hellas, das dem Nachkriegs-Deutschland nicht nur im wirtschaftlichen Bereich sehr viel verdankt, kann nicht als Initiator seiner Zerstörung fungieren. Dazu wird es aber kommen, wenn Berlin sich dem Urteil des griechischen Gerichts fügen sollte. In diesem Fall würde dieses Urteil einen Präzedenzfall darstellen und Millionen von Klagen zur Leistung von Reparationen an Privatpersonen nicht nur aus Osteuropa auslösen. Einen solchen Druck kann Deutschland weder wirtschaftlich noch politisch aushalten, und die Folgen wären, selbst für die Europäische Union, unabsehbar.

Aus dieser Situation teilen sich Athen und Berlin die Schuld. Fast unbeteiligt verfolgt Berlin seit 1995 die Entwicklung dieser Affäre und hat immer wieder erklärt, es werde keine Reparationen aus dem Zweiten Weltkrieg mehr an Griechenland leisten. Berlin muß sich daher sagen lassen, diese Haltung demonstriere entweder eine unerträgliche Arroganz oder eine exemplarische Vogel-Strauß-Politik. Die Athener Regierung hat dagegen bisher nicht die Dimension der Sache bemerkt, war aus populistischen Gründen zu ängstlich, sie rechtzeitig zu stoppen, und ließ sich von Radikalen in einer hochbrisanten außenpolitischen Angelegenheit ins Schlepptau nehmen.

Erst jetzt, nach den Protesten Berlins, wird der griechischen Presse bewußt, was hinter den Privatklagen für Reparationen gegen Deutschland steckt. Die meisten Blätter begnügen sich daher mit der Wiedergabe der laufenden Nachrichten über die Sache. Die Kommentare wenden sich aber gegen die Regierung mit dem Vorwurf, sie erlaube Privatpersonen, Außenpolitik mit dem Gerichtsvollzieher zu betreiben. Je mehr der Öffentlichkeit bewußt wird, was im Gange ist, wendet sie sich auch gegen die Regierung, denn kaum ein Grieche billigt eine Politik, die zu irreparablen Schäden für Deutschland oder gar für die Europäische Union führen kann. Einzig die kommunistische Presse tritt für die Leistung von Reparationen ein, verschweigt aber die Folgen, wenn Deutschland an Griechenland zahlt.

Die Situation bläst Simitis ins Gesicht. Trotz seiner Verdienste um den Beitritt Griechenlands zur Währungsunion erweist er sich immer mehr als eine entscheidungsschwache, kurzsichtige Persönlichkeit, sei es mit Blick auf die Vorbereitungen für die Olympiade 2004 in Athen, sei es bei der Bekämpfung der verheerenden Brände, die in diesen Tagen Griechenland heimsuchen. Gewiß, diese Brände sind zur Zeit eine allgemeine Erscheinung im gesamten Südeuropa. Doch in Griechenland versagte offenbar der Staat, jedenfalls war er nicht so vorbereitet, wie Simitis seit Monaten glauben machen wollte. Er hat daher um die eilige Hilfe befreundeter Regierungen für die Löschung der Brände gebeten. Zu den ersten, die zusagten, gehörte Bundeskanzler Gerhard Schröder, der außer sechs Löschhubschraubern ein Beistandstelegramm an den "lieben Kostas" (Simitis) sandte.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen