© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/00 28. Juli / 04. August 2000 |
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Als Machtfaktor zurückgekehrt Rußland: Putins Reise-Diplomatie - Von China über Nordkorea aufs japanische Okinawa und zurück Michael Wiesberg Keine Frage: Der russische Präsident Putin hat sich seit seinem Amtsantritt im In- und Ausland Respekt verschafft und Ansehen erworben. Beim jüngsten Weltwirtschaftsgipfel auf der japanischen Pazifikinsel Okinawa gelang es ihm sogar, den westlichen Staats- und Regierungschefs die Schau zu stehlen. Kanadas Ministerpräsident Jean Chretien bekannte mit Blick auf Putin: "Ich war beeindruckt von seinem Wissen und der Art, wie er seine Position vertritt." Ähnlich gewogen äußerten sich auch andere westliche Regierungschefs. Putin nüchterne, sachliche und kompetente Art kommt an. Die westlichen Regierungschefs, allen voran die USA, sollten sich aber trotz der alerten und verbindlichen Vorstellung Putins in Okinawa nicht darüber hinwegtäuschen, daß Putin auf die Begrenzung der globalen Hegemonieansprüche der USA hinarbeitet. Diesem Ziel vor allem dienten die Visiten in Nordkorea und China im Vorfeld des G8-Gipfels in Japan. Im Mittelpunkt dieser Besuche standen vor allem die amerikanischen Pläne für ein Raketenabwehrsystem, das in Nordostasien ein brisantes Thema darstellt. Nordkorea und Rußland nehmen einmal Anstoß daran, daß der geplante Raketenschirm ganz augenscheinlich dem Schutz der dort stationierten US-Truppen dienen soll. Es ist kein Geheimnis, daß sowohl Moskau als auch Pjöngjang an einer Auflösung der US-Basen in Südkorea interessiert sind. Zum anderen befürchten Rußland und Nordkorea, daß Japan von dem amerikanischen Raketenschirm profitieren könnte. Daran sind weder Nordkorea noch Rußland interessiert, die Japan nach wie vor mißtrauisch gegenüberstehen. Japan mußte bereits seine Hoffnungen auf einen schnellen Friedensvertrag mit Rußland begraben. Dort hatten Regierungskreise gehofft, sie könnten die chronische ökonomische Schwäche Rußlands ausnutzen, um die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges besetzten Kurileninseln zurückzugewinnen. Diesen japanischen Hoffnungen hat sich Putin bisher nicht geöffnet. Im Gegenteil. Sein Besuch in Pjöngjang muß deshalb auch als Signal an die japanische und amerikanische Adresse gewertet werden, daß Rußland als Machtfaktor in Nordostasien zurückgekehrt ist. Auch bei den Gesprächen mit dem chinesischen Präsidenten Jiang Zemin stand das geplante US-Raketenabwehrsystem im Mittelpunkt. Sowohl Rußland als auch China sind der Überzeugung, daß die USA nicht die nationale Verteidigung bzw. die Verteidigung ihrer Verbündeten in bestimmten Teilen der Welt im Auge hat, sondern die Festigung ihrer globalen Hegemonieansprüche. Dazu kommt aus chinesischer Sicht die Befürchtung, daß die Abwehrsysteme für Raketen kürzerer Reichweite auch auf Taiwan ausgedehnt werden könnten, was den chinesischen Wiedervereinigungsplänen strikt zuwiderlaufen würde. Vor diesem Hintergrund sind die Hinweise der Präsidenten Putin und Jiang Zemin auf den Aufbau einer "strategischen Partnerschaft" bzw. die "Intensivierung der bilateralen Beziehungen" zu verstehen. Wie ernst in China diese Partnerschaft gemeint ist, ist schwer einzuschätzen. Aus chinesischer Sicht ergibt der Schulterschluß mit Rußland vor allem aus zwei Gründen Sinn. Einmal ist sich China mit Rußland einig, daß dem amerikanischen Machtanspruch Grenzen aufgezeigt werden müssen. Daneben reagieren sowohl China als auch Rußland sehr empfindlich auf westliche Einmischungen in ihre innere Angelegenheiten (Stichwort: Menschenrechte). Während also auf außenpolitischer Ebene eine weitgehende Interessenkonvergenz zwischen China und Rußland festgestellt werden kann, sprechen die Handelsbeziehungen eine völlig andere Sprache. Trotz der chinesischen Waffenkäufe in Rußland gibt es seit ca. zehn Jahren keine nennenswerten Fortschritte im beiderseitigen Handelsvolumen. Aus chinesischer Sicht ist die USA der weitaus bedeutendere Handelspartner. Es gibt derzeit keine Anzeichen dafür, daß China diese Handelsbeziehungen aufs Spiel setzen könnte. Dennoch ist es Putin in den vergangenen Monaten gelungen, Rußland als Machtfaktor im Bewußtsein der "Weltöffentlichkeit" neu zu verankern. Inwieweit es dabei bleibt, wird auch davon abhängen, ob Putin nach innen seine Idee des "starken Staates" wird durchsetzen können. Seine Vorstellungen eines "starken Staates" hatte Putin in seiner Rede zur Lage der Nation am 9. Juli des Jahres entwickelt. Diese Rede zeigte Putin von einer anderen, weniger schlagfertigen Seite. Vielleicht haben die inneren Probleme, die Rußland zu bewältigen hat, auch Putin die Energie für rhetorische Höhenflüge genommen. Dessen Antwort auf Probleme wie Korruption, Kriminalität, Beamtenwillkür, Armut und hohe Steuerlast lautete bekanntlich "Zentralisierung". Ob und inwieweit es Putin gelingen wird, seine Ankündigungen durchzusetzen (Stichwort: Widerstand der sogenannten Finanzoligarchen), muß abgewartet werden. Daß er den Willen und die Energie mitbringt, seinen Worten Taten folgen zu lassen, steht aber außer Zweifel. |