© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/00 28. Juli / 04. August 2000

 
"Wir gehen hier nicht weg"
Sachsen: Ein kleines Dorf will dem Braunkohlentagebau nicht weichen / Neue Kampfrunde ist eingeläutet
Paul Leonhard

David hat Goliath besiegt. Auf dem Rechtsweg. Aber Sach sens CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf will ein neues Gesetz.

Wer die kleine Skulptur im Herzen Heuersdorf gesehen hat, mag gelächelt haben: Ein kleiner harmlos aussehender David ringt mit einem blechgepanzertes Monstrum. Beide verkörpern den aussichtslos erscheinenden Kampf zwischen der Kommune und dem Energieriesen Mibrag. Und doch hat jetzt der kleine David dem mächtigen Goliath einen schweren Schlag versetzt: Die im Südraum Leipzigs gelegene 240-Seelen-Gemeinde Heuersdorf darf vorerst nicht abgebaggert werden. Das sächsische Verfassungsgericht hat das vom Freistaat 1998 verabschiedete "Heuersdorf-Gesetz" für nichtig erklärt. Beanstandet wurden etwa verletzte Anhörungsrechte der Gemeinde. Außerdem seien in der Energie-Prognose, mit der das Gesetz begründet wurde, die Veränderungen durch den liberalisierten Strommarkt nicht ausreichend berücksichtigt, stellte das Gericht fest.

Es ist aber nur eine Schlacht geschlagen und der mächtige Feind gibt nicht auf. Auch nach dem Urteil hält die Staatsregierung daran fest, den Ort umzusiedeln. Das Gericht habe lediglich formale Fehler moniert, die korrigierbar seien, sagte Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU). Ein neues Gesetz soll zügig vorbereitet werden.

Gegen das kleine Dorf ziehen Energiekonzerne zu Felde, die Gewerkschaft, die Bergleute, die Staatsregierung, der Landtag. Der Streit wogt seit Jahren. Rund 40 Millionen Tonnen Braunkohle will die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (Mibrag) unter Heuersdorf bergen. Über 400 Millionen Tonnen sollen bis 2039 aus dem erst 1999 aufgeschlossenen Tagesbau "Vereinigtes Schleenhain" für das neue Kraftwerk Lippendorf gefördert werden.

Heuersdorf liegt am südöstlichen Rand des Tagebaus. Vom Ortsrand sind die mächtigen Kühltürme des Kraftwerkes zu sehen. Die Kohlebagger fressen sich immer näher heran. Bereits seit dem Ende des ersten Weltkrieges ist die Existenz des Dorfes durch den Braunkohleabbau bedroht. Zu DDR-Zeiten hielt die Obrigkeit an der geplanten Abbaggerung fest. Erstmalig Hoffnung schöpften die Heuersdorfer nach der Revolution 1989. Im wiedergegründeten Freistaat versprach Umweltminister Arnold Vaatz - ehemals Bürgerrechtler - , daß jetzt kein Dorf mehr gegen den Willen seiner Einwohner der Kohle zum Opfer falle. Aber der Christdemokrat - heute im Bundestag - konnte dieses Versprechen nicht einhalten.

2005 sollen die Bagger die 700jährige Geschichte des Ortes jäh beenden. Aber die Heuersdorfer wehren sich seit Jahren: Sie mobilisierten die Öffentlichkeit und schmückten Häuserwände und Gartenzäune mit Plakaten. "Heuersdorf steht wie eine Eiche - Bagger, Du mußt weiche", "Wir gehen hier nicht weg, wollen keinen Mibrag-Scheck" und "Trotz Mibrag und Schommer erleben wir hier auch in zwanzig Jahren noch den Sommer" stand da zu lesen.

Heuersdorf ist das letzte Dorf, das der Braunkohleförderung im Freistaat geopfert werden soll. Seit Beginn der 20er Jahre mußten in Sachsen bereits mehr als 60 Orte den Baggern weichen. Vor sechs Jahren mussten die Heuersdorfer zu sehen, wie die letzten Einwohner des nur zwei Kilometer entfernten Breunsdorf ihre Heimat verlassen mußten. Sie beobachteten aufmerksam. "Breunsdorf ist das absolut schlimmste Beispiel für eine Umsiedlung", sagt Ortsvorsteher Horst Bruchmann. In der kleinen romanischen Steinkirche gedachte die Gemeinde der geopferten Dörfer. 23 weiße Kerzen mit schwarzen Jahreszahlen standen auf dem Taufstein.

Damals wohnten in Heuersdorf noch 318 Menschen, heute noch 240. Einige waren die Ungewissheit satt, andere nahmen die Angebote der Staatsregierung an. Im "Heuersdorf-Vertrag" wurden den betroffenen Einwohnern umfangreiche Entschädigungsleistungen garantiert. "Sie müssen nur bereit sein, diese Hilfe anzunehmen", sagte Sachsens Innenminister Hardraht 1998 vor dem Landtag. Grund- und Hauseigentümer würden über den Zeitwert ihres Eigentums hinaus 150.000 Mark erhalten. Bauland soll zum Quadratmeterpreis von 90 Mark entschädigt werden. Wirtschaftsstaatssekretär Wolfgang Vehse bezeichnete gar die versprochenen Umzugsbeihilfen als "in ihrer Großzügigkeit einmalig".

Vehse hatte dabei wohl die Umsiedlung von Großgrimma in Sachsen-Anhalt im Auge. Dort wurden 820 Menschen für rund 200 Millionen Mark umgesiedelt, in Heuersdorf wären es 300 Einwohner für 100 Millionen Mark, rechnete er vor. Ortsvorsteher Bruchmann bezeichnete das Entschädigungsangebot der Mibrag für "nicht akzeptabel". Die Einwohner müßten sich für ein neues Haus hochverschulden.

Für Bruchmann stellt die Devastierung von Heuersdorf ohnehin eine "Maßnahme zur Gewinnmaximierung eines privaten Wirtschaftsbetriebes dar". Auch ohne den Ort zu opfern, sei genügend Kohle vorhanden, um das Kraftwerk Lippendorf mindestens 35 Jahre zu versorgen. Überdies sei fraglich, ob soviel Strom benötigt werde. Eine am Allgemeinwohl orientierte Notwendigkeit vermag der Aktivist nicht zu erkennen. Da ist der Innenminister ganz anderer Meinung. Er sprach von einem "Sonderopfer der Gemeinde im Interesse der Allgemeinheit".

Bis zum Frühjahr 1998 versuchte die Staatsregierung vergeblich, die Heuersdorfer für eine freiwillige Umsiedlung zu gewinnen, dann schrieb sie die Abbaggerung per Gesetz fest. Der Landtag stimmte der Zwangsumsiedlung des Dorfes zu. Ohne Abbaggerung der Gemeinde keine Fortführung des Bergbaus, keine Errichtung und kein Betrieb des Kraftwerkes Lippendorf und keine Ansiedlungen von Zulieferbetrieben, hatte die Regierung argumentiert. Milliardeninvestitionen würden ausbleiben und 5000 Arbeitsplätze in der Region seien gefährdet. Dieser Logik vermochten sich die Abgeordneten nicht verschließen

Mit dem sogenannten Heuersdorf-Gesetz war das Todesurteil gesprochen. "Das Gebiet der Gemeinde Heuersdorf kann zum Zwecke der Rohstoff- und Energieversorgung (Braunkohlenabbau) in Anspruch genommen werden", lautete der Paragraph eins. Aber einen Vorteil hatte das Gesetz: Die Heuersdorfer hatten erstmalig ein Papier in der Hand, gegen das sie vorgehen konnten. Unmittelbar nach der Landtagsentscheidung reichte Bruchmann Klage vor Landesverfassungsgericht mit der Begründung ein, der Freistaat habe versäumt, die energiewirtschaftliche Notwendigkeit des Abbaus der unter Heuersdorf lagernden Kohle nachzuweisen.

Genau das bestandeten jetzt auch die Verfassungsrichter und stoppten die Bagger. Vorerst. Der Abriß sei noch nicht gebannt, warnt denn auch Bruchmann die Einwohner des "Rebellendorfes" vor verfrühten Siegesfeiern. Hoffnung schöpfen die Heuersdorfer aus einem von ihnen erarbeiteten "energiepolitischen Kompromiß". Dieser sieht eine Umfahrung des Ortes durch den Tagebau vor. Dieser würde sich maximal bis auf hundert Meter nähern. Heuersdorf selbst aber auf einer etwa 70 Hektar großen Insel stehen bleiben. Die Idee ist nicht neu. Vor zwei Jahren hatte sie bereits der Leipziger Landtagsabgeordntete Volker Schimpff, der damals als einziger CDU-Mann gegen das Heuersdorf-Gesetz stimmte, vorgetragen. "Wir sind weder gegen das Kraftwerk noch gegen den Tagebau, aber wir wollen unsere Heimat erhalten", betont Bruchmann, Dorf und Tagebau könnten durchaus nebeneinander existieren.

Ob er damit bei Regierung und Landtag Gehör findet, bleibt abzuwarten. Biedenkopf hat angekündigt, an der Zerstörung der Gemeinde und der Zwangsumsiedlung ihrer Einwohner festzuhalten. Der Kampf David gegen Goliath geht in die nächste Runde.


 
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