© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/00 28. Juli / 04. August 2000 |
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Dem Tintenfraß zu Leibe gerückt Berliner Staatsbibliothek läßt Bach-Handschriften restaurieren Wiebke Dethlefs Zum 250. Todestag Johann Seba stian Bachs am 28. Juli 2000 prä sentierte die Berliner Staatsbibliothek vorigen Donnerstag die ersten in den vergangenen Monaten restaurierten Original-Notenhandschriften des Komponisten. Die Bach-Sammlung, die unter anderem 300 Autographen mit insgesamt 7.784 Blättern umfaßt, zählt zu den Kleinoden der Staatsbibliothek, die sich selbst als "kulturelles Gedächtnis" Deutschlands versteht. Werke wie die h-moll-Messe, die "Johannes-" und "Matthäuspassion", das "Weihnachtsoratorium", die "Brandenburgischen Konzerte", die "Kunst der Fuge" und das "Wohltemperierte Klavier" neben zahlreichen Kantaten stellen das Herz dieses Teils des Weltkulturerbes dar. Doch etwa 70 Prozent der Autographe weisen zum Teil starke Schädigungen durch Tintenfraß auf, d.h. durch chemische Prozesse der zum Schreiben benutzten Tinkturen, die zur Zerstörung des Papiers führen. In diesem bisher größten und bedeutendsten Restaurierungsvorhaben der Staatsbibliothek werden jetzt am Leipziger "Zentrum für Bucherhaltung" unter der Leitung von Wolfgang Wächter und in der bibliothekseigenen Werkstatt etwa 1.500 der am stärksten geschädigten Manuskripte mit dem sogenannten Papierspaltverfahren restauriert. Hierbei wird ein dünnes Kernpapier unter Einsatz zusätzlicher restauratorischer Maßnahmen zwischen Vorder- und Rückseite des zu stabilisierenden Blattes eingebracht, womit das brüchige Material seine ursprüngliche Stabilität wieder erhält und die Zersetzungsprozesse dauerhaft blockiert werden. Rund 1.500 Blätter stark geschädigter Manuskripte sind inzwischen restauriert. Antonius Jammers, der Generaldirektor der Staatsbibliothek, ist zuversichtlich, "daß die Restaurierung aller Notenhandschriften Bachs wie geplant bis 2002 abgeschlossen werden kann". Um die Finanzierung des kostenintensiven Projekts müht sich indes der Verein der Freunde der Staatsbibliothek mit seinem "Bach Patronat", dem inzwischen Musiker wie Claudio Abbado, Nikolaus Harnoncourt und Peter Schreier neben Staatsminister Michael Naumann und Altkanzler Helmut Schmidt angehören. Insgesamt werden für die Rettung aller Bach-Bestände rund 2,5 Millionen Mark benötigt. Doch Winfried Sühlo, der Vorsteher des "Bach Patronats" ist für die sichere Zukunftsperspektive des Projekts mehr als zuversichtlich: "Seit November 1997 sind mehr als 200.000 Mark Spenden bei uns eingegangen. Dem Bund nahe stehende Behörden und Sponsoren haben zusammen weitere 750.000 Mark zugesagt." Außerdem gibt es die Möglichkeit von Restaurierungs-Patenschaften für einzelne Autographe. Für rund 150 Werke können sich Sponsoren und private Spender gezielt entscheiden. Die Kosten für jedes einzelne Werk liegen zwischen wenigen tausend Mark für zum Beispiel die "Jagdkantate" und 250.000 Mark für die Rettung der "Johannespassion", die allerdings noch auf der Suche nach ihrem "Paten" ist. Vielleicht findet er sich noch, wenn am 28. Juli des 250. Todestages Bachs im Brunnenhof der Staatsbibliothek Unter den Linden gedacht wird. Eine Videodokumentation wird in die Geheimnisse des Papierspaltens einführen, und eine Live-Übertragung der h-moll-Messe aus der Leipziger Thomaskirche wird begleitet werden von der erstmaligen Einsicht der Originalpartitur der Messe über das Internet.
Weiterführende Bach-Literatur: Martin Geck: Bach. Leben und Werk, Rowohlt, Reinbeck 2000, 796 Seiten, geb., 58 Mark Christoph Wolff: Johann Sebastian Bach. Fischer, Frankfurt/Main 2000, 656 Seiten, geb. 98 Mark |