© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/00 28. Juli / 04. August 2000

 
Der Milliardenpoker
Norman Finkelsteins Buch "The Holocaust Industry" sorgt für heftige Kontroversen
Ivan Denes

Der Name Norman Finkelstein ist dem an Zeitgeschichte in teressierten deutschen Leser nicht unbekannt. Als die Debatte um Daniel Goldhagens anklagende These von einer geschichtlich endemischen und quasi genetisch determinierten Judenfeindschaft der Deutschen hohe Welle schlug, veröffentlichte Finkelstein - zusammen mit der für das kanadische Justizministerium tätigen deutschen Zeithistorikerin Ruth Bettina Birn - eine substanzreiche, immerhin von Hans Mommsen eingeleitete Studie unter dem Titel "A Nation on Trial: The Goldhagen Thesis and Historical Truth" (deutsch: "Eine Nation auf dem Prüfstand", München 1998), in der er den dilettantischen, unwissenschaftlichen und vor allem tendenziösen Zug des Harvard-Politologen Schritt für Schritt anprangerte.

Erneut entzündete Finkelstein hitzige Debatten, als er Anfang des Jahres der Berliner Zeitung ein umfangreiches Interview gewährte, in dem er den Beweis lieferte, daß die Claims Conference (Conference for Jewish Claims against Germany) bei den Verhandlungen über die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter (und "Sklavenarbeiter") mit falschen Zahlen operiert, um den jüdischen Anteil an den zehn Milliarden Mark, die über die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" an noch lebende Opfern verteilt werden sollen, zu erhöhen (JF 6-7 und 10/00). Finkelstein ging aber noch einen Schritt weiter: Er bezichtigte die Claims Conference, deutsches Geld, das über die Jahre für die Linderung der Lage von noch lebenden Holocaust-Opfern gezahlt wurde, zweckentfremdet zu haben.

Dieses letzte Thema hat Finkelstein - selbst Kind von Eltern, die Ghetto und KZ, Majdanek und Auschwitz überlebt haben - nun in einem Buch, das am 20. Juli auf den Markt kam, mit wissenschaftlicher Akribie weiterentwickelt. Schon Titel und Untertitel wirken provozierend, wenn dort von "Holocaust Industry" und der "Exploitation", also von der "Ausbeutung" des jüdischen Leidens die Rede ist.

Selten hat ein dem Umfang nach so kleines Buch schon vor seinem Erscheinen - der Londoner Guardian hat vor kurzem mehrere Auszüge veröffentlicht - so heftige Kontroversen ausgelöst. Die gesamte schwere Artillerie der "politisch korrekten" Presse, besonders der angelsächsischen Medien, schießt sich zur Zeit auf Finkelstein ein. Und wie beim Auftritt von Bilderstürmern üblich, hat auch schon anstelle der inhaltlichen Auseinandersetzung mit seinen Thesen die Verunglimpfung der Person des Autors eingesetzt. Finkelstein startet einen "linken Frontalangriff" (Die Presse) gegen jüdische Interessenorganisationen. Er ist dabei freilich nicht der erste. Michael Brecher sprach Ende der sechziger Jahre vom "Holocaust"-Komplex, der Überlebende Leon W. Wells ("Und sie machten Politik: die amerikanischen Zionisten und der Holocaust", München 1989) hat 1987 anhand der Verbandsinterna nachgewiesen, wie gleichgültig dem American Jewish Congress das Schicksal der europäischen Juden bis 1945 war. Abraham Foxman, Vorsitzender der Anti-Diffamierungs-Liga, hat unlängst in der Washington Post mit höhnischen Bemerkungen auf die moralgepanzerten Einmischungen anglojüdischer Verbände in die europäische Politik reagiert. Nur kommt diese innerjüdische Kritik selten zu uns über den großen Teich.

Finkelstein geht bei seiner Darstellung von dem in der Tradition innerjüdischer Kritik stehenden, bezeichnenderweise noch immer nicht ins Deutsche übersetzten Buch von Peter Novick, "The Holocaust in American Life" (1999), aus. Im Gegensatz zu Novick jedoch entdeckt Finkelstein die Neugeburt des Holocaust als zentrales Thema des amerikanischen Judentums lediglich als Folge des israelischen Sieges im Sechs-Tage-Krieg 1967 und der folgerichtigen Erkenntnis, daß Israel ein strategisch wesentlicher Partner der US-Außenpolitik geworden ist. Bei Novick war die zentrale Treibkraft die aufziehende Gefahr des Identitätsverlustes, zumal schon vor zehn Jahren die Mischehen die demographisch bedrohliche Grenze von 50 Prozent überschritten haben. Finkelstein ist weniger an Aspekten des zeitgeschichtlichen Vorgangs interessiert - etwa wie das amerikanische Judentum es bewerkstelligt hat, den Holocaust zu einem gesamtamerikanischen historischen Thema zu erheben, das mancherorts sogar den amerikanischen Bürgerkrieg im Bewußtsein einer nachwachsenden Generation zu verdrängen droht. Vielmehr untersucht er, wie der Holocaust von den amerikanisch-jüdischen Organisationen nach Europa reexportiert wurde, zwecks moralischer und letztlich ökonomischer Erpressung - und zwar nicht zugunsten der noch Überlebenden, sondern zur Bereicherung der großen Verbände und Organisationen.

Finkelstein belegt jede seiner Behauptungen mit ausführlichen Zitaten und Fakten. Davon nur ein Beispiel, das vieles veranschaulicht. Israel Singer, der Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Vizepräsident der Claims Conference, unangefochtener Chefideologe des "Großen Rachefeldzuges" und auf jüdischer Seite der wichtigste Unterhändler in den Verhandlungen mit Schweizern und Deutschen, wird mit der Aussage zitiert, "es wäre eine Schande", wenn die Holocaust-Entschädigungsgelder "an die Erben anstatt an die Überlebenden" ausgezahlt werden. Andererseits weist Finkelstein auf die Aussage Singers hin, die Entschädigungsgelder sollen nicht nur jenen Juden dienen, die das Glück hatten, den Holocaust zu überleben und ein hohes Alter zu erreichen, sondern zur Deckung des Bedarfes des gesamten jüdischen Volkes. Ein Vorhaben, das in flagrantem Gegensatz zum amtlich verkündeten Zweck etwa der deutschen Zwangsarbeiter-Stiftung steht. Finkelstein belegt jedoch, daß unter dem Gummibegriff "Bedarf des gesamten jüdischen Volkles" in erster Linie die Organisationen und ihre Funktionäre gemeint sind. Er zitiert den Präsidenten des WJC, Edgar Bronfman, der vor einem Kongreßausschuß noch erklärt hatte, es solle "nicht gestattet werden, daß die Schweizer aus den Aschen des Holocaust ein Profit herausschlagen", aber im Januar dieses Jahres brüstetet sich derselbe Edgar Bronfman auf dem Stockholmer Holocaust-Erziehungsgipfel, daß der WJC ein Vermögen von etwa sieben Milliarden US-Dollar (etwa 14 Milliarden Mark) in Geld und Vermögenswerten aus der Entschädigung angesammelt hat. Dabei muß jeder über gesunden Menschenverstand verfügende Jude sich fragen, wieso sich dann diese Leute erlauben, von einer Notlage der noch wenigen Überlebenden zu reden? Warum sitzt der WJC auf diesem Vermögen? Wo bleibt die theologisch begründete "Mitzwah", die pflichtgemäße tägliche Wohltat jedes gläubigen Juden?

Finkelstein weist auf die persönlichen Profite hin, die die professionellen "Holocauster" erzielen. Elie Wiesel, der messianische Prophet der neuen Holocaust-Konfession, der in zwei Dutzend Büchern wortreich davon kündete,über das "Unbeschreibliche" eigentlich nichts sagen zu können, nehme, so Finkelstein, üppige 25.000 US-Dollar für jeden seiner Vorträge. Wahrlich, eine fürstliche Entlohnung seines in leierhaften Art wiederholten Klageliedes, zu dem Finkelstein zu Recht anmerkt, daß man über die literarische Qualität seiner Produktionen lieber kein Wort verlieren sollte.

Lawrence Eagleburger, der ehemaligen Staatssekretär unter George Bush und zur Zeit Vorsitzender der Internationalen Kommission für Versicherungsforderungen aus der Holocaust-Ära, bezieht ein Jahressalär von 300.000 Dollar. Der langjährige Verwaltungschef der Claims Conference, Saul Kagan (für seine frühere Aktivität an der Spitze einer New Yorker Bank wegen vielfachen Mißbrauchs von Fonds und Krediten angeklagt), bezog jährlich 105.000 US-Dollar aus jenem Topf, der das Geld für die unmittelbare Hilfe für Holocaust-Opfern enthielt.

Finkelstein wiederholt im Buch seine Behauptung betreffend der gefälschten Zahlen, die die Claims Conference bei den Zwangsarbeiter-Verhandlungen vorgelegt hat, obwohl er hier die nicht anzuzweifelnden Befunde namhafter jüdischer Historiker zurückhaltender zitiert als in seinen publizistischen Beiträgen. Aber die verschiedenen Interpretationen der Tragödie, die von der Holocaust-Industrie zur Zeit beschworen werden, unterscheiden sich erheblich - so eine der wichtigsten Erkenntnisse Finkelsteins - von der historischen Realität. Er bekämpft zum Beispiel mit Vehemenz den Monopolanspruch der Holocaust-Industrie auf jüdisches Leiden sowie die Unsitte, jeden, der die weltgeschichtliche Einmaligkeit des Holocaust in Frage stellt oder Vergleiche mit anderen Völkermorden wagt, als Antisemiten abzustempeln. Explizit wagt sich Finkelstein in jene Zonen vor, die nach deutschem Recht strafrechtlich sind, wenn er schreibt, daß es mit der vielbeschworenen "Singularität" angesichts der davor und der danach begangenen Völkermorde nichts auf sich habe. Die Betonung der "Einmaligkeit" solle nur die privilegierte politische und ökonomische Position der jüdischen Verbände zementieren.

Finkelstein schließt mit folgenden Sätzen: "Ein Verbrechen muß nicht aus geistiger Umnachtung entstehen, um Buße zu rechtfertigen. Die Herausforderung von heute besteht darin, den Nazi-Holocaust als rationales Objekt der Forschung wieder in den Raum zu stellen. Nur dann kann man Lehren aus ihm ziehen. Die Abnormität des Nazi-Holocausts entstammt nicht dem eigentlichen Ereignis als vielmehr aus der ausbeutenden Industrie, die rings um ihn erwachsen ist. Die Holocaust-Industrie war schon von jeher bankrott. Was übrig bleibt, ist, dies offen zu erklären. (…) Die edelste Geste gegenüber denen, die umgekommen sind, ist die Erinnerung an sie zu bewahren, aus ihrem Leiden zu lernen und sie dann schließlich in Frieden ruhen zu lassen." Sätze, denen man nur zustimmen kann.

Es wäre eine Schande, wenn dieses Buch aus Gründen des nackten Opportunismus oder der politischen Korrektheit nicht unverzüglich ins Deutsche übersetzt würde.

 

Norman Finkelstein: The Holocaust Industry. Reflections on the Exploitation of Jewish Suffering, Verso Verlag, London/New York 2000, 150 Seiten, 23 Dollar


 
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