© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/00 28. Juli / 04. August 2000 |
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Staatlichkeit internationalisieren Wie Heidelberger Völkerrechtler das Weltrechtsnetz knüpfen Ulrike Imhof Besucht man das Heidelberger Max- Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIV) im Internet ( www.mpiv-hd.mpg.de ), schaut man auf das Foto eines Vollglas-Bunker-Domizils, das seit 1996 als neues Institutsgebäude fungiert. Und man erfährt, daß das Institut 1924 durch die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründet, 1949 von deren Rechtsnachfolgerin, der Max-Planck-Gesellschaft neugegründet wurde. Über das Vierteljahrhundert, das dazwischen liegt - kein Wort. Das ist, anders als im Verhältnis von Bundeswehr und Wehrmacht, mitnichten Traditionsverleugnung. Die Institute von 1924 und 1949 haben nämlich wirklich nichts miteinander zu tun, die Heidelberger stehen nicht in der Tradition der deutschen Völkerrechtswissenschaft vor 1945. Residierte das 1924 gegründete Institut im Berliner Schloß, zog es bundesdeutsche Völkerrechtler nach Baden, dem Gesetz der antipreußischen Westverschiebung folgend. Gehorchten die Mitarbeiter nach 1924 ihrem Gründungsauftrag und stellten das juristische Instrumentarium bereit, um im Clinch mit Versailles und Genf, mit Siegerdiktat und Völkerbund, ihren Beitrag zur Wiedergewinnung der Souveränität des Deutschen Reiches zu liefern, ging es den Heidelbergern stets darum, die begrenzte westdeutsche Souveränität als Staatsraison der Bonner und dann der Berliner Republik juristisch zu legitimieren. Einer der Direktoren des MPIV, Rüdiger Wolfrum, schaute vor einigen Jahren mit einer Mischung von Unwissenheit und Verachtung auf die Arbeiten seiner Kollegen in der Weimarer und in der NS-Zeit - der Schmitt, Bilfinger, Bruns, Jahrreiß, Held, Rogge, Grewe, Walz, Wolgast - und war entsetzt über die deren "starke Betonung der einzelstaatlichen Souveränität". Im Zentrum ihres Denkens habe leider die "Existenz und Unabhängigkeit sowie die Gleichstellung der Staaten in der Gemeinschaft" gestanden. Wolfrum dekretierte dagegen: Die Staaten bedürften internationaler Kontrolle, die Durchsetzung der Staatspflichten müsse internationalisiert werden: "Ansätze hierzu finden sich im Gewaltverbot, der internationalen Durchsetzung der Menschenrechte, der Bindung ans Völkerrecht und der Aufforderung zu zwischenstaatlicher Kooperation." Wolfrums Hamburger Kollege Karl-Heinz Ziegler, Verfasser des maßgeblichen Lehrbuchs zur Völkerrechtsgeschichte, meint, das gesamte Schrifttum seiner älteren Kollegen folgerichtig mit der beliebten Phrase von der "Perversion der Wissenschaft" abtun zu können. Da Wolfrum und sein Mitdirektor Jochen A. Frowein (JF 30/00) nicht als pervers gelten wollen, knüpfen sie auf verschiedenen Feldern fleißig am Weltrechtsnetz. Das Recht der internationalen Organisationen, insbesondere der UN, der Internationale Menschenrechtsschutz, das überstaatliche Wirtschaftsrecht, das Umweltvölkerrecht, das Recht der Internationalen Gemeinschaftsräume (Hohe See, Antarktis, Weltraum) und das Regionale Völkerrecht (Recht der Minderheiten) - das sind die wesentlichen Arbeitsfelder der MPIV-Juristen. Neue Nahrung dürfte der Nord-Süd-Konflikt aus der Frage nach den Möglichkeiten von Wirtschaftssanktionen zur Durchsetzung umweltpolitischer Ziele erhalten. Politisches Profil im Sinne einer, sehr pointiert gesagt, rechtlichen Abwicklung des Nationalstaates gewinnen Arbeitsprojekte wie die "Monographie zum humanitären Völkerrecht", die Diskussion über Bedingungen einer zukünftigen europäischen Verfassung, völkerrechtswissenschaftliche Beratung des Auswärtigen Amtes, die laufende Berichterstattung für den Europarat über aktuelle Fragen der Europäischen Menschenrechtskommission und Studien über "Kulturelle Identität zugewanderter Minderheiten in der BRD (Ist das deutsche Schulrecht noch zeitgemäß?)". Auf dem Symposium zum 65. Geburtstag Jochen Froweins referierte Stefan Oeter über die Wege zu einer zukünftigen "europäischen Verfassung" und kam zu dem Ergebnis, daß die praktische Arbeit der EU bis zu dem Punkt verändert werden könne, wo es keinen "substanstiellen Unterschied mehr zu einem föderalen System" gebe. Trotzdem würde die EU noch eine Staatenunion bleiben - "zumindest bis zu dem Punkt einer formellen Verfassunggebung" durch das "europäische Volk" Auffällig ist, daß sich gleich zwei Dissertationen einem Thema widmen, bei dem man nur hoffen kann, es werde seine Relevanz nicht aus zu erwartender Kritik an der "Ent-Staatlichung" gewinnen: "Die Grenzen politischer Meinungsfreiheit in Deutschland..." |